Peter Schmidt

Winger


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Vom kleinen Zwischenspiel am Jagdhaus abgesehen, wirkte Linda an jedem Platz gleich überzeugend: im Licht von Punktstrahlern genauso wie unter den gelben Glühlampen im Hinterzimmer eines Billardcafés. Ihr Gesicht sah aus, als sei sie geradewegs aus der Leinwand, auf der ein alter amerikanischer Gangsterfilm lief, zu uns gewöhnlichen Sterblichen herabgestiegen.

      "Wieso vertragen Sie eigentlich so viel?“, fragte ich, als wir wieder draußen auf der Straße standen.

      "Da ist irgend etwas mit meinen Hormonen. Ich habe zu viele männliche Hormone abbekommen. Das glauben jedenfalls die netten bebrillten Weißkittel, die meinen Stoffwechsel in der Universitätsklinik untersucht haben. Ich bin so was wie ein biologisches Wunder."

      "Der Frauentyp der Zukunft", bestätigte ich.

      Linda verfrachtete mich in ein Taxi, und wir sausten durch die Nacht.

      Was für prächtige Fassaden doch ein paar Millionen hervorbringen, die sonst ein klägliches Dasein als hinterzogene Steuern auf ausländischen Nummernkonten fristen würden und jetzt viel weniger Ärger als legale Betriebsausgaben machen: verspiegelte Jeanspaläste, Pornokinos, doppelstöckige Griechen mit künstlichen Weinranken und hohlen Gipssäulen. Und dazwischen bleiche Drogensüchtige und polnische Großdealer in langen Pelzmänteln.

      Irgendwie schaffte ich es während dieser angebrochenen Nacht, Linda über Treppen und endlos lange Korridore ins Hotel zu folgen. Unsere Zimmer lagen Tür an Tür.

      Ich fragte sie, mit wem sie liiert sei, aber sie blieb mir die Antwort schuldig.

      2

      Ich war eingeschlafen, und jemand, den ich nicht kannte – Gott, ein Engel oder Zauberer – verkündete mir, dass ich drei Wünsche offen hätte.

      "Wie sieht's mit Reichtum, schönen Frauen und ewiger Gesundheit aus?“, erkundigte ich mich. Aber ehe er darauf antworten konnte, erwachte ich aus meinem Traum und entdeckte, dass mein Kopf und Nacken feucht, dass mein ganzer Körper in Schweiß gebadet war. Wo steckte meine Schöne? Ich vermisste ihre Beschimpfungen.

      Anscheinend war Linda das Taxifahren leid oder Alkohol war jetzt erst mal passé. Oder sie hatte irgend etwas Größeres im Sinn, denn nach dem Frühstück stiegen wir in einen bulligen schwarzen Kleinwagen mit breiten Reifen, der das reine Understatement war, seinen Beschleunigungswerten nach zu urteilen, und fuhren über breite Stadtstraßen Richtung Zentrum.

      In diesem Teil der Stadt kannte ich mich besser aus als in den Industriebezirken, und als wir im Banken und Büroviertel waren, hatte ich sogar das Gefühl, wieder heimische Gefilde zu betreten.

      Linda ließ den Motor ihres Mietwagens aufheulen und umrundete zweimal den Block, als wolle sie sichergehen, dass wir nicht verfolgt wurden. Aber vielleicht war sie auch nur übermüdet oder unkonzentriert – ihrem angestrengten Blinzeln nach zu urteilen – und hatte beim erstenmal die Einfahrt verpasst.

      "Also gut", sagte sie, als wir in die Tiefgarage einbogen. "Sie haben die Probe bestanden, Sie bekommen den Job. Obwohl Sie lange nicht soviel vertragen, wie Sie glauben, Winger."

      "Welchen Job? Soll das etwa heißen, Sie arbeiten für den Klüngel da oben?", sagte ich und zeigte zur Betondecke des Zeitungsgebäudes.

      Beim Anblick der blau verspiegelten Fassaden, wenn ich über die Autobahnbrücke an den Büroetagen entlangfuhr, versuchte ich mir manchmal vorzustellen, was einen gewöhnlichen Sterblichen dazu bringen konnte, sein Leben in so einem Gefängnis zu verbringen. Die Aussicht, eine Hundertfünfzigquadratmeterwohnung zu bekommen und ein Dauerabonnement auf Jahreswagen? Aber mag sein, dass das auch nur die verbogene Weltsicht von jemandem ist, der es nie weiter als bis zu einer armseligen Ein-Zimmer-Detektei mit Klappbett gebracht hat.

      "Wäre doch nichts Ehrenrühriges, oder?“, fragte sie. "Außerdem bin ich nur Gelegenheitsjournalistin. Ich befasse mich nicht mit gewöhnlicher Pressearbeit."

      "Gelegenheitsjournalistin? Gibt's das auch?"

      "Ich könnte jederzeit mit meiner Geschichte zur Konkurrenz gehen."

      Wir passierten die Kontrollen an den Fahrstuhltüren, ohne dass irgendeine Sirene aufheulte, um aller Welt mitzuteilen, Winger der Geschasste – der räudige Hund, das Enfant terrible des Gewerbes – sei trotz seines Hausverbotes in die heiligen Hallen des Verlages eingebrochen. Normalerweise entdecken einen diese Zeitungsfritzen an ihren Monitoren selbst dann noch, wenn man sich eine Pappnase aufgesetzt hat.

      "Sie haben mir gesagt, ich sollte Ihnen ein paar Zuhältertypen vom Hals halten, falls sie zudringlich würden? Für hundertfünfundsiebzig am Tag."

      "Genau dabei soll es auch bleiben. Und dafür brauchen Sie einen Presseausweis – von einem möglichst einflussreichen Laden wie diesem hier."

      "Na schön, dass Sie endlich damit herausrücken. Wie sind Sie ausgerechnet an mich geraten?"

      "Sie sehen nicht wie ein Polizist aus."

      "Sondern?"

      "Eher wie jemand, der sich seit ein paar Tagen nicht gewaschen hat", sagte Linda und küsste mich flüchtig auf die Wange. "Aber nehmen Sie das nicht zu persönlich. Ich mag Kerle mit Eigengeruch – wenn er nicht zu streng wird." Sie zeigte auf eine weißlackierte Tür, an der das Messingschild Walter F. Born hing, und wollte im Waschraum verschwinden, angeblich, um sich frisch zu machen.

      "Was denn – doch nicht etwa ...? Walter hat mir erst vor kurzem Hausverbot erteilen lassen."

      "Gehen Sie einfach hinein. Er erwartet Sie schon."

      Als ich die Tür aufschob, stand Born mit einem dünnen blauen Aktenordner in der Hand neben dem Karteikasten und nickte mir so zuvorkommend zu, als sei ich der Mann, der die Toilettenverstopfung zu beheben habe – ein notwendiges Übel, jemand, den man lieber gehen als kommen sieht, auf den man aber auch nicht gut verzichten kann.

      Er war nicht viel auffallender als andere Büromenschen, die ihr Gesicht jeden Tag von der Röntgenstrahlung des Bildschirms bräunen lassen, wenn man von seinen etwas zu dichtstehenden Augen und dem struppigen weißen Haupthaar absah, doch die Linie seiner Schultern und hängenden Arme signalisierte einem sofort, man solle besser vor ihm auf der Hut sein.

      Walters Sekretär Alber saß hinter seinem mit vier Telefonen gespickten Schreibtisch, ein Bein zwischen dem Faxgerät und dem Computer, das andere unter dem Tisch, und versuchte möglichst unbeteiligt dreinzublicken. Doch das gelang ihm schlechter als einem undressierten Dobermann, der auf einen Zipfel Blutwurst scharf ist.

      Ich schnaufte unwillig und warf die Tür wieder zu. Manchmal reicht es schon, durch den Geruch einer verschrammten Büroeinrichtung wieder an alte Geschichten erinnert zu werden, und Born und Alber gehörten nun mal zu jenem Typ von Auftraggebern, die einem, kaum hat man sich umgedreht, all die Wohltaten wieder wegnehmen, die sie einem gerade ergebungsvoll grinsend auf dem Silbertablett serviert haben.

      Linda holte mich ein, als ich schon an der Treppe zur Tiefgarage war.

      "Was ist denn los mit Ihnen, verdammt noch mal?"

      "Borns Blatt steht mir zu weit im nationalen Lager, wenn Sie die höfliche Version hören wollen."

      "Rechts und links – fallen Sie etwa auch noch auf diese Wortspielereien hinein?"

      "Ich bin nun mal ein sensibler Intellektueller. Alles was nach mittel bis dunkelbraun aussieht, schlägt mir augenblicklich auf den Magen."

      "Ihnen schlägt höchstens der vierzehnte Cocktail auf den Magen."

      "Wollen Sie damit etwa andeuten, dass ich auf dem rechten Auge blind bin? Ich sehe ziemlich genau, was in diesem Teil der Welt vorgeht."

      "Also gut, gehen wir erst mal was essen", schlug Linda seufzend vor. "Ich lade Sie ein. Mit vollem Magen diskutiert's sich besser."

      "Bei mir führt ein voller Magen nur dazu, dass ich schläfrig werde."

      "Ich könnte Ihnen den Presseausweis auch besorgen, ohne dass Sie Born in die Quere kommen. Was