Peter Schmidt

Winger


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nun wieder verstehen?"

      "Ihre illegalen Versammlungen hier auf dem Gelände haben Ihnen doch kürzlich erst eine Verwarnung eingetragen?"

      "Nun machen Sie aber mal einen Punkt, Winger. Ich finde, Ihre Art, mir Fragen zu stellen, hat etwas Unverschämtes. Schon die Tatsache, wie Sie sich über mein Entgegenkommen mokiert haben, war schlichtweg unhöflich. Unter diesen Umständen muss ich Sie bitten, sofort das Haus zu verlassen." Mit diesen Worten packte er mich beim Arm, ging er zur Tür, zog sie noch ein wenig weiter auf, als es nötig gewesen wäre, und deutete bestimmt in den Flur hinaus.

      "Meiner Meinung nach gibt einen verdammt simplen Grund für Ihre Bereitwilligkeit, unsere Fragen zu beantworten, Gerlach, und der besteht einfach darin, dass einige Leute es vorziehen, jemanden, der ihnen gefährlich werden könnte, nicht unkontrolliert durch die Gegend laufen zu lassen, sondern ihm lieber bei jeder Gelegenheit auf den Zahn zu fühlen, um zu sehen, wie weit er schon mit seinen Recherchen gekommen ist."

      "Gefährlich, was meinen Sie mit gefährlich?"

      "Wo ist Linda?“, fragte ich.

      "Linda – wieso?"

      Müßig, zu erwarten, er würde bei dieser Frage wie ein Primaner erröten. Er sah mich mit derselben nachsichtigen Miene an wie bei meiner Bemerkung, dass Regen angesagt sei.

      "Nach unserer Verabredung müsste sie längst hier sein."

      "Vielleicht ist ihr etwas dazwischen gekommen."

      "Gut, reden wir nicht von Linda. Angeblich haben Sie Elmonds verbrannte Leiche beim Vergraben von altem Laub entdeckt. Das ist es, was Sie der Polizei gesagt haben und was auch Linda von Ihnen erfahren hat. Ich war damals leider gerade für kleine Jungen und kenne die Geschichte nur aus ihrer Erzählung. Aber der Wald um das Jagdhaus besteht aus Fichten. Und Fichten werfen nun mal kein Laub ab ..."

      "Ihr Journalisten und Schnüffler seid doch das reinste Dreckspack", sagte er sichtlich erbost. "Man reicht euch den kleinen Finger, um ein wenig gefällig zu sein, und schon versucht Ihr einen wegen angeblicher Widersprüche in die Pfanne zu hauen. Jetzt aber raus!"

      Die Tür fiel schwungvoll hinter mir ins Schloss, und weil ich sicher war, dass Gerlach mich durch eines der Fenster beobachten würde, ging ich folgsam die Einfahrt bis zum Gartentor hinunter, schlug es ebenso laut und vernehmlich hinter mir zu wie er die Haustür, stieg auf dem Platz mit den Streusandkisten in Lindas Leihwagen und ließ die Scheinwerfer beim Wenden noch einmal über den Zaun und das Grundstück huschen, damit er davon überzeugt war, ich sei auch wirklich abgefahren.

      Ich parkte ein Stück weiter unten neben einem geschlossenen Kiosk und ging den Weg zum Haus zwischen den Bäumen entlang.

      Oberhalb des Geräteschuppens stand ein verfallener Hochsitz. An der Leiter aus Fichtenbalken fehlten ein paar Sprossen, und da, wo sie fehlten, ragten lange, rostige Nägel aus dem Holz. Der Mond war jetzt hinter den Baumwipfeln verschwunden, warf aber immer noch genügend Licht in den Wald. Ich kletterte die Leiter hinauf und versuchte zwei Dinge gleichzeitig zu tun: das Haus im Auge zu behalten und nicht in einen der rostigen Nägel an den Balken zu greifen. Die Leiterenden knarrten, als sie sich unter meinem Gewicht durchbogen. Dann, oben auf der überdachten Plattform, zündete ich kurz mein Feuerzeug an, um mich zurechtzufinden, und hockte mich so neben das Fenster, dass ich zwar hinausblicken, aber nicht gesehen werden konnte.

      Ich wartete lange und vergeblich. Auf dem Parkplatz standen noch zwei Wagen. Wenn einer Gerlach gehörte, wer war der andere?

      Plötzlich hörte ich unter mir Äste knacken. Zwei Männer in grüngefleckten Tarnanzügen gingen am Hochstand vorüber zum Haus – sie mussten den Waldhang heruntergekommen sein. Einer von ihnen war kurzbeinig und dick, fast rundlich, mit einer Schirmmütze, deren Kappe aus dieser Sicht sein Gesicht verdeckte. Er trug eine Segeltuchtasche in Form eines kurzläufigen Gewehrs.

      Als sie am Haus angelangt waren, rief der eine etwas in Richtung der Tür, das ich nicht verstand. Ein dritter Mann im Tarnanzug öffnete, und sie gingen zusammen die Einfahrt hinunter. Wenig später hörte ich unten das Tor schlagen. Anscheinend waren sie ohne Fahrzeug, oder ihr Wagen stand weiter unten an der Straße.

      Danach war lange Zeit Ruhe.

      Irgendwann wurde mir die Sache zu dumm, und ich kletterte wieder vom Hochsitz herunter und versuchte im Schatten der Bäume zum Haus zu gelangen. Die Fenster waren schwarze Vierecke mit Augen, eingebildeten oder wirklichen Augen, während ich die wenigen Stellen im Wald passierte, die hell wie auf einer Bühne vom Mondlicht angestrahlt wurden – und ich ging unwillkürlich schneller, als könnte mich jeden Moment ein Schuss aus dem Dunkel niederstrecken. Aber nichts geschah. Ich gelangte ohne Schwierigkeiten zu den Salonfenstern, die jetzt dunkel waren, ging um das Haus herum und sah, dass aus einem der kleineren Fenster Licht fiel.

      Gerlach und der ältere Mann, den ich für seinen Bruder hielt, standen in der Küche und redeten. Ich hörte ihre Stimmen durch das angekippte Fenster, konnte aber nicht verstehen, was sie sagten. Es sah so aus, als wenn sie sich stritten. Der Ältere hatte eine merkwürdige Art, mit der flachen Hand gegen den Verputz zu schlagen, während er in der anderen eine brennende Zigarette hielt. Sein Gesicht erinnerte an ein altgewordenes Kind, dem man seinen Willen verweigerte. Es war rot angelaufen. Aber nicht so rot, dass man glaubte, er würde gleich einen Herzinfarkt bekommen. Je länger ich ihm zusah, desto mehr kam es mir so vor, als sei sein Ärger eher gespielt als echt. Gerlach legte beschwichtigend die Hand auf seinen Arm, worauf der andere halbherzig lächelnd den Kopf schüttelte. Dann nahm er seinen Mantel von der Stuhllehne, und sie gingen hinaus. Einen Augenblick später hörte ich draußen Wagentüren schlagen.

      Als sie die Einfahrt zum Tor hinunterfuhren, machte ich mich daran, den Wald um das Haus nach Linda abzusuchen. Vergeblich – aber das überraschte mich nicht. Trotzdem hätte sie sich ja irgendwo da draußen im Dunkeln zwischen den Bäumen den Kopf gestoßen haben können. Danach versuchte ich das angekippte Küchenfenster zu öffnen. Ich griff durch den Spalt und bewegte die Klinke des Oberlichts, kletterte dann auf die Fensterbank, beugte mich so weit es ging durch die seine schmale Öffnung und öffnete den unteren Teil des Fensters.

      Wenn Linda irgendwo im Haus gefangengehalten wurde, dann sicher nicht im Parterre, sondern im Keller oder unter dem Dach. Aber vielleicht war sie auch längst im Kofferraum eines Wagens vom Grundstück gebracht worden ...

      Ich fand schnell heraus, dass das Haus gar nicht unterkellert war. Dafür befand sich unter dem Dach ein großer Versammlungsraum. Kleine Halogenstrahler, die unter der Decke an verspannten Drähten befestigt waren, beleuchteten die Wände. An der Stirnwand stand eine Kreidetafel.

      Aber es gab keinen einzigen Hinweis auf die Nationale Vereinigung, geschweige denn Gegenstände oder Symbole, die auf rechtsgesinnte oder nationalsozialistische Parteiaktivitäten hindeuteten. Der Saal besaß einen teueren Parkettboden. Die Schwingstühle aus schwarzer Esche und ungefärbtem Rindsleder kosteten sicher ein kleines Vermögen, und die Samttapete an den Wänden war in vornehmem Graugrün mit rosafarbenen Absetzungen gehalten.

      Wenn es sich bei der Altherrenriege im Salon wirklich um ein geheimes Parteitreffen der Nationalen Vereinigung handelte, dann hatte man offensichtlich aus dem Verbot gelernt und ging kein Risiko mehr ein. Aber vielleicht fiel ich dabei ja auch nur einer naheliegenden Spekulation zum Opfer, und Gerlachs Besucher waren ...

      ... ja, was eigentlich? Zum Beispiel politische Freunde von Elmonds Sohn in Bonn?

      Durchaus möglich. Politiker trafen sich mit Vertretern der Wirtschaft, nach diesem Motto. Schließlich würden er und seine Mutter das Haus erben, wenn sein Tod erst einmal amtlich festgestellt worden war.

      Aber was bedeutete dann Lindas plötzliches Verschwinden?

      7

      Statt Eisbeuteln und grünen Heringen – die meinem Kopf und Magen sicher besser bekommen wären – ließ ich mir lieber über den Telefonservice der kleinen Steh-Pizzeria unten im Haus ein Frühstück aus heißen Pizzateig-Brötchen, Kräuterbutter und mit Käse überbackenen Eiern auf Schinken in mein Büro bringen.