Peter Urban

Der Fluch von Azincourt Buch 2


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letzten Augenblicke der Christen bei Navas de Tolosa waren genauso grauenhaft, wie die der Mauren und lediglich eine Handvoll Ritter von Santiago, die König Alfonso als persönliche Leibwache gedient hatten entgingen dem blutigen Opfer. Überrascht bemerkten sie, das ihr Großmeister von diesem schrecklichen Schauspiel ganz und gar nicht beeindruckt war, sondern es sehr gelassen mitverfolgte, ganz so, als ob er in dem Augenblick, in dem der Erzbischof sein Wort der Macht gesprochen hatte, gewusst hatte, wie viel dieser Sieg ihn kosten würde.

      Auch die drei anderen Könige beobachteten zynisch und ruhig, wie die Spektren ihre Getreuen niedermachten und sie mit sich in die Abgründe der Finsternis rissen. Keiner der vier schien dem Erzbischof von Santiago wegen seiner abscheulichen, nekromantischen Zauberei auch nur den geringsten Vorwurf zu machen. Ganz im Gegenteil. Als das Schattenheer sich endlich mit dem Blutgeld des Tages zufrieden in Luft auflöste, lobten und herzten sie ihn gemeinsam für seinen schlauen Streich und beglückwünschten sich gegenseitig, dass keine Zeugen übrig waren, die berichten konnten, um welchen Preis die vier christlichen Könige die Almohaden endgültig zerbrochen hatten.

      Auch dem geringsten und niedersten Tölpel hätte ein einfacher Blick auf den Südhang der Sierra Morena gereicht, um zu verstehen, das die maurischen Herrscher von Al Andalus sich niemals wieder von dieser Niederlage erholen würden. Am Tag von Navas de Tolosa hatten die vier Könige um den Preis ihrer Seelen und des guten Blutes ihrer Ritter den Samen zum Untergang der Sarazenen gepflanzt. Nun konnten sie sich zurücklehnen und abwarten...und wie die Aasgeier den geschwächten Leib von Al Andalus zerreißen und untereinander aufteilen.

      Ohne auch nur einen weiteren Gedanken an den christlichen Blutzoll zu verschwenden, begab man sich gemeinsam mit dem listigen Erzbischof Muñoz in das prächtige Zelt von König Alfonso, um den Sieg zu feiern. Nicht einmal der süßliche, ekelhafte Verwesungsgeruch, der bei Einbruch der Nacht von der Sierra Morena herüberwehte konnte die gute Laune der Verschwörer trüben und Pedro Muñoz hielt sich nicht zurück, sich zu brüsten, wie ihm dieser böse Streich so mühelos gelungen war und wie dumm die Mauren doch waren, jedem der es lernen wollte an ihrer berühmten Schule in Cordoba die Geheimnisse ihrer Schwarzen Kunst zu vermitteln.

      Nicht nur der fatalistische Glauben der Sarazenen machte sie für Wahrsagekünste empfänglich; sie pflegten die geheimen Wissenschaften eifriger als irgendein anderes Volk und waren gewiss in ganz Europa die geschicktesten Lehrer und Jünger der Zauberei. An der Schule von Cordoba lehrten zwei Professores der Astrologie, drei der Nekromantie, Pyromantie und Geomantie und einer der Ars Notoria. Sie lehrten Muslime, Juden und Christen ohne Unterschied. Sie alle hielten tägliche Vorlesungen und er –Pedro Muñoz – hatte sich in seiner Jugend nicht zurückgehalten, seinen Durst nach verbotenen Kenntnissen am Busen der Schlange selbst zu stillen.

      Dann brach der Erzbischof in schallendes Gelächter aus und erzählte weiter: Die dummen Sarazenen gestatteten nicht nur jedem diese wunderbare schwarze Schule zu besuchen und dort wahre Meisterschaft zu erlangen...und das obwohl auch bei den Mauren die Zauberei mit dem Tode bestraft wurde. Sie gestatteten es auch, dass all ihre schwarzen Bücher ohne Unterschied von den Übersetzern der Schule von Toledo in die lateinische Sprache und in die Vulgata übersetzt wurden, damit auch wirklich jedermann sie lesen und benutzen konnte.

      Der Erzbischof war so stolz auf sich und seine Schlauheit, dass er es nicht einmal bemerkte, wie die kleine Gruppe der überlebender Santiago-Ritter das Zelt ihres Großmeisters König Alfonso VIII. verließen, um draußen im Schutz der Sterne und des zunehmenden Mondes mit ihrem Blut und auf ihr Leben einen heiligen Eid zu schwören.

      Was diese Ritter am Tag von Navas de Tolosa gesehen hatten, hatte nicht nur ihren christlichen Glauben in seinen Grundfesten erschüttert, sondern auch den Respekt für ihren Großmeister Alfonso von Kastilien und die anderen sogenannten christlichen Könige zerstört, die bewiesen hatten, dass sie um den Preis eines Sieges sogar ohne zu zögern mit den Mächten der Hölle paktierten. Es hatte ihnen vor allem auch gezeigt, wie gefährlich es war, gewisse Dinge vollkommen skrupellos unter den Menschen zu verbreiten, nur weil der Zeitgeist es gerade gestattete.

      Sie beschlossen darum, mit denen, die sie vor dem Grauen von Navas de Tolosa noch bereitwillig und ohne zu Zögern alleine wegen ihres Glaubens totgeschlagen hätten in Verbindung zu treten und anstelle des Kampfes suchten die überlebenden Santiago-Ritter nun einen vorsichtigen Austausch. Doch umso mehr sie von den geheimen Wissenschaften lernten, die zu bekämpfen und auszumerzen sie sich in der Nacht von Navas de Tolosa geschworen hatten, umso weniger waren sie gewillt, die uralten Schriftrollen und Manuskripte, die sie in ihren Besitz bringen konnten, einfach zu zerstören. Neben jenen grauenvollen und unheimlichen Grimoarien, die bis zum Rande mit schwarzer Magie angefüllt waren, stießen sie auch auf viele Werke, die den Aufmerksamen und im Geiste wachen den Weg zu den höchsten Geheimnissen der Menschheit öffneten. Doch diese wertvollen Schätze bargen in sich die gleichen Gefahren, wie die üblen Machwerke der Finsternis. Obwohl weder böse noch schlecht, boten auch sie denen, die von Selbstsucht und Machthunger getrieben wurden furchtbarer Schlüssel, um die Tore hinunter in die tiefsten Abgründe der Dunkelheit der Hölle zu öffnen und Wege in die Verdammnis aufzutun. Trotzdem beschlossen die Ordensritter, dass dieses Wissen um keinen Preis verloren gehen durfte, den sie fühlten intuitiv, das irgendwann einmal, wenn Zeit und Menschheit dafür reif geworden waren, mit ihrer Hilfe wunderbare Dinge möglich werden konnten...zum Nutzen aller Geschöpfe Gottes.

      Nach dem Tod ihres ersten Großmeisters, jenes verruchten Alfonso von Kastilien, wählten sie darum in aller Stille einen Mann aus ihren eigenen Reihen, der weder von den Ränkespielen der Politik, noch von der Gier nach persönlicher Macht getrieben wurde und sie öffneten ihren Orden für ihre jüdischen und maurischen Freunde, während sie gleichzeitig den wahren Grund seiner Existenz vor den Augen der Welt verbargen. Ganz besonders nahmen sie sich vor den Fürsten der römischen Kirche in Acht, denn Navas de Tolosa hatte ihnen bewiesen, dass sich unter jenen, die Gottes Wort für sich beanspruchten oftmals die übelsten Diener der Finsternis verbargen. Sie erkannten genau, das hier –sollte das Geheimnis des Ordens von Santiago jemals offengelegt werden – ihre schrecklichsten und unerbittlichsten Feinde waren.

      Langsam kamen die Ritter von Santiago zu der Erkenntnis, dass eine höhere Weisheit nur dann errungen werden konnte, wenn man sich frei machte von dem Ballast seines bisherigen, religiösen Glaubens, der meist nur auf Überlieferungen und Legenden ruhte und keiner sachgemäßen Kritik standhielt. In vielen der Schriften, die sie ausfindig gemacht und in ihren Besitz gebracht hatten, um sie sorgfältig an einem geheimen Ort aufzubewahren, stießen sie auf Hinweise und Fingerzeige, dass einst in grauer Vorzeit und in längst vergessenen Reichen das genaue Studium der Maße der Erde und der Laufbahn der Planeten den Weisen dieser vergessenen Völker ermöglicht hatte, das Mysterium der Seele und ihre Unsterblichkeit zu ergründen und mit diesem Wissen Tore zwischen den Welten zu öffnen, um zu Herren der Zeit zu werden.

      Der Weg, den die Mitglieder des Ordens von Santiago sich zu gehen entschlossen hatten, war nicht leicht. Er führte sie zu den höchsten Gipfeln der menschlichen Erkenntnis, in eine fast vollkommene Einsamkeit ihres Denkens, frei und auch unerreichbar für die vielen hemmenden Suggestionen, die die Welt durchfluteten. Je weiter sie ihre okkulten Studien vorantrieben, desto sicherer wurden sie in ihrer Überzeugung, dass sie auf dem richtigen Weg waren und die Abgründe der Tiefe schrecken sie nicht mehr. Sie hüllten sich in Schweigen gegenüber den Unwissenden, denn ihre geschlossene Bruderschaft war ihnen genug.

      Vor ewigen Zeiten war jenes Wissen, auf das sie gestoßen waren noch das Gemeingut aller Rassen und aller Menschen gewesen. Aber die Menschheit hatte sich vorwärts und abwärts zugleich bewegt, fort aus der Sphäre reiner Göttlichkeit und hinab in die Materie. Anstatt sich mit der Unsterblichkeit ihrer Seele und deren Wiedergeburt zufriedenzugeben, begannen die Menschen durch magische Handlungen zu versuchen, einen ebenso unsterblichen Körper zu erhalten, der den Fluss der Zeit überdauern würde. Das Wissen um die Tore zwischen den Welten und die Pforten der Zeit, das in den ersten Menschenrassen noch durchaus harmlos gewesen war, blieb es nicht mehr, als der physische dem geistigen Körper gegenüber zu dominieren begann.

       Der Fall dieser Rassen, die in grauer Vorzeit gelebt hatten, und den die törichten Fürsten der christlichen