Eike Ruckenbrod

Das Wolkenreich


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davon, sonst gibt es mächtigen Ärger … Die vermisst mich bestimmt schon wieder.

      Meju schnaubte.

      Namatani, die Hohepriesterin, hatte die Verantwortung für die ganze Schar der Sonnenkinder und das war oftmals schlimmer, als eine Herde wilder Fohlen zu hüten. Vor langer Zeit hatten die weißen Wölfe, die mindestens so groß waren wie die Fohlen, der Priesterin geholfen, die Kinder und Pferde zusammenzuhalten. Aber die waren allesamt auf einen Schlag spurlos verschwunden.

      Plötzlich schnellte ein Einhorn hinter einer dichten Wolke hervor und sprang direkt vor Mejus Hufe. Die Stute stoppte so abrupt, dass Riala nach vorn auf den Hals des Tieres kippte.

      Bist du verrückt! Was soll das?, fuhr sie den Jungen in Gedanken an, der frech grinsend auf seinem freudig brummelnden Hengst saß. Dieser war zum Leidwesen seines Verbundenen noch grau und sein Horn nur halb so lang wie Mejus.

      Hallo Ria, was treibst du so allein hier draußen?, fragte der schmächtige Junge auf Gedankenebene.

      Das geht dich gar nichts an, Kesimo!, erwiderte sie heftig.

      Sehr wohl, denn die Hohepriesterin sucht dich schon überall und ich hab mich bereit erklärt, dich zu suchen.

      Das Mädchen blickte den knabenhaften Jungen, dessen orangene Haare wie Eiszapfen vom Kopf standen, genervt an und ritt kommentarlos an ihm vorbei. Kesimo heftete seinen Hengst augenblicklich an Mejus Hufe. Fasziniert betrachtete er Rialas zerzauste Locken, die bis auf Mejus Rücken fielen. Das Mädchen spürte seinen Blick und galoppierte ihm mit raumgreifenden Sätzen davon.

      Namatani sah erleichtert auf, als sie Riala, und in einigem Abstand auch Kesimo, kommen sah. Ihr war bewusst, dass sie auf dieses Mädchen ganz besonders aufpassen musste, denn Riala war außerordentlich wissbegierig, neugierig und übermütig. Außerdem trug sie das rote Mal. Dieses Mal trugen nur Sonnenkinder, die mit einer besonderen Gabe gesegnet waren. Aber niemand wusste, um was für ein Geschenk es sich handelte, bis es sich irgendwann offenbarte. Sorgenvoll blickte Namatani zu Riala, die mit ihrer verbundenen Stute auch noch die Schnellste von allen war. Nicht einmal die Jungs mit ihren Hengsten konnten ihr das Wasser reichen. Nur ein einziger kämpfte unerschütterlich mit ihr um den höchsten Rang, das war Jolanis, der älteste Sonnenjunge. Er ritt einen prächtigen Hengst, der Meju in absehbarer Zeit schlagen würde.

      Einige Zeit später lag Riala nachdenklich auf dem Rücken ihrer Stute und starrte Löcher in die Wolken. In weichen Wogen fielen ihr hauchdünnes, blaugrünes Kleid und ihre langen Locken seitlich am Einhorn hinunter. Das Mädchen teilte dem Tier ihre bedrückenden Gedanken mit: Ich glaube, es ist doch besser, wenn ich erst mal von den grauen Wolkenbergen fern bleibe, meine Stirn wurde ja fast zu Eis, als mich die unheimliche Stimme rief. Wie muss es einem dann ergehen, wenn man sich zwischen den grauen Wolken befindet, da friert man sicher erbärmlich …

      Hallo Ria, träumst du?, drang eine männliche Stimme in ihr Bewusstsein. Das Mädchen setzte sich auf und erblickte Jolanis. Schön und stolz wie ein Herrscher, saß dieser auf seinem edlen Hengst Kah. Unter seinem Gewand, das er mit einem goldenen Band zusammenhielt, bildeten sich feste Muskeln ab. Sofort wurde ihr warm uns Herz und ihr makelloses Antlitz erhellte sich.

       Hallo, Jolanis.

       Na, liebe Ria, langweilst du dich?

       Nein, ich denke nach.

      Jolanis' ebenmäßiges Gesicht bekam einen ironischen Ausdruck. Machst du dir Gedanken, wie es sein wird, wenn du gegen mich verlierst?

       Du bist mal wieder sehr charmant.

       Wie sieht's aus? Hast du Lust auf ein kleines Wettrennen?

      Riala blickte kritisch auf Kahs Horn, das schon ein winziges Stück länger war als Mejus, und fragte: Willst du unbedingt wieder verlieren?

      Der attraktive Junge schwieg und lächelte siegesbewusst.

      Riala lachte ungläubig. Noch ist es nicht so weit. Aber ist es nicht zu neblig, um mir Kahs Schnelligkeit zu beweisen?

      Jolanis ging nicht auf ihre Bedenken ein. Es war öfters der Fall, dass Nebel vom Nebelreich zu ihnen ins Sonnenreich drang, oder, von der anderen Seite, Wind vom Windreich. Er fand das nicht schlimm, im Gegenteil.

       Komm, stell dich nicht so an! Du willst es doch auch.

      Nachdem das Mädchen nicht reagierte, fügte er noch stichelnd hinzu: Du kannst dir ja denken, dass Meju bis jetzt nur gewonnen hat, weil Kah sie gewinnen ließ …

      Riala blitzte ihn mit ihren eindrucksvollen, türkisfarbenen Augen an. Dabei vergrößerte sich ihre dreieckige Pupille merklich.

       Reize mich nicht zu arg, sonst galoppiert Meju noch viel schneller, angespornt durch meinen Zorn!

      Der Junge lachte mit tiefer Stimme. Riala schmolz gegen ihren Willen dahin. Er war so unglaublich gut aussehend, mit seinen schulterlangen, dunkelblauen Haaren, die er mit einem geflochtenen Stirnband aus Schweifhaaren, aus dem Gesicht hielt, und den dunkelgelben Augen, dass sie ihm augenblicklich verzieh. Aber eine kleine Lektion hatte er schon verdient.

       Also gut, ich bin bereit, dich zu schlagen!

      Kaum hatte sie den Gedanken gesandt, schnaubte Meju und scharrte so fest mit dem Vorderhuf, dass Wolkenteilchen aufwirbelten. Auch sie war bereit.

      Nachdem sich Jolanis vergewissert hatte, dass Namatani sie nicht beobachtete, ritt er voran. Rasch verschluckte der sanfte Nebel die Reiter. Sie ritten zwischen Bergen von Wolken hindurch, die in Größe, Form und Beschaffenheit ganz unterschiedlich waren. So konnten einige von ihnen wunderbar als Baumaterial verwendet werden.

      Meju folgte trippelnd dem Hengst. Ständig versuchte sie, ihn zu überholen. Riala streichelte beruhigend den Hals der Stute, der nun hoch aufgerichtet war.

       Sei ganz ruhig meine Hübsche. Gleich kannst du zeigen, was du kannst. Nur Geduld …

      Der Junge bog hinter einer dichten Wolkenwand ab, sodass sie vor jeglichen Blicken sicher waren.

       Jetzt können wir. Bist du bereit?

       Auf drei geht’s los!

      Meju warf ihre Mähne wild um sich und wieherte schrill. Augenblicklich antwortete Kah.

      Zusammen zählten sie auf drei und schon schossen die Einhörner los. Ihre Hufe hinterließen tiefe, runde Abdrücke im weichen, aber äußerst stabilen Wolkenteppich. Riala beugte sich weit nach vorne über den Einhornhals und lachte übermütig. Sie liebte diese wilden Rennen über alles und konnte niemals genug davon bekommen, da hatte Jolanis mal wieder recht gehabt.

      In Windeseile entfernten sich die Tiere, Kopf an Kopf, vom Schlossgelände und dem Einfluss der Hohepriesterin. Sie preschten an sanft ansteigenden Wolkenhügel vorbei und sprangen über kleine Wolkenbänke. Unendliche, weiße Weite umgab sie. Nichts, das sie aufhalten konnte

      Die Reiter konzentrierten sich nur auf den Sieg und achteten nicht auf die Richtung, die sie eingeschlagen hatten. Hart pfiff ihnen der Gegenwind ins Gesicht und riss an ihren langen Haaren und Kleidern. Nebeltröpfchen setzten sich auf die Wettstreiter und ließen sie feucht glänzen.

      Tränen verschleierten Rialas Blick, als Kah ein Stück weit aufholte. Riala glaubte ihren Augen nicht zu trauen, rieb die Tränen mit einer hastigen Bewegung weg und trieb ihre Stute energisch an: Nein, das darf nicht sein, du musst gewinnen! Los lauf! Lauf!

      Meju galoppierte so schnell sie konnte und holte den Vorsprung wieder auf. Riala war so im Rennfieber, dass sie nicht merkte, wie die Temperatur immer niedriger und die Wolkenteppiche dunkler wurden. Schon kroch ihr die Kälte in die Fingerspitzen und in die nackten Zehen. Jolanis trieb Kah hart an, denn nun wollte er es wissen. Mit weit ausholenden Galoppsprüngen gelang es dem Hengst, die Geschwindigkeit zu erhöhen und Meju fiel nach ein paar Sprüngen auf Schulterhöhe zurück.

      Riala