Jules van der Ley

Die schönsten Augen nördlich der Alpen


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es aber beispielsweise wir hätten uns zur Besprechung einer Seminararbeit in Zimmer soundso zu melden, gelegen im Haupttrakt der 2. Etage, wo wir noch nie eine Tür offen gefunden hatten, gingen wir also hin und klopften an so eine Tür, wurde flugs von innen „Herein!“ gerufen, zumindest aber irgendwas Unwirsches geknurrt. Und traten wir ein, sahen wir eine Sekretärin mit der leeren Kanne in den Nebenraum gehen, wo sie aus dem Hahn überm Waschbecken Wasser holte – um dann zurückzukommen und das Wasser in die Kaffeemaschine zu gießen und mit dem Rest die Blumentöpfe auf der Fensterbank zu fluten. Da wir diese Szenerie nicht einmal vorfanden, sondern dreimal hinter unterschiedlichen Türen, einigten wir uns darauf, dass uns ein kosmisches Prinzip vor Augen geführt wurde: Erst just wenn wir bestellt waren und an die besagte Tür klopften, wurde der Raum dahinter erschaffen, mitsamt Sekretärin, leerer Kaffeekanne und vertrockneter Fensterblumen. Dieses kosmische Prinzip hatte etwas Unerbittliches, gleichsam Ehernes, denn allein der Wunsch, eine gießende Sekretärin zu beobachten, reichte nicht, wie wir in folgenden Testreihen herausfanden. Immer musste ein höherer Grund vorliegen, – wir mussten bestellt sein, um eine solche Sekretärin vorzufinden.

      Hier wäre zwischendurch zu erwägen, wie denn eine gerade erst entstandene Sekretärin sich erlebte. Wurde sie sich urplötzlich ihrer selbst bewusst mit einer leeren Kanne in der Hand, wenn’s an die Tür klopfte? Dachte sie dann: „Huch, das bin ja ich! Und ich muss Wasser holen!“? Dann ein Blick zur Tür, wie sie langsam aufgeht und zuerst einen gebückten Großen, dann einen gereckten Kleinen einlässt. Es entzieht sich leider der Erkenntnis, ob im kosmischen Plan der Sekretärin vorgesehen ist, sich über den Größenunterschied zu erheitern. Wir fanden unterschiedliche Modelle vor. Mal wurde keine Miene verzogen, mal wurden die Augen erstaunt gerundet, mal glitt ein verstecktes Grinsen übers Sekretärinnengesicht.

      Wasser holen – ausgießen – nach dem Begehr fragen und eine maulfaule Auskunft geben, das sind die beobachtbaren Abläufe im kosmischen Plan einer solchen Sekretärin, weshalb sie den Vorgang des Wasserholens bis hin zum Ausgießen auch so recht auszukosten und in die Länge zu ziehen trachtet. Denn sobald Nebenmann und ich wieder gegangen waren, tauchte sie ja erneut in einen unwägbaren Dämmer, aus dem sie erst erwacht, wenn jemand an die Tür klopft, der hinbestellt ist.

      Ein Schluck Wasser – ahhh, das tat gut – und weiter: Ah, die ewigen Rätsel, wer den Menschen eigentlich hin- oder herbestellt, wo das kosmische Register geführt wird, in dem verfügt ist, welche Türen sich öffnen, wann und warum man eine Sekretärin beim Wasserholen zu sehen kriegt.

      Wie ich darüber nachdenke, welch trauriges Schicksal doch eine solche Sekretärinnenexistenz ist, dämmert mir, dass meine Existenz sich zwar hinsichtlich der Größe des Handlungs- und Erfahrungsraums von dieser bedauernswerten Sekretärinnenexistenz unterscheidet, dass sie aber von außen betrachtet ebenso enge Grenzen hat und ebenso unerbittlich ausformuliert ist. Freilich habe ich keine Ahnung, wer mir morgens an die Stirn klopft und somit mein Erwachen bestimmt.

      Aquarell

      Man kann ja tausend Sachen haben und Schubladen, die sich vor Zeug kaum noch bewegen lassen. Das schützt nicht davor, dass man just das nicht hat, was man gerade braucht. Ich will eine Straßenszene aquarellieren und habe kein kürschnerrot mehr. Glücklicher Weise bin ich vor acht Jahren, als ich mal einen Radiergummi gebraucht habe, da bin ich Mitglied in einem exklusiven Fachgeschäft für Künstlerbedarf geworden. In diesem sündteuren Geschäft residiert eine aparte Dame von ätherischer Schönheit an einem beinah quadratischen Infostand hinter der Theke und lächelt mich erwartungsvoll an.

      „Wo finde ich denn kürschnerrot?“

      Kunstvoll lackierte Fingernägel, jeder Fingernagel eine Miniaturlandschaft, eilen über eine Computertastatur. Mit Blick auf den Computerbildschirm verzieht sie ihren sorgsam geschminkten Mund zur Schnute.

      „Hm, kürschnerrot fehlt! Seltsam, wir haben erst vorige Woche eine neue Charge bekommen.“

      „Charge? Wie groß ist denn so eine Charge?“

      „Fünfundzwanzig Näpfchen!“

      „Nur fünfundzwanzig Näpfchen?! Warum bestellen Sie nicht mehr?”

      „Sie hören mich seufzen. Kürschnerrot ist in letzter Zeit immer schwerer zu bekommen.“

      „Warum?“

      „Dieser wunderschöne Rot-Ton wird ja aus überfahrenen Kürschnern gewonnen. Die werden halt immer seltener.“

      „Die Kürschner oder überfahren?“

      „Kürschner! Ach, diesen ehrbaren Handwerkern wird ja von fanatischen Tierschützern so das Leben schwer gemacht!“

      „Wir brauchen sie ja auch tot.“

      „Ein aussterbendes Handwerk, zweifellos.“

      „Bei den jährlich gut 4.000 Verkehrstoten sollten doch ein paar Kürschner sein.“

      „Offenbar nicht oft genug.“

      „Warum ausgerechnet Kürschner? Marderhaarpinsel gibt es ja inzwischen auch als Kunstmarderhaar.“

      „Nur Kürschner haben den speziellen Unterhautton. Er lässt sich nicht künstlich synthetisieren.“

      „Unterhautton?“

      „Wenn die Haut abgezogen ist.“

      „Was ist mit überfahrenen Bankstern oder Finanzmaklern?“

      „Unter der Haut kotzgrün.“

      „Politikern?“

      „Kackbraun.“

      „Journalisten?“

      „Rotzwichsgelb.“

      „Dass so schöne Lippen derart hässliche Wörter formen können, hätte ich nie gedacht.“

      „O, ich kenne noch andere! Was halten Sie von ‚Geschlechtsorgananomalien’? Darüber haben wir uns gestern noch in der Sauna unterhalten, als ein wirklich bizarrer Kerl vorbeikam.“

      „Brrr! Ach, wissen Sie was? Lassen wir das mit kürschnerrot. Ich will dann lieber doch keinen Verkehrsunfall aquarellieren. Mir ist grad ein bisschen schlecht.“

      Neulich in meinem Schlafzimmer

      Weil ich keine Läden an den Fenstern habe, ist es in meinem Schlafzimmer nicht stockdunkel, sondern die Dunkelheit hüllt mich in ein sanftes Tuch, leicht, duftig und transparent, so dass immer noch schemenhaft etwas zu sehen ist, solange ich die Augen offen halte. Neulich sah ich einen Schatten an der Zimmerdecke.

      Ich dachte: „Hören Sie mal, Herr Nachbar, das geht aber nicht, dass Sie Ihren Schatten durch meine Decke hängen lassen.“

      „Ja, was kann ich denn dafür? Der ist eben so schwer. Kommen Sie mal in meine Situation, dann ist ihr Schatten auch schwer. Die werden nämlich immer schwerer und sacken dann durch.“

      „Ach, und Sie sind ihn los? Auf meine Kosten verunzieren Sie meine makellose Zimmerdecke. Diese fatalistische Haltung ziemt sich nicht. Was würden Sie sagen, wenn Ihr Obernachbar seinen Müll einfach vor Ihre Wohnungstür stellen würde?“

      „Meine schweren Gedanken sind kein Müll.“

      „Aber es sind Ihre schweren Gedanken. Und die haben nicht durch meine Zimmerdecke zu hängen.“

      „Bitte schimpfen Sie nicht mit mir. Das macht mir großen Kummer. Ich habe doch schon genug davon. Erst heute hat mich einer nicht richtig zurück gegrüßt, sondern hat gesagt, er würde mich gar nicht kennen. Mehrmals habe ich ihn wieder gesehen, und jedes Mal hat er so komisch gegrinst, als würde er denken, da kommt wieder der Idiot, der mich zu kennen glaubt.“

      „Sie sind nicht aufrichtig und nennen mir nicht die wahre Ursache Ihres schweren Schattens. An guten Tagen würden Sie über den Vorfall schmunzeln.“

      „Gute