verblasste. Er war ein Fremder in diesem Dorf, in diesem Haus. Im Haus seines Vaters. Am Tisch seiner Mutter.
„Nein”, dachte er. Mühsam scheuchte er das Tier zurück in seinen Käfig am Rande seiner Gedanken.
„Du stehst unter dem Befehl des Fürsten!”, schrie der Vogt. „Wenn du dich widersetzt, wird deine Familie es büßen. Dein Dorf!”
„Erklärt ihm, was Ihr für ihn tun könnt”, sagte Brokk drängend. „Ihr hättet es gleich sagen sollen, Narr! Bevor er das Schwert gezogen hatte.”
„Deine Mutter!”, schrie der Vogt. Seine Stimme war hoch und wimmernd. „Der Fürst wird sie für deine Dienste entlohnen! Es wird ihr gut gehen! Willst du das aufs Spiel setzen?”
Die Worte erreichten Folke wie aus weiter Ferne. Er verstand ihre Bedeutung, aber das war nicht der Grund, warum er das Schwert in die Scheide steckte. Der Grund war eine Stimme im Nebel, die er nicht verlieren wollte. Das Tier im Schwert protestierte, heulte durch seine Gedanken wie ein Wolf, dann verschwand es irgendwo, versteckte sich, wartete, lauerte.
„Ist das wahr?”, fragte Folke.
„Auf mein Wort”, sagte der Vogt mit zittriger Stimme. „Ich habe es dir gleich sagen wollen, aber du bist weggelaufen.”
Folke schaute seine Mutter an, deren Mund noch geöffnet war von dem Schrei, der das Tier verscheucht hatte. Die Angst in ihren Augen konnte er kaum ertragen, aber die Angst würde von nun an in allen Augen sein. Er musste sich daran gewöhnen und er glaubte, er konnte es, denn es würde bei niemandem mehr weh tun als bei ihr.
Er trat beiseite, um den Vogt und den Schmied vorbeizulassen.
Als Brokk neben ihm war, hielt er ihn am Arm fest.
„Ihr werdet Euch nicht immer hinter einem Vogt verstecken können, Zauberer”, sagte er leise.
Der Schmied deutete eine Verbeugung an und grinste, aber er sagte kein einziges Wort und verschwand hinter dem Vogt in der Nacht.
Folkes Mutter holte Brot, Käse und Bier, stellte alles auf den Tisch, ging hierhin und dorthin, putzte, wischte, ordnete. Er setzte sich und aß, hörte, wie sie hin und herging, aber schaute nicht hin. Er begriff, dass sie nicht reden konnte. Die Worte zwischen ihnen waren verloren gegangen.
Ein Steinchen mit einer Nase und Moos obendrauf.
Verloren.
Er hatte an einem Tag eine alte Frau aus ihr gemacht, eine einsame alte Frau ohne Mann und Sohn. Ohne Worte. Mit Angst in den Augen und nichts dahinter. Kein Zuhause mehr. Sie war eine Stimme im Nebel geworden, und es war seine Schuld. Er empfand sie wie eine Wunde, die niemals heilen würde.
Als er fertig gegessen hatte, stand er auf.
„Es tut mir leid”, sagte er und strich sich mit den Fingern durch die Haare.
Sie ging hin und her, putzte, wischte, ordnete. Alle Worte steckten in den Wunden fest, die sich über ihnen schließen würden.
„Wie kann es eine solche Leere geben zwischen uns?”, dachte Folke. Er hätte es sich niemals vorstellen können. Alles fiel in diese Leere hinein und verschwand für immer.
Wie betäubt kletterte er die Leiter zum Schlafboden hoch und legte sich hin, das Schwert neben sich. Es würde seine letzte Nacht im Haus seines Vaters sein. Das Tier in ihm fraß die Erinnerungen von fünfzehn Sommern und wurde nicht satt.
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