Indira Jackson

Rayan - Sohn der Wüste


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      Dann trennten sie sich: die drei anderen schlichen sich nach Norden, um sich in Richtung der Rebellensiedlung durchzuschlagen. Ibrahim, Sachra und ein weiterer aus der Gruppe trugen den noch immer Bewusstlosen in Richtung seiner Großmutter, wobei der größte Anteil des Gewichts bei den beiden Männern lag.

      Zwei schwere Stunden später trafen sie bei Rayans Großmutter Eleonora ein. Sie klopften die alte Frau aus dem Bett, die in dem Haus zusammen mit ihrem Mann Youssef wohnte.

      Eleonora war der Grund, warum Rayan trotz seiner arabischen Wurzeln blaue Augen hatte. Sie hatte diese an ihre Tochter Miriam vererbt, der Mutter Rayans. Eleonora stammte aus Deutschland und war wegen ihrer Liebe zu Youssef in Arabien geblieben, wo ihre einzige Tochter Miriam geboren wurde. Obwohl sie mindestens 60 war, war sie agil und flink, mit langem, schneeweißem Haar und jeder, der ihr Temperament kannte, hütete sich davor, sie zu reizen.

      Nach einer kurzen Erklärung überließen sie der älteren Frau den schwer Verletzten und schlichen weiter, um sich selbst in Sicherheit zu bringen.

      Eleonora war entsetzt über die große Anzahl der blutigen Striemen auf Rayans Rücken. Als sie mit sanften Bewegungen begann, den Rücken zu säubern, liefen ihr die Tränen übers Gesicht. Selbst wenn Rayan die Tortur überlegen sollte, wäre er sein Leben lang grausig entstellt.

      2014 - Gefängnis von Dubai – Die Flucht

      Colonel Abbouds Leute machten Feierabend.

      Ein paar Stunden schmoren lassen würden dem Gefangenen nicht schaden. Sie würden ihn schon noch mürbe machen.

      Morgen war auch noch ein Tag und nach der Ankündigung des Scheichs, trotz der Ereignisse am folgenden Tag gleich in der Frühe noch abzureisen, hatten sie ohnehin alle Zeit der Welt.

      Also warfen sie ihn in eine dunkle Zelle, die eher einem stinkenden Loch glich. Das beeindruckte Ashraf jedoch wenig, denn sie hatte das Einzige, was er benötigte: ein Fenster nach draußen.

      Ashraf zog sofort sein Hemd aus und hängte es aus dem Fenster. Er hatte zwar einige Mühe an die hohe Öffnung heranzukommen, aber halb kletternd, halb werfend gelang es ihm schließlich. Das war das Zeichen für Ali, wo er zu finden war.

      Durch die rüden Verhörmethoden der Polizisten schmerze ihm sein ganzer Körper, doch das war vernachlässigbar und würde heilen. Wenn er allerdings nicht bald hier rauskäme, war seine Gesundheit keinen Pfifferling mehr wert.

      Er hoffte bloß, dass Vetter Ali sich an die Absprache halten würde, nachdem er sicherlich gehört hatte, dass das Attentat schief gegangen war. Ali hatte seine Ohren überall.

      Kurz vor dem Morgengrauen, als er sich bereits ernsthafte Sorgen machte, hörte er den vereinbarten Pfiff. Er bestätigte. Daraufhin hörte er anstelle des erwarteten Knalls einer Explosion einen Schlüsselbund klingeln. Mit einem breiten Grinsen stand Ali vor ihm. „Na Vetter? Hast schon an dem alten Ali gezweifelt, was?“

      „Verdammt was tust du Ali? Bist du noch zu retten?“

      Beleidigt machte sich Ali ans Aufschließen der Zelle: „Du könntest ruhig etwas dankbarer sein!“

      Doch Ashraf erwartete jeden Moment die Männer des Colonels zu sehen: „Die lassen uns doch nie so einfach hier rausspazieren! Und dann haben sie dich auch noch geschnappt und wir sitzen beide hier! Und wie kommen wir dann raus?“

      „Stell dich nicht so an, die Wachen schlafen alle tief und fest. Dies ist hier schließlich eine ganz gewöhnliche Polizeistation und nichts anderes.“ Wo Ali recht hatte, hatte er recht. Die gewöhnlichen Polizisten waren bekannt dafür, dass sie es nicht so genau nahmen.

      „Aber was ist mit den Männern des Colonels?“, fragte Ashraf. Die würden sich sicher nicht so leicht übertölpeln lassen.

      „Einer vor der Tür draußen hat ins Gras gebissen, den Zweiten hier drinnen hab‘ ich niedergeschlagen. Meinst du denn, ich will in den Knast? Los weg hier, bevor der aufwacht“, erklärte Ali mit stolzgeschwellter Brust.

      Ashraf konnte sein Glück kaum fassen. Breit grinsend umarmte er seinen Vetter. „Ali, ich habe dich unterschätzt!“

      Fast zu leicht kamen die beiden bis zum Ausgang. Dort standen zwei weitere Männer des Colonels, die sich aber so sicher fühlten, dass sie tief in Konversation versunken zwar ein halbes Auge auf die Außenseite der Polizeistation hatten, jedoch der Innenseite keinerlei Beachtung schenkten. Wieso sollte ihnen von innen Gefahr drohen?

      „Und wie kommen wir an denen vorbei?“, flüsterte Ashraf fast unhörbar.

      Auch daran hat Ali gedacht! Und führte Ashraf in den Hinterhof des Gefängnisses.

      In der Dunkelheit erkannte Ashraf ein Seil, das von der Mauer hing. Mithilfe einiger Müllkisten, die in dem dreckigen Hinterhof herumlagen, war es für den sportlichen Ashraf ein Leichtes, die Mauer zu erklimmen. Ali hatte größere Schwierigkeiten, schaffte es letztlich aber auch und Ashraf zog ihn neben sich auf die Mauer.

      Ein letzter Blick zurück auf das Gefängnis und schon war er unten. Erleichtert atmete er auf. Gerade wollte er Ali nochmals beglückwünschen, als er einen gurgelnden Laut aus seiner Richtung hörte und danach einen Fall. Er versuchte die Dunkelheit mit den Augen zu durchdringen, konnte aber in der Dunkelheit der Gasse nichts erkennen. „Ali?“, fragte er halblaut.

      Doch Ali antwortete nicht.

      Hier stimmte etwas nicht. Doch bevor er überlegen konnte, was er tun sollte, wurde er von hinten gepackt. Er merkte noch einen Einstich im Hals und mit dem Gedanken, dass etwas gehörig schief gegangen war, versank alles in Dunkelheit.

      2014 - Dubai – Der Colonel

      Colonel Abboud tobte.

      Er war ein kleiner Mann, mit Ansatz zur Fettleibigkeit, der ständig zu schwitzen schien. Aber er hatte einen wachen Verstand und den Ruf, dass seine Leute unbestechlich waren. Weder mit ihm selbst, noch mit seinen Leuten, war zu spaßen.

      Drei Tage lang hatte er die Anreise des Scheichs vorbereitet. Er hatte alle seine Männer gedrillt und halb in den Wahnsinn getrieben, die Zeremonie geplant und höchstpersönlich dafür gesorgt, dass jeder einzelne Knopf der Uniformen seiner eigenen Männer und auch die der örtlichen Polizei poliert war.

      So oft kam dieser einflussreiche Mann schließlich auch nicht hierher. Meistens flog er mit seinem Jet direkt nach Alessia, zumindest nach den Informationen, die man sonst so hörte. Deshalb wollte der Colonel, dass dieses Ereignis etwas Besonderes war.

      Er kannte den Ruf des Scheichs ganz genau und wusste auch, wie weit sein Einfluss reichen konnte. Angeblich hatte er schon das Leben von Männern vernichtet, nur weil diese ihn nicht mit genügend Respekt behandelt hatten. Sicher war er sich nicht, ob diese Geschichten lediglich erfunden waren oder den Tatsachen entsprachen, aber er wollte keinerlei Risiko eingehen.

      Dann kam die erste Hiobsbotschaft: Der Jet war im Eimer. Wechsel auf einen Linienflieger. Voller Touristen! Was für ein Desaster.

      Also musste er die ganze Zeremonie vom hinteren Teil des Flugfeldes, das sonst für die Privatflieger reserviert war, nach vorne auf den offenen Teil verlegen. Aus Sicherheitsgründen ein Albtraum.

      Und nun berichteten ihm gerade seine Posten im Gefängnis, dass der Attentäter weg war.

      Geflohen? Während der Nacht - einfach so? Aus dem Stadtgefängnis?

      Und noch schlimmer war, dass seine Leute zuvor kein Wort aus ihm herausbekommen hatten.

      Diese Ratte! Aber dem würde er schon helfen. Dies war seine Stadt und er gab ihm drei Tage. Dann hatte er ihn wieder. Er wusste bereits, dass der Vetter des Attentäters mit im Spiel gewesen war. Ein fetter kleiner Händler namens Ali. Aber auch den würde er schnellstens finden.

      Er war bloß froh, dass der Scheich bereits abgereist war. Der hätte ihm noch gefehlt. Ein Grausen packte ihn, wenn