Eva Siebenherz

Die sieben Masken des Teufels


Скачать книгу

bekam ein Dokument in die Hand gedrückt, in dem ganz detailliert beschrieben war, wie ich in Untersuchungshaft gekommen bin.

      Angeblich war ich ein so genannter »Selbststeller«. Heißt, man bekommt den Termin, zu dem man sich selbst im Gefängnis zu melden hat. Und angeblich habe ich das auch getan. Ich las das und überlegte gleichzeitig angestrengt. Hier stand auch, dass es eine Gerichtsverhandlung gegeben hatte. Ich tat so, als würde ich weiterlesen, stellte mir jedoch im Augenblick selbst ganz andere Fragen. Warum soll ich das lesen, bestätigen und unterschreiben? Was steckt dahinter? Warum soll ich glauben, was dort steht?

      Ich sah Hr. Schmidt starr in die Augen, er erwiderte diesen Blick.

      Seine Augen waren so kalt, dass ich meinte, sofort erfrieren zu müssen. In diesem Augenblick geschah etwas höchst Seltsames. Der Raum verwandelte sich langsam, aber stetig in eine Landschaft, getaucht in unnatürliches hellblaues Licht. Eine weite, hügelige Landschaft mit einem babyblauen Himmel, aus dem lautlos viele dicke hellblaue Flocken fielen. Alles sah aus, als hätte man eine dicke hellblaue Decke ausgebreitet. Alles um mich herum wirkte seltsam surreal-psychotisch und es wurde immer kälter und die Landschaft immer entrückter. Ich fühlte eine seltsame Erregung in mir hochsteigen. Da war jemand! Ich war nicht allein!

      Ich kniff die Augen zusammen, um besser sehen können. Ich sah, wie sich zwei Bäume durch die Decke streckten, Äste wuchsen links und rechts aus ihnen heraus und ihre Enden wurden zu Krallen. Diese Krallen hielten eine kleine Gestalt fest umklammert, gehüllt in einen gelben Schlafanzug mit einem Clown darauf. Ich zog pfeifend den Atem ein. In diesem Moment hob die kleine Gestalt den Kopf und sagte mit einer hohen, dünnen, unglaublich zarten Stimme:

      »Mama, ich habe dich lieb«. In mir löste sich ein Schrei und ich wollte zu Fabian laufen, war aber unfähig, mich von der Stelle zu bewegen. Heiße Verzweiflungstränen liefen mir übers Gesicht.

      Ich kämpfte einen stummen Kampf, denn kein Ton entrang sich meiner Kehle. Grelles Licht nahm mir plötzlich jede Sicht. Schläge holten mich in die Wirklichkeit zurück.

      Ich begann innerlich Goethes Zauberlehrling zu rezitieren. Nicht denken. Nicht fühlen. Alles was überflüssig war in meinem Kopf blendete ich aus. Vakuum. Mit dickflüssiger Stille gefüllter Raum. Schemenhaft nahm ich Schmidt wahr. Statt der Kälte wurde es plötzlich drückend heiß und die Luft schmeckte abgestanden. »Antworten Sie!« Diese Stimme zerriss plötzlich die Stille. Ich weiß nicht, wie ich tatsächlich im Gefängnis angekommen bin.

      Auch an eine Gerichtsverhandlung kann ich mich bis heute nicht erinnern. Mir wurde von Hr. Schmidt mitgeteilt, dass ich wegen Vernachlässigung der Erziehungs- und Aufsichtspflicht und wegen schwerster Kindesmisshandlung an meinen beiden Söhnen Benjamin und Fabian zu 22 Monaten Freiheitsentzug verurteilt worden sei. Wie bitte? Man hatte mich doch wegen angeblicher Prostitution verhaftet. Mir stellte sich die nächste Frage: Was würde mit mir passieren, wenn ich nachfragte?

      Oder stimmte das, was die dort notiert hatten, und ich wusste es bloß nicht mehr? Meine Zweifel sah man mir wohl an, denn ich wurde gefragt, ob etwas an dem Inhalt nicht stimme.

      »Ich weiß es nicht« war meine Antwort und das war die Wahrheit.

      Doch es passierte nichts. Noch nicht. Ich sah das Glas vor mir stehen. Ich hatte abgelehnt es zu trinken. Es war leer. Aber ... Kein »Aber«, es war so. Punkt. Und ich unterschrieb das Dokument.

      Diese Verhöre und die Spielchen dieses Hr. Schmidt, verbunden mit Schlafentzug, Einzelhaft und Misshandlungen, waren zerstörerisch angelegt. Sie zerstörten dein Selbstvertrauen, dein eigenes Ich.

      Angst und Verwirrung hatten bei mir schon lange eingesetzt.

      Ich war nicht nur offiziell eingesperrt, und in meiner eigenen Haut gefangen,.

      Nein, ich war auch unfähig an diesem Zustand etwas ändern zu können. Erniedrigungen waren an der Tagesordnung. Schmidt änderte seine Vorgehensweise manchmal minütlich. Von einer subtilen Befragungsmethode zur nonchalanten Plauderei, übergehend zu brutalen Misshandlungen, die er aber nicht selbst ausführte. Er befahl sie. Irgendwann bezeichnete er mich als nymphomanisches Wesen, das in LB und KMST die Funktion einer »Stadtmatratze« für die männlichen Bewohner innegehabt hätte. Und dass das der Grund sei, warum sich meine gesamte Familie von mir zurückgezogen hatte. Diese Information überraschte mich nicht, für meine Familie war ich sowieso das Letzte, damit wäre diese Info nur eine Bestätigung für sie. Nun ja.

      Ich hatte tatsächlich keine Ahnung, was in diesen vergangenen vier Monaten passiert ist. Ich wußte nicht, wo ich war. Wie lange ich an einem Ort war und wann ich zum nächsten gebracht wurde. Es kann auch sein, dass das alles nur so aussehen sollte und ich immer am selben Ort war. Als ich in der

      Untersuchungshaftanstalt Karlsberg in KMST ankam, war es September. Sicher, ich habe vorher schon einmal geschrieben, dass ich dort war. Es kann sein, dass ich zwischendurch irgendwo anders war. Es kann auch sein, dass ich die ganze Zeit dort in irgendeinem Keller war. Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich nur direkt an diesen einen Tag und deshalb verbinde ich ihn mit meiner »Ankunft« (egal die wievielte das vielleicht war) in diesem Gefängnis.

      Ich wurde durch mehrere Türen und Gitter geschleust. Tür aufschließen, hindurchtreten, zuschließen. Gitter aufschließen, hindurchtreten, zuschließen.

      Je mehr wir in die Tiefe des Gefängnisses eintauchten, umso mehr steigerte sich meine Angst und die Ahnung, dass ich gerade den Vorhof zur Hölle betrat. Irgendwann stand ich in einem grauen kahlen Raum mit einer Art Theke.

      Daran schloss sich eine Tür an. Aus dieser trat jetzt eine Aufseherin (Wachtel) und befahl mir, mich auszuziehen.

      Der Blick und der Ton ließen keinen Widerspruch zu. Als ich in BH und Slip vor ihr stand, ging sie in einem Bogen um mich herum und schlug mir völlig unerwartet mit dem Gummiknüppel brutal auf den Hintern.

      »Runter mit den Klamotten, aber dalli!« Völlig nackt musste ich den nächsten Raum betreten. In dessen Mitte war ein Spiegel in den Boden eingelassen und an allen vier Ecken befanden sich große Strahler, die jetzt angeschaltet wurden. Geblendet hob ich den Arm vor meine Augen. In dem Augenblick stieß mich jemand nach vorn, bis ich auf dem Spiegel stand. Eine zweite Wachtel trat vor mich hin und schlug mir mit dem Gummiknüppel zwischen die Beine, bis ich breitbeinig auf dem Spiegel stand.

      Ohne Vorwarnung zerrte die Wachtel meinen Oberkörper durch einen Griff in meine Haare nach unten in eine waagerechte Position. Ich bekam Panik und versuchte mich zu wehren. Im selben Moment stieß mir jemand von hinten mit voller Wucht mehrere Finger in die Scheide und »wühlte« darin herum. Ich jaulte auf. Gleich darauf wiederholte sich das Ganze im Analbereich, um ein Vielfaches brutaler. Ich schrie, da traf mich der Gummiknüppel im Genick. Warum taten die das?

      Man hätte ja versuchen können, in bestimmten Körperteilen verbotene Gegenstände einzuschmuggeln.

      Auch, aber diese Aktion war nur der Anfang einer Kette von weiteren Demütigungen, die nur ein einziges Ziel hatten: Deinen Willen zu brechen und zwar so lange, bis du dich als Individuum aufgibst und widerspruchslos alles akzeptierst und tust, was man dir befiehlt. Mich traf ein Tritt in den Hintern und ein zweiter und dritter, bis ich im Baderaum angekommen war. Zur Entlausung!

      »Ich habe keine Läuse«, sagte ich. Das war in diesem Moment völlig irrelevant. Zwei weibliche Strafgefangene traten auf mich zu und befahlen mir die Arme zu heben. Ich spürte einen scharfen Schmerz in der Achsel.

      Mir wurden die Haare entfernt, auch im Schambereich und das absolut rücksichtslos. Anschließend musste ich in eine übelriechende Wanne steigen.

      Das Wasser war eiskalt. Ich zögerte, wurde von hinten gepackt, in das Becken gestoßen und untergetaucht. Meine Hände suchten nach Halt, rutschten jedoch immer wieder ab, ich ruderte wie wild mit den Armen. Die Luft wurde knapp. Da wurde ich herausgezogen. Mein ganzer Körper wurde mit Desinfektionsmitteln eingeschmiert und dann wurde ich wieder untergetaucht. Kurz bevor ich meinte zu sterben, durfte ich auftauchen und rang nach