Hans Nordländer

Das Erbe der Ax´lán


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was in der irdischen Welt geschah, erfuhren sie in den Hallen der Ahnen wenig. Auch wenn immer wieder neue Ogmari dort ankamen, so konnten sie meistens doch nur darüber berichten, was sich in ihrem eigenen Land ereignete. Und so blieb Trywfyn auch verborgen, was aus seinen Freunden geworden war.

      Mit der Zeit stellte er eine bemerkenswerte Veränderung an sich selbst fest. Hatte er am Anfang noch oft an sie gedacht, so wurden ihm ihre Abenteuer allmählich immer gleichgültiger. Es war nicht so, dass er sie vergaß, aber er maß ihren Taten weniger Bedeutung bei. Und vielleicht hatten sie auch wirklich nicht die Bedeutung, die sie ihnen immer zugeschrieben hatten, möglicherweise nicht einmal die Suche nach den Fragmenten des Chrysalkristalles.

      Zuerst wunderte sich Trywfyn, dass sich sein neues Dasein nicht so deutlich von seinem irdischen unterschied, wie er gedacht hatte. Er hatte sich seinen jetzigen Zustand himmlischer, überirdischer vorgestellt. Und doch musste er mit der Zeit erkennen, dass seine Anteilnahme an den irdischen Ereignissen geringer wurde.

      Schließlich kam die Zeit des Großen Auszugs und der Verwandlung Elverans. Die ersten Anzeichen dafür wurden jedoch im irdischen Teil des Volkes der Ogmari sichtbar.

      Seit dem Tod Trywfyns hatte das Leben in Ogmatuum seinen gewöhnlichen Gang genommen. Viele Ogmari hatten den Wechsel in ihrem Herrscherhaus mit einer gewissen Gleichgültigkeit zur Kenntnis genommen. Elgen Damoth war fern und ihre eigenen Geschäfte standen ihnen näher.

      Irgendwann und anfangs unterschwellig begannen sie, eine ungewöhnliche Unruhe und Rastlosigkeit an sich festzustellen. Wann es genau anfing, konnten nicht einmal die Gelehrten sagen. Anscheinend hat es unmerklich begonnen. Aber jeder Ogmari litt unter den gleichen Anzeichen und es wurde offensichtlich, dass das ganze Volk von dieser Entwicklung betroffen war.

      Zuerst schien die Unruhe in dem Volk frei von jeder Ursache zu sein. Die Ogmari konnten ihre Gedanken stets nur noch kurze Zeit auf ihre Tätigkeiten ausrichten. Ständig machten sie sich davon und andere kamen ihnen in den Sinn. Meister Horxir, einer der Hofschmiede in Erzbünden, erlebte zum ersten Mal, wie er eine wunderschön gearbeitete Axt auf dem Amboss ruinierte. Das war ihm noch nie passiert, und es erschütterte ihn zutiefst.

      Auch konnten die Ogmari kaum noch schlafen und wurden immer fahriger und ungeduldiger. Mehr und mehr Arbeiten blieben liegen und wurden nicht vollendet. Es war nicht zu fassen, wie die Ogmari ihre alltäglichen Aufgaben zunehmend vernachlässigten.

      Und schließlich, es war ungefähr drei Tage vor dem Großen Auszug, spürten alle Ogmari, die sich außerhalb ihres Reiches befanden, den inneren Zwang, nach Ogmatuum zurückzukehren.

      Zu dieser Zeit befanden sich drei Ogmari bei Ilanhorn. Seit einigen Tagen bemerkte er, dass irgendetwas mit ihnen nicht stimmte. Er erkundigte sich auch offen und ehrlich bei ihnen, aber außer, dass sie genauso offen und ehrlich zugaben, dass sie ihre Ruhelosigkeit ebenso merkwürdig fanden, hatten sie keine Erklärung. Und schließlich kamen sie eines Abends zu ihm und teilten ihm mit, dass sie ihn verlassen und heimkehren würden.

      Ilanhorn bedauerte ihren Entschluss, achtete ihn aber, denn er hatte sie nie als seine Leibeigenen betrachtet. Sie trennten sich in Freundschaft und mit der Zusage der Ogmari, dass sie zurückkommen würden. Aber vorher mussten sie herausfinden, was in ihrer Heimat geschah. Einen anderen Grund als die dortigen Verhältnisse konnten sie sich für ihre Unrast nicht vorstellen.

      Ilanhorn ahnte jedoch, dass sie nicht zurückkehren würden. Und wahrscheinlich würden auch keine anderen Ogmari jemals wieder auf sein Gut kommen. Dass sich seltsame Dinge in Ogmatuum ereigneten, hatte er bereits aus anderen Quellen erfahren, deshalb wusste er vermutlich mehr als die drei Freunde, die jetzt für immer heimkehrten. Irgendetwas geschah mit dem Volk und Ilanhorn hielt es für mehr als wahrscheinlich, dass sich bald die Wahrsagungen erfüllen würden, von denen er schon einiges gehört hatte und die mit dem Ende des Volkes der Ogmari auf dieser Welt zusammenhingen.

      Ilanhorn hatte mehr als einmal von dem Großen Auszug gehört. Trywfyn selbst hatte ihm von dem letzten Weg seines Volkes erzählt, und auch, wenn es bis dahin nur Legenden waren, so glaubte er fest an ihren wahren Kern. Er wusste damals nichts über den Zeitpunkt, doch jetzt deutete manches darauf hin, dass er nahte und wenn sich Ilanhorns Erwartungen erfüllten, würde es die Einleitung bedeutender Veränderungen für seine Heimatwelt Elveran bedeuten. Bei diesen Gedanken erfüllte ihn selbst eine erwartungsvolle Spannung, denn er konnte nicht ausschließen, dass sich auch für ihn, seine Familie und all seine Freunde manches änderte, ohne dass er dabei an ihrem Tod dachte.

      Einen Tag vor dem Großen Auszug war der letzte Ogmari in sein Land zurückgekehrt. Immer klarer deutete sich die Ursache an, warum die Ogmari so rast- und ruhelos, in einem gewissen Sinne sogar sehnsüchtig und erwartungsvoll geworden waren. Sie strebten alle einen bestimmten Ort an, den vorerst nur der Edoral Glanlaird mit einem Namen benennen konnte, den er wiederum von Trywfyn erfahren hatte. Es waren Drans Hallen. Es schien, als rief dieser Ort die Ogmari zu sich und die Ersten von ihnen begannen, sich bereits dort zu versammeln.

      Die Gewissheit kam für Glanlaird am Abend dieses Tages. Während er in seinem Regierungszimmer saß und über die Entwicklung in seinem Reich nachdachte, tauchte plötzlich ein seltsames Wesen auf. Glanlaird hatte es weder durch die Tür hereinkommen noch aus der Wand heraustreten sehen. Es war einfach da gewesen. Das Wesen nannte sich Gründel.

      Ohne lange Umschweife teilte er Glanlaird mit, dass am folgenden Tag der Große Auszug stattfinden würde. Besondere Vorbereitungen könne der Edoral nicht treffen, aber bei Sonnenaufgang (an der Oberfläche seines Landes) sollte er sich bereithalten. Damit meinte Gründel nicht, dass irgendwelche Koffer gepackt sein sollten, die müssten eh zurückbleiben. Aber er musste das Heiligtum seines Volkes bei sich haben, das Licht der Göttin Virdh. Dann verschwand Gründel wieder.

      Noch vor Sonnenuntergang nahm Glanlaird die Phiole aus dem steinernen Geheimfach, ging in sein Arbeitszimmer und wartete. Was Gründel ihm gesagt hatte, war keine Überraschung gewesen, doch erst am Tag zuvor hatte er Klarheit erhalten. Als Priester der Virdh und mit den übernommenen Fähigkeiten seines Vorgängers besaß er Nachrichtenquellen, die anderen nicht zugänglich waren. Und aus ihnen erfuhr er, dass die legendäre Verwandlung Elverans kurz bevorstand. Wie es dazu kommen sollte, erfuhr er nicht, aber das war für die Ogmari nicht von Bedeutung, denn sie würden dann nicht mehr dort sein.

      Kurz nach dem Sonnenaufgang geschah etwas noch Seltsameres, als schon in den Tagen zuvor. Das ganze Volk verschwand. Um jeden einzelnen Ogmari legte sich zur gleichen Zeit ein heller Lichtschein und es war, als würden sie dem Tode entgegengehen. Dieses Mal hatte das Licht eine andere Bedeutung. Es war ein Vorgang, der bereits in ihnen veranlagt wurde, nachdem sie einige Zeit unter dem Einfluss Elverans standen. Keiner von ihnen wusste davon, und selbst den Edoralen war es ein Geheimnis geblieben. Dieser lichterne Schein war das Gefährt eines jeden in die Hallen Drans. Dort sammelten sich jetzt und fast gleichzeitig alle Ogmari, die auf Elveran lebten oder gelebt hatten. Sogar die Ogmari, die in den Hallen der Ahnen auf diesen Zeitpunkt gewartet hatten, kamen nun an diesen Sammelpunkt. Und plötzlich unterschieden sich die »Lebenden« nicht mehr von den »Toten«.

      Es gab kein Geschrei und keine Unruhe, nicht einmal ein Raunen war zu hören. Jeder Ogmari war jetzt von der Gewissheit beseelt, was mit ihnen geschah und eine erwartungsvolle Stille erfüllte den Raum. Tatsächlich waren Drans Hallen so groß, dass alle bis auf den letzten Ogmari darin Platz fanden. Selbst die wenigen in den entferntesten Gegenden Elverans waren zu ihrem Volk zurückgekehrt. Keiner durfte zurückbleiben.

      „Volk der Ogmari!“, hallte es durch den Raum. „Ein außergewöhnliches Schicksal führte euch einst auf diesen Planeten, der so für eine lange Zeit eine zweite Heimat für euch wurde. Jetzt, da Elveran ein großer Wandel bevorsteht, ist diese Zeit abgelaufen. Heute werdet ihr auf den weiten Zug in eure Heimat gehen. Euer Anführer wird Trywfyn sein, der Edoral, der vor kurzem von euch gegangen ist.“

      Inmitten der Masse von Ogmari befand sich eine podestartige Erhebung. Auf ihr standen, für jeden sichtbar, alle Edorale, die während des Aufenthaltes der Ogmari auf Elveran geherrscht hatten. Zwischen ihnen befand sich ein Licht, das sie alle überstrahlte. Glanlaird übergab es Trywfyn, der die Phiole in beide Hände nahm und sie mit erhobenen Armen dem Volk zeigte.