Hans J. Unsoeld

Jenseits von Wo und Wann


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Leben, irgendwo zwischen extremen, erst in jünge­rer Zeit bewusst gewordenen Welten. Vielleicht können wir diese Bereiche etwa in der Mitte zwi­schen den Galaxien und den Elementar­teilchen orten. Im Prinzip sollten speziell im menschlichen Bereich das öffentliche und das private Leben in ähnlicher Weise davon betroffen sein.

      Wie ein merkwürdiger krächzender Rabe ausgerechnet im fernen Thailand auf dieses als zentral er­schei­nende Thema gestoßen ist, wurde bereits in einem vorigen Buch “Asiatische Nächte” erzählt. Verblüffende Parallelitäten zwischen privaten und öffentlichen ganz verschiedenen Lebens­berei­chen kamen ins Visier, unterschiedlich insbesondere auch zwischen dem europäisch geprägten Westen und dem asiatisch geprägten Osten.

      Ist die tief eingewurzelte Bezugnahme auf Raum und Zeit die entscheidende und grundlegende Zusatz­annahme für alle Lebensbereiche und für unser Vorgehen im Verständnis dieser Welt? Raum und Zeit scheinen nicht Teil der allgemeingültigen Gesetze für alle Bereiche, sondern erst in einer weiteren, mög­licherweise nur menschlichen Entwicklungsphase dazu gekommen zu sein.

      Gibt oder gab es irgendwo noch kein Wann? Gab oder gibt es irgendwann noch kein Wo? Und ebenso in der Zukunft? Die Verschränkung mag durchaus hintergründig sein und nicht nur gelten vor dem sogenann­ten Anfang oder nach dem sogenannten Ende, sondern vielleicht auch außerhalb von Allem oder im tiefsten verborgenen Inneren. Der Gedanke an ein mögliches Jenseits geistert durch alle Orte und alle Zeiten, ohne dass kaum die Begriffe Ort und Zeit selbst infrage gestellt wurden. Das kann aber von größter Bedeutung nicht nur für eine abstrakte, uns mehr oder weniger fern liegende Welt­beschrei­bung, sondern ähnlich wichtig sowohl für unser eigenes privates als auch für das darüber liegende öffent­liche Leben sein. Wenn wir entsprechend der eigenen Neigung vom eigenen privaten Leben ausgehen, können wir auf zunächst völlig wirr anmutende Fragen stoßen.

      Gibt es Engel und Teufel? Ist eine Julia mein Engel? Bin ich selber ein Teufel? Was ist real, was imaginär? Was ist richtig, was ist falsch? Was ist gut, was ist schlecht? Was ist echt, was ist fake? Ist Ordnung besser oder die größere Freiheit in einer chaotischen Situation? Müssen wir uns auf Kom­promisse einlassen? Kommt es auf den genauen Zeitpunkt an oder nicht?

      Ist alles eine Reality-Show oder gibt es ein Jenseits? Gibt es etwas, was nicht ist? Philosophen an die Front, oder sind Lebenskünstler gefragt? Sind diese vielen Fragen sinnlos, oder regelt sich nicht alles von allein?

      Für uns selbst gibt es kein Jenseits. Dieses lässt sich in der Natur nicht finden, und dieses Gesetz kann von keiner Kultur durchbrochen werden. Das heißt aber nicht, dass es ein Jenseits überhaupt nicht gibt. Wenn wir jenes Gesetz verletzen, werden wir möglicherweise bestraft. Gesetze und Strafen können grausam sein. Aber sie sind deswegen nicht sinnlos. Kommt alles aus einem Jenseits oder geht schluss­endlich dorthin? Beides könnte offensichtlich wahr sein. Klingt Offenbarung nicht ganz ähnlich? So sehr diese Ähn­lich­keit der Worte uns gefallen mag, so hat diese Aussage jedoch keinerlei Beweiskraft.

      Können wir irgendetwas über jenes Jenseits sagen, ob es wahr oder hypothetisch, mit Eigenschaften versehen oder nicht, echt oder nur als fake existierend ist? Oh ja, - es muss sehr einfach sein. Es hat gewiss keine komplexe Struktur, kennt so etwas wie Moral oder Schönheit noch nicht. Alle und sämt­liche menschliche Eigenschaften und zuvor sogar die tierischen schon und vielleicht noch wei­tere sind erst hinzugekommen, als etwas ganz geheimnisvolles entstand, was wir Entwicklung nennen. Vor allem aber, und dies ist für alle Einsicht von größter Bedeutung, fehlen Raum und Zeit.

      Kein Wo?

      Raum und Zeit beherrschen aber unser menschliches Leben. Können wir “ihnen” noch entfliehen? Wahrscheinlich sind sie ein zusammen gehöriges Paar, das nicht voneinander getrennt werden kann. Und wenn wir das dennoch versuchen, zum Beispiel uns für einen anderen Ort entscheiden? In Europa leben, oder in Asien? Blumen im Vorgarten pflanzen, oder die Rückseite des Mondes erforschen?

      Für uns gibt es im allgemeinen nur wenig Wahl, wo wir leben können. Fortbewegung braucht Energie, und die Energie ist begrenzt. Sie entsteht durch Umwandlung aus dem, was Materie heißt, speziell zum Beispiel aus Futter oder Rohstoffen oder Elementen im Inneren der Sterne und ins­besondere unserer Sonne. Erzeugung von verwendbarer Energie braucht Raum und Zeit, viel Energie braucht viel Raum und Zeit. Wenn manche Menschen durch großen Energieverbrauch indirekt mehr Raum und Zeit beanspruchen als andere, so geht das auf Kosten der übrigen Men­schen, und bei Tieren ist das, nebenbei bemerkt, genauso. Ist das der Grund, warum Menschen, die viel reisen oder vielleicht sogar ganz in fernen Ländern leben, mit so scheelen Augen angesehen werden?

      Nun, ein normal lebender Mensch mit einem normalen Einkommen - und wir wollen an dieser Stelle ganz bescheiden versuchen, ohne eine längliche Diskussion des bisweilen schillernden und dann wie­der fast kriminell nicht beachteten Wortes “normal” auszukommen, wollen aber damit Kapi­tal anle­gende reiche Leute und auch extreme Kommunisten ausschließen, - ein solcher Mensch hat in vielen westlichen Staaten trotz mehrerer schrecklicher Kriege im allgemeinen die Wahl, sein Geld auf zwei völlig verschiedene Arten anzulegen. Entweder kann mann oder frau es zur Gründung einer festen Existenz anzulegen, was meist den Erwerb eigenen Wohnraums ein­ schließt, möglichst eines eigenen Hauses und sogar des darunter und ringsherum befindlichen Grund und Bodens. Die andere Möglich­keit ist, ungebunden zu bleiben, nur zur Miete zu wohnen und dadurch viel in der irdischen Welt herum­zukommen. Ökonomisch und ökologisch lassen sich ohne dogmatische Vorurteile kaum Vorteile für die eine oder die andere Lebens­art ausmachen. Selbstverständlich werden solche Vorteile sofort mit felsenfester Miene behauptet, doch wenn die zugrunde liegenden Vorurteile auch bisweilen schwer zu entlarven sind, so bleibt die Sache doch mehr als zweifelhaft.

      Der Rabe hat sich, nicht zuletzt beeinflusst von Kriegserlebnissen, wo er die plötzliche Annihili­sierung von Häusern tausendfach erlebt hat, für ein weitgehend besitzloses Wanderleben entschie­den. Dass er nach Thailand kam, mag fast zufällig erscheinen, war auch wirklich nicht seine eigene Idee. Wieder werden gerne Vorurteile bemüht, um eine Begründung zu finden. Er wolle ja nur junge Kätzchen dort vernaschen, habe es auch nicht geschafft, eine finanzielle Sicherheit zu schaffen. Natürlich ist ein wenig Wahrheit daran, aber eben nur ein wenig. Nach einigen Jahren tatsächlichen Lebens in solchen Umständen plustert er sich sehr viel selbstbewusster, hält es arroganterweise gar nicht mehr für nötig, auf all die kleinen Argumente einzugehen, welche diese Meinung kontra­karieren könnten.

      Ist das die Arroganz eines Pseudo-Philosophen, der plötzlich die Nichtigkeit von Raum und Zeit fast überall und jederzeit zu sehen glaubt? An diesem Satz stimmt kein einziges Wort. Weder gibt es Pseudo-Philosophen noch sind Raum und Zeit nichtig, und vollends kann man nicht von überall reden, wenn der Raum nichtig ist, und ebenso nicht von jederzeit, wenn die Zeit nichtig ist. Die umgekehrte sogenannte positive Behauptung aber, dass die abstrakten Geisteskinder Raum und Zeit überall und immer Lebens­recht haben, stimmt genauso wenig.

      Die Lösung dieses im Grunde philosophischen Problems kennen die Mathematiker längst. Aber wer will schon im täglichen Leben etwas von den Fundamenten der Mathematik ausgraben? Diese Funda­mente sind kein Fundamenta­lismus, sondern besagen schlicht und einfach, dass zu jedem Gesetz, wel­ches nicht eines jener geheim­nisvollen allgemeinen Naturgesetze ist, ein Geltungsbereich ange­geben werden muss. Wir müssen uns mit der Idee anfreunden, dass die beiden Geistes­kinder Raum und Zeit nicht Teil der allgemeinen Naturgesetze sein mögen. Sofort donnern die Maschinengewehre los: Beweis, Beweis, Beweis, Beweis, Beweis . . . und dann folgt das Zeigen von Einstein-Fahnen. Der pseudo-­arro­gante Rabe antwortet nur raab raab und krächz krächz. Sucht doch mal nach dem Beweis, dass Raum und Zeit Teil der allgemeinen Natur­gesetze sind! Das sagt übrigens nichts dagegen, dass Einstein gewal­tigen Fortschritt gebracht hat. Doch auch er war nur ein Mensch. Liebte er nicht Polyamory? Wie bitte, was? Was hat das denn hier verloren?

      Wenn wir den Geltungsbereich der gewohnten Gesetze unseres Lebens verlassen, bedeutet das Aben­teuer. Gleichzeitig können wir dann das nebulöse Land der Philosophie betreten. Dass Aben­teuer und Philo­sophie eng miteinander verbändelt sind, ist nicht nur in den Fokus des Raben gera­ten. Sind es ähnliche Vögel, die auf der Webseite www.adventurephilosophy.com darauf