Stephan Meidel

Die Route des Todes


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Tal und dahinter erhoben sich eindrucksvoll mehrere zerklüftete Felsenkämme. Er sah auf die Uhr. 16: 30 Uhr. Die Sonne nahm bereits langsam eine leicht rötliche Färbung an. Lange würde er nicht mehr Licht haben. Vielleicht war es das Beste, wenn er sich bereits jetzt nach einem Lagerplatz umsah.

      Kanarische Inseln, einen Monat später

      Ihr Wecker klingelte und Sarah Carter drückte verschlafen die Schlummertaste, bevor sie sich wieder in die Laken wühlte und sich ihr Kissen über den Kopf zog.

      Sie hatte lange genug geschlafen, das wusste sie, aber sie wollte trotzdem noch nicht aufstehen. Zu gemütlich waren die Laken und zu angenehm war vor allem das hervorragende Doppelbett. Auch doppelt gefedert wie ihr das Zimmermädchen stolz erklärt hatte. Viel besser auf jeden Fall als ihr eigenes Gestell zuhause in Westchester. Aber das war ja auch kein Wunder. Ihr eigenes Bett musste bestimmt an die hundert Jahre alt sein. Zumindest sah es von außen so aus mit seinen holzverzierten Schnörkeln und Ecken. Ziemlich kitschig, aber damals hatte sie es aus unerfindlichen Gründen schön gefunden. Das dunkel gemaserte Holz, dieser Hauch von Geschichte und Verfall. Aber eben nichts, worin man angenehm und wohlig schlafen konnte. Und daran änderte auch ihre therapeutische Matratze und die endlosen Massagetermine nichts. Allerdings war sie zu dieser Schlussfolgerung erst jetzt gelangt. Ihre Rückenschmerzen waren seit sie sich im Urlaub befand wie von Zauberhand verschwunden. Es war reinste Magie. Oder eben auch nicht. Davor hatte sie die Schmerzen stets auf ihren Beruf zurückgeführt. Eine Tätigkeit am Schreibtisch war ja schon so etwas wie die Garantie für Rücken oder Nackenschmerzen. Jedenfalls las man das überall. Und so hatte sie nicht einmal die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass etwas anderes die Ursache hätte sein können.

      Langsam begann die Luft unter dem dicken Kissen stickig zu werden. Sie zog es vom Gesicht und blinzelte in die Helligkeit, die in dem Zimmer herrschte, obwohl sie die Vorhänge komplett zugezogen hatte. Draußen musste fantastisches Wetter herrschen. So wie eigentlich immer, seid sie hier war. Es hatte seit ihrer Ankunft vor einer Woche nicht einen schlechten Tag gegeben. Nur einmal hatte es für kurze Zeit am Morgen für eine oder zwei Stunden geregnet. Wenn sie sich recht erinnerte musste das am Dienstag gewesen sein. Aber ansonsten hatte nur die Sonne geschienen und vom Meer her hatte stets eine leichte Brise geweht.

      Noch einmal drehte sie sich im Bett herum, aber als sich der Schlaf nach ein paar Minuten immer noch nicht einstellen wollte, schälte sie sich schließlich mühsam aus den Laken, stand auf und trottete ins Badezimmer. Der Tag begann.

      Kanada, nordöstliches Ontario 28. April

      Langsam und verschlafen krabbelte Paul aus dem Zelt und sah sich um. Sein Feuer von gestern Abend war ausgegangen und nur noch eine dünne Rauchsäule stieg davon auf. Gut, dass er wenigstens nicht lange nach Feuerholz hatte suchen müssen. Die umgestürzte Kiefer, die er gefunden hatte, hatte ihm genug Brennholz für den ganzen Abend beschert. Glücklicher Zufall. Er wusste, dass das in der Wildnis selten genug vorkam. Vor allem in einer abgelegenen Gegend wie dieser. 20 Kilometer von der nächsten Ansiedlung entfernt.

      Er zog die zerknitterte Landkarte aus der hinteren Hosentasche und faltete sie auseinander. Wohin musste er heute gehen? Das Tal, in dem er sich noch befand folgte, so wie es aussah noch eine Zeit lang dem Bachlauf von gestern und endete dann. Danach würden ihn, wenn er sich nicht irrte nur Gipfel über 2000 Meter erwarten. Nicht gerade sehr erstrebenswert. Seine Füße und vor allem seine Blasen, die er seit drei Tagen hatte würden sich bei ihm bedanken. Nein, es wäre dumm gewesen, diesen Weg zu nehmen. Es musste eine Alternative geben. Er studierte die Route im Osten.

      Wenn er über den Pass ging, auf den er ohnehin zusteuerte, dann würde er in ein weiteres Tal gelangen, dass in einer weiten Schleife genau auf seinen Zielort zulief. Ein kleines Städtchen namens Askoton. Wenn er richtig recherchiert hatte ein winziges Nest mit kaum mehr als 500 Einwohnern. Zwar lagen dann immer noch zwei weitere Pässe vor ihm, aber der Weg schien um ein Vielfaches einfach er zu sein als die erste Route. Er war also instinktiv in die richtige Richtung gelaufen. Er pfiff durch die Zähne. Das war ja nicht zu fassen. Er hatte schon wieder Glück gehabt und das schon zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden. Wenn jetzt hinter dem nächsten Baum ein Stand mit Lotterielosen auftauchen würde, er hätte mit Sicherheit eines gekauft und mit seinem derzeitigen Glück wahrscheinlich auch noch direkt den Hauptgewinn gezogen.

      Er faltete die Karte wieder zusammen und steckte sie weg. Dann machte er sich daran, sein Zelt abzubauen. Zuerst zog er das Hauptseil an seiner Befestigung aus dem Boden und machte sich dann daran, das gleiche mit den Heringen anzustellen. Einen nach dem anderen und dann zuerst alles aus dem Zelt herausräumen, bevor man die Hauptstreben auseinanderbaute. Dieser Fehler war ihm an den ersten Tagen gleich zweimal unterlaufen. Aber nun nicht mehr, schließlich lernte sogar er noch dazu. Stolz überkam ihn. Und das mit 42 Jahren. So lange hatte es gedauert, bis er es fertig gebracht hatte überhaupt das erste Mal ein Zelt aufzuschlagen. Eigentlich ein wenig peinlich, wenn man bedachte, dass die meisten Kids unter 10 Jahren mehr Erfahrung im Campen hatten als er. Aber was sollte es. Schließlich konnte man in jedem Alter noch seine Fähigkeiten verbessern. Gut nur, dass ihn niemand gesehen hatte, als er es zum ersten Mal im Garten vor seinem Haus ausprobiert hatte. Es wäre mit ziemlicher Sicherheit peinlich geworden.

      Er rollte den Schlafsack zusammen und verstaute ihn in seinem Rucksack. Er war immerhin schlau genug gewesen, es nicht am helllichten Tag zu tun.

      Wie lange er doch beim ersten Mal dafür gebraucht hatte.

      Der Gedanke daran entlockte ihm ein leises Lachen während er die letzten Utensilien, Taschenmesser und Feuerzeug, in eine der Seitentaschen des Rucksacks schob und ihn sich auf den Rücken lud. Mit einem leisen Ächzen stand er auf und trampelte zur Sicherheit noch ein wenig auf der bereits erloschenen Feuerstelle herum. Er würde kein Risiko eingehen.

      Kanarische Inseln, einen Monat später

      „Willkommen im Calvedere“, las Sarah auf dem kleinen geknickten Kärtchen, das oberhalb der Waschbecken auf der Ablage vor dem riesigen Spiegel stand. Mittlerweile schaute sie sich das kleine Stück Papier bestimmt schon zum fünfzigsten Mal an. Es sprang einfach ins Auge, wenn man nur das Bad betrat. Man musste es aber auch bemerken, wenn man sich ins Bad legte oder nur unter der Dusche stand. Natürlich beabsichtigt und bestimmt verbarg sich dahinter auch irgendein psychologischer Trick, aber sie warf trotzdem ein ums andere Mal einen kurzen Blick auf die schönen geschwungenen Lettern.

      Es war mittlerweile 9: 45Uhr. Noch eine Viertelstunde war das Buffet geöffnet. Sie musste sich beeilen, wenn sie noch unten im großen Speisesaal frühstücken wollte. Aus diesem Grund musste auch das Kämmen und Schminken heute ausfallen. Einfach nur das Basisprogramm. Wie als Kind, als Worte wie Lockenstab und Eyeliner in ihrem Wortschatz noch keine Rolle gespielt hatten.

      Sie zupfte deshalb nur ein wenig an ihren Haaren herum und betrachtete sich einmal prüfend im Spiegel. Was sie sah gefiel ihr. Sie sah aus, wie ein richtiger Wildfang. Ihre braunen Haare waren ein wenig aber nicht zu sehr zerzaust und ihre Lippen gefielen ihr ohne Lipgloss sogar fast besser. Es wirkte natürlich und irgendwie unbeschwert und ihre blauen Augen begannen bei dem eigenen Anblick unternehmungslustig zu glitzern.

      Sie ging aus dem Bad und zog eine kurze weiße Jeanshose und dazu ein blaues Seidenhemd an, steckte sich ihre Sonnenbrille in die Brusttasche und verließ mit der Schlüsselkarte in der anderen das Zimmer.

      Jetzt musste sie nur noch überlegen, was sie heute tun wollte. Sie zögerte. Zuerst einmal frühstücken, das war klar und danach? Sollte sie wie gestern zum Strand gehen und erst einmal eine Runde mit einem der dort zur Vermietung angebotenen Jetskis fahren? Oder sollte sie bei ihrer Reiseleiterin vorbeischauen und eine Fahrt auf eine der übrigen Inseln organisieren? Sie schüttelte den Kopf und ermahnte sich selbst.

      „Keine Pläne, keine Pläne“ Fast wie ein Mantra murmelte sie die Worte vor sich hin. Es war verlockend,