Manuel Blötz

Monster


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und Brandyflaschen.

      Obwohl der hier verschüttete Alkohol schon eine gewisse Grausamkeit hatte, stellte der restliche Inhalt des Raumes alles Andere in den Schatten. Von der Decke hingen die Leichen der Crewmitglieder wie Vieh, mit den Köpfen nach unten. Sie wurden ausgeweidet und teile ihrer Innereien lagen auf dem Fußboden direkt neben ihnen oder ragten aus ihren aufgeschlitzten Bäuchen heraus. Im ersten Moment sah es aus, als wären sie mit einem Seil aufgehängt worden, aber bei näherer Betrachtung sah ich, dass es sich dabei nicht um Seile handelte, sondern um ihren eigenen Darm.

      Wie sie so mit den Köpfen nach unten hingen, erinnerte es ein bisschen an die Dokumentation, die ich eine Woche zuvor geguckt hatte, in der sie zeigten, wie Chicken Nuggets hergestellt werden. Ich beschloss, mir in Zukunft mein Geflügel nur noch beim Gockel-Horst vor dem Edeka zu kaufen.

      Es waren vier Männer und einige von ihnen berührten mit den seitlich am Körper runterhängenden Armen leicht den Boden. Ich sah mir die Hände der Opfer an und mir fiel etwas Merkwürdiges daran auf.

      »Florian würdest du dir das hier mal bitte ansehen?« Ich zeigte auf die Finger von einem der Toten. Dann ging ich zum Nächsten. »Und hier haben wir das Gleiche.«

      »Sie sehen völlig normal aus.«, sagte er.

      »Ja, ein bisschen zu normal. Aus der Akte dieses Falles, die ich auf dem Schiff der Küstenwache gelesen habe, konnte ich entnehmen, dass es sich hier um ein schwimmendes Prinzessinenschlösschen handelt, mit dem gut betuchte Menschen mitfahren. Ich gehe also davon aus, dass auch die Mitarbeiter hier gepflegt sein müssen. Manikürte Fingernägel wurde offensichtlich ebenfalls gefordert. Das Auffällige ist, dass sie keine Kampfspuren zeigen. Sie sind makellos. Wenn hier ein Irrer herum rennt, vier Männer ermordet, aufschlitzt und an die Decke hängt, würde ich zumindest vom letzten Opfer erwarten, dass es sich wehrt. Aber nichts. Es sieht aus, als hätte er sie allesamt einvernehmlich gekillt. Die Augen sind auf, sie haben also nicht geschlafen.« Ich stand auf und guckte zu Dr. Kontz. »Vielleicht hast du ja eine Erklärung, wie das geht.«

      »Ich denke, so wie es hier aussieht, kann ich keine vernünftigen Schlüsse ziehen. Ich muss sie erst auf meinem Tisch haben, dann werde ich genaueres sagen können. Aber es ist seltsam, da gebe ich dir Recht.«

      Ich ließ Florian weiter arbeiten und ging zu der Treppe am Ende des Raumes, die zur Brücke hoch führte. Auf dem weißen Teppich, der den Aufgang bedeckte, waren auf jeder zweiten Stufe blutige Fußabdrücke, die vermutlich vom Kapitän des Schiffes stammten. Er hatte es also eilig.

      Auf dem Linoleumboden der Kommandobrücke verschwand die Gradlinigkeit der Spuren. Ich konnte erkennen, dass Herr Svensson in die Richtung der Steuerkonsole gelaufen sein musste, sich dort wieder umdrehte und dann anschließend versuchte das Funkgerät zu erreichen. Auch hier wuselten bereits zwei Kollegen der Spurensicherung umher und untersuchten die blutigen Abdrücke auf dem Boden und am Hörer des Funkgerätes. Sie stellten bei allem, was sie finden konnten kleine gelbe Hinweisschilder auf, machten Fotos und notierten ihre Kenntnisse auf einem Klemmbrett.

      Johann Schmied, ein Kommissaranwärter, saß an einer Kommandokonsole und studierte das Logbuch des Kapitäns. Er hatte es sich im Stuhl des Chefs gemütlich gemacht und die Beine auf den Kartentisch direkt vor ihm gelegt. Obwohl er erst fünfundzwanzig Jahre alt war, konnte ich die Kopfhaut gut durch die dünnen, schütteren Haare sehen. Wahrscheinlich würde ihm in drei oder vier Jahren nur noch der Griff zum Rasierer vor einer sehr peinlichen Frisur retten. In seinem Gesicht waren die Zeiten der Pubertät wie ein mahnendes Denkmal praktisch eingraviert worden. In seinem kalkweißen Gesicht hatte er tiefe Furchen, die daran erinnerten, dass Pickelcreme besser ist, als jeden einzelnen Hügel auf Teufel komm raus auszudrücken.

      »Soll ich Ihnen ein wenig Musik anmachen und einen Wein zu Ihrer Lektüre reichen?«

      »Herr Kommissar.« Er reagierte sofort und zog hastig die Beine runter. »Ich wusste ja gar nicht, dass Sie schon da sind.« Seine Blässe änderte sich augenblicklich in ein tiefes Rot.

      »Irgendwelche Besonderheiten?«

      »Allerdings.« Er hielt mir das Buch hin. »Die letzten Einträge sind interessant«.

      Ich nahm das dünne, in Leder geschlagene Logbuch in die Hand und öffnete die vorletzte beschriebene Seite.

       Logbucheintrag 20 Oktober 2014

       Wir haben die Samphire heute Morgen pünktlich um 9 Uhr aus der Werft in Southampton abgeholt. Die Inspektion lief reibungslos. Wir sind wie geplant auf Kurs in Richtung Kiel. Die Fahrrinne scheint heute eine Gegenströmung zu haben, denn trotz voller Maschinenkraft erreichen wir nicht die Höchstgeschwindigkeit von 24 Knoten. Sollte das Problem morgen noch bestehen, werde ich der Werft in Kiel wohl noch einen Besuch abstatten müssen.

      

       Logbucheintrag 21 Oktober 2014

       Heute Morgen haben wir einen Schiffbrüchigen aus dem Wasser gezogen. Er behauptet, dass sein Schiff plötzlich leck geschlagen hat und vollständig versunken sei. Wir werden ihn mit nach Kiel nehmen und ihn dort absetzen. Das Problem mit der Geschwindigkeit besteht weiterhin. Ich werde in Kiel eine Untersuchung veranlassen, bevor wir die nächste Reise nach Afrika antreten.

      

      »Eigenartig nicht wahr?« Fragte Johann Schmied, als ich meinen Blick hob.

      »Stimmt. Der Typ, den sie aus der Nordsee geholt haben, fehlt auf dem Schiff.« Ich reichte ihm das Buch rüber. »Oder haben Sie noch eine weitere Leiche entdeckt, von der ich nichts weiß?«

      »Nein. Nur die vier in der Lobby.«

      »Ich sehe mich mal in der Kajüte um.«

      »Verstanden.«

      Ich ging nach links und bog um die Ecke in die Kapitänskajüte. Sie war sehr spärlich eingerichtet. Ein Bett, ein Tisch und an der Wand ein Bild vom Chef persönlich. Er schien ein bisschen selbstverliebt zu sein.

      »Wo ist eigentlich der Kapitän? Er hing nicht mit seinen Kollegen im Kaminzimmer rum.« Ich sprach etwas lauter, damit Herr Schmied mich hören konnte.

      »Wir fanden ihn hier bewusstlos auf dem Boden. Er wurde mit einem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus geflogen.«

      »Stimmt es, dass er von einem Monster gesprochen hat?« Ich ging wieder zurück auf die Brücke und stellte mich neben Johann.

      »Das behauptet zumindest die Küstenwache. Er hat gefunkt, dass ein Monster alle getötet hat und bevor er zusammengebrochen ist, hat er beschrieben, dass es vor ihm stehen würde. Aber es scheint doch sehr unwahrscheinlich, dass es ein Monster war, oder?«

      »Ich bin mir da gar nicht so sicher, wenn ich mir das da unten angucke. Wer macht so was?«

      »Kein Plan. Aber ich denke nicht an ein Fabelwesen.«

      »Das hoffe ich. Ich habe mein Kreuz und die Beretta mit den geweihten Silberkugeln zu Hause gelassen.«

      Ich kniete mich neben den Kapitänsstuhl und begutachtete das Blut, das an der Halterung klebte. Ich folgte der Blutspur bis hin zum Funkgerät. Ich drehte mich zur Tür um und versuchte mir vorzustellen, was Herr Svensson in diesem Moment gesehen haben konnte.

      »Wieso hat er die Küstenwache nicht in Kenntnis gesetzt, dass sie jemanden aufgelesen haben?«

      »Davon steht hier nichts.«

      »Das weiß ich, ich hab es gelesen. Aber ein junger Mann kommt an Bord und nur einen Tag später hängt die gesamte Crew an der Decke, nur der Chef selbst wird verschont und träumt von einem Monster. Irgendwie ergibt das keinen Sinn. Wie haben wir das Schiff überhaupt gefunden?«

      »Svensson hat die Küstenwache angefunkt und während des Gespräches konnten sie plötzlich das AIS-Signal orten, was merkwürdig ist.«

      »Wieso merkwürdig? Das AIS ist doch immer an.«

      »Richtig, aber das war es am Anfang nicht, als er begann seinen