Hans Nordländer

Das Erbe der Ax´lán


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war am Ende des irdischen Kreislaufs des Planeten Elveran. Die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Sinaranern und den Oson, die schließlich zum Unternehmen »Schatzsuche« führten, waren jedoch ein Teil ihres Gesamtvorhabens auf Elveran, der weder unter dem Einfluss des Chrysalkristalles noch des Geistwesens Elverans zustande gekommen war. Dafür waren andere Mächte verantwortlich. Doch jetzt, als der Kristall kurz davor stand, wieder zusammengesetzt zu werden, würde er dafür sorgen, auf ewig auf Elveran zu bleiben. Sein Platz war genau in der Mitte des Planeten. Zusammen mit dem Wesen Elveran würde er die Entwicklung des Planeten vorantreiben. Es war eine Entwicklung, die jedoch nicht mehr im physischen Teil des Universums stattfinden sollte.

      [Wem dieser kosmische Plan allzu sehr an den Haaren herbeigezogen erscheint, dem sei verziehen. Für die schlichten menschlichen Gemüter kann er gar nicht nachvollziehbar sein. Das ändert aber nichts daran, dass alles Gesagte genau den wahren Umständen entspricht. Und er ist nicht der einzige dieser Art. Im Universum existierten und existieren seit ewigen Zeiten verwirrende, aber absichtsvolle Vorgänge, von denen sich manche umschließen, ohne aufeinander einzuwirken].

      In dem Raum, in dem sich Osir, Gnum, Neneema und Taligh aufhielten, gab es einen Hochsicherheits-Glasschrank. Er konnte durch ein Energiefeld abgeschirmt werden, das die Sinaraner für stark genug hielten, um die Kräfte des Kristalles im Zaum zu halten. Die Sinaraner kalkulierten mit den Erfahrungen, die sie mit ihm gemacht hatten, bevor er ihnen gestohlen wurde. Sie konnten nicht ahnen, dass er sich in der Zwischenzeit weiterentwickelt und die Art seiner Kräfte sich verändert hatte. Hätten sie es geahnt, wären sie vielleicht nicht mehr so hoffnungsvoll an ihr Vorhaben herangegangen. Andererseits war es ihre einzige Möglichkeit, sich mit ihren Körpern wiederzuvereinigen. Schließlich hatten seine Kräfte einst die Abspaltung ihrer Seelen von den Körpern bewirkt. Dieser Prozess hatte den Sinaranern gerade noch genug Zeit gelassen, die lebenserhaltenden Maßnahmen für ihre Körper zu vollenden. Tatsächlich wurde der Kristall erst anschließend von den Ax´lán in ihren Besitz gebracht. Aber die genaue Chronologie war selbst den Sinaranern nach so langer Zeit nicht mehr gegenwärtig.

      Der Glasschrank war nicht eigens für das folgende Verfahren gebaut worden. Er gehörte einst zu der Grundausstattung der sinaranischen Expedition. An der Vorderseite waren zwei Hebel befestigt, mit denen Greifarme im Inneren des Behälters gesteuert werden konnten. Dort sollten jetzt die Fragmente zusammengesetzt werden.

      „Bevor wir beginnen, müssen wir euch noch etwas sagen“, erklärte Gnum. „Ihr seid in Sorge um eure zeitverschollenen Freunde. Während ihr die Fragmente von eurem Raumschiff geholt habt, haben wir versucht, ihre Aufenthaltszeit herauszufinden. Es ist uns gelungen. Sie befinden sich genau vier Tage und siebenkommazwei Stunden in der Vergangenheit. Der Ort ist immer noch der, an der die Ruine der Seefestung sich befand. Vielleicht sollten wir sagen, befinden wird, aber das ist zu kompliziert. Diese Auskunft wird euch nicht weiterhelfen und wir können nichts für sie tun. Aber vielleicht könnt ihr später noch etwas damit anfangen. Leider konnten wir nicht feststellen, ob sie noch leben.“

      „Das erscheint mir tatsächlich nicht viel“, meinte Taligh.

      „Ich fürchte, ohne Hilfe liegt zwischen uns ein unüberbrückbarer Graben, ein Graben aus Zeit“, sagte Neneema. „Ich danke euch trotzdem. Vielleicht kann es uns wirklich nützen, obwohl ich im Augenblick nicht wüsste, wie.“

      „Wir werden uns jetzt zu unseren Brüdern zurückziehen“, erklärte Osir. „Es ist wichtig, dass wir uns bei unseren Körpern aufhalten, wenn der Kristall beginnt, seine Kräfte zu entfalten. Geht vor, wie wir es besprochen haben. Wir können nicht sagen, wie lange es dauern wird und auch nicht, ob es Nebenerscheinungen geben wird. Doch habt keine Angst. Öffnet nicht die Tür dort, bevor wir es selbst tun. Ich hoffe, wir werden uns in Kürze in leiblicher Gestalt gegenüberstehen.“

      Er hatte versucht, seine Anweisungen entschieden zu geben, aber Taligh und Neneema hatten den beunruhigten Klang in der Stimme nicht überhört. Er war verständlich, denn die Folgen dessen, was sie vorhatten, waren nicht so berechenbar, wie sie es wünschten. Gnum und Osir verblassten und verschwanden.

      „Dann wollen mir einmal“, meinte Taligh mit gemischten Gefühlen.

      Richtig wohl fühlten sich auch Neneema und Taligh nicht, denn sie konnten nicht ausschließen, dass die Kräfte des Kristalles auch auf sie wirkten. Taligh erinnerte sich an den Augenblick, als auf der Insel Kaphreigh die Welt um sie herum in einem gewaltigen Wirbel zu versinken drohte, mit ihnen in seiner Achse, doch er schob diesen Gedanken entschlossen von sich. Jetzt hatte es keinen Sinn mehr, durch überflüssiges Zögern Zeit zu verlieren.

      Er öffnete die Kiste, in der sie die Fragmente nach Elveran gebracht hatten, und legte die einzelnen Behälter mit den Fragmenten durch eine seitliche Klappe in den Glasschrank. Dann verschloss er die Klappe sorgfältig. Anschließend betätigte er einpaar Knöpfe an einem Schaltschrank und schob langsam einen kleinen Hebel vor, so, wie die Sinaraner es ihnen erklärt hatten. Es geschah nichts, außer dass sich ein leichtes Flimmern um den Glasschrank legte, aber auch darauf hatte Osir sie vorbereitet. Es gab kein Summen, Knistern oder Brummen, alles ging vollkommen lautlos vonstatten. Das Flimmern jedoch bewies, dass sich das schützende Kraftfeld um den Glasschrank gelegt hatte. Als sich Taligh davon überzeugt hatte, dass alle Kontrollämpchen grün leuchteten, meinte er:

      „Jetzt bist du dran, Neneema.“

      Ihr fiel die Aufgabe zu, den Kristall zusammenzusetzen.

      Mit erstaunlich ruhiger Hand und als hätte sie so etwas schon öfter getan, zog sie mit den Greifarmen ein Fragment nach dem anderen aus seinem Behälter und legte die Stücke säuberlich nebeneinander: violett, silbern, grün, gelb, türkis, blau, rosa. Nichts geschah. Vordergründig harmlos, glitzerten ihre Flächen in dem grellen Licht der Arbeitslampe.

      Es war ein kleines Puzzlespiel, denn sie musste erst herausfinden, wie die Teile zusammenpassten. Das war nicht sofort ersichtlich. Schließlich setzte sie den Chrysalkristall in umgekehrter Reihenfolge zusammen, wie sie die Fragmente entnommen hatte.

      Taligh stand angespannt und schweigsam ein wenig abseits, um Neneema bei ihrer Arbeit nicht zu stören. Jedes Mal, wenn sie wieder ein Stück eingepasst hatte, versteifte er sich unwillkürlich, weil er mit irgendwelchen Nebenwirkungen rechnete, doch es geschah immer noch nichts. Bis dem Kristall das letzte Fragment eingefügt worden war, behielten die anderen sogar ihre Farbe. Dann ging eine wunderbare Veränderung mit ihm vor sich. Er fing an zu funkeln und die Farben liefen ineinander und erzeugten Wellen und Wirbel auf seinen Oberflächen, während die Stücke zusammenwuchsen. Neneema trat einen Schritt zurück.

      Es dauerte eine geraume Zeit, ehe sich die Farbspiele beruhigten und der Kristall seine ursprüngliche Farbe hergestellt hatte. Und dann begann er, in einem glänzenden, goldenen Licht zu erstrahlen.

      Jetzt verstanden Neneema und Taligh, woher der Chrysalkristall seinen Namen hatte. Der ganze Raum wurde in einen goldenen Glanz getaucht. In ihrem weltentrückten Erstaunen vergaßen die beiden sogar zu überprüfen, ob die Energien des Kristalles eingefangen und in den Nebenraum weitergeleitet wurden. Erst nach einer Weile fassten sie sich wieder. Der Kristall strahlte unvermindert und Neneema verdunkelte das Glas der Schrankwände.

      „Es scheint zu funktionieren“, meinte Taligh. „Die Anzeige bestätigt einen erhöhten Energiefluss in die Geräte des Nebenraumes.“

      Jetzt galt es abzuwarten.

      Als das letzte Fragment mit ihm vereinigt war, erwachte der Kristall zu bewusstem Leben und stellte fest, dass er wieder einmal in einem energetischen Käfig steckte. Und gleichzeitig fühlte er, wie ihm ein Teil seiner Kraft entzogen wurde. Es war nicht existenzbedrohend, aber unangenehm. Er hätte dem Zustand unmittelbar ein Ende bereiten können, aber er wollte nicht voreilig handeln. Zuerst wollte er herausfinden, was da mit ihm geschah. Er hatte keine Angst. Er brauchte keine Angst zu haben. Er war aber neugierig. Nach all den Jahrhunderten der Auflösung stellte er fest, dass er die Neugierde, die ihn einst erfüllt hatte, immer noch besaß.

      Er erblickte die beiden Menschen, die außerhalb dieses seltsamen Glaskastens gebannt auf ihn starrten. Vorsichtig tasteten seine Gedanken nach den ihren. Sie gehörten offensichtlich keinem Volk an, das in die einstmaligen