Roman Alexander Bolli

Ein Schaffhauser auf dem West Highland Way


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Er wird sich verfangen, ganz bestimmt. Den gesamten Gepäckverlad lahm legen. Mit Sicherheit. Wenn man die Schnürsenkel offen trägt, steht man mit absoluter Gewissheit auf selbige und wenn eine unscheinbare Schnalle des Rucksack nicht an ihrem Platz liegt, klickt diese sich unweigerlich in einer Ecke ein. In einer endgültigen Art und Weise, wie man es gewollt nie hingekriegt hätte. Während der Zug bereits zur Weiterfahrt ansetzt.

      Nicht, dass ich triftige Gründe benötige um im Outdoorshop auf Einkaufstour zu gehen, doch nahm ich dies als Anlass um einen Rucksack-Sack zu bestellen. Eine Hülle mit fingerabtrennendem Traggriff und Namen-Etikette. Wenn wir schon den virtuellen Einkaufswagen durch die Gänge schieben, gibt es hier noch einen Essensbox, da eine Hose, dort ein Kompressionsbeutel, ein Wasserfilter-Entkeimsystem und Trekkingnahrung für eine kleine bis mittelgrosse ausgehungerte Kompanie. Beutel mit dehydriertem Inhalt, welcher sich nach der Zugabe von heissem Wasser in Rindseintopf, Chili-con-carne oder eine leckere Wildplatte verwandeln würde. Ich schreibe nicht sollte, denn ich war sehr überzeugt von diesem Konzept. Eine Empfehlung meines Bruders und der wusste über solche Dinge gut Bescheid. Hat er mir das Trampen vor, was mich nicht zuletzt bewegte, diese Lücke zu schliessen. Es ist ein wenig eine Frage des Stolzes.

      Nach dem zehnten Ein- und Auspacken muss man irgendwann einen Schlussstrich ziehen und die Packung verschnüren. Den eigenen Fähigkeiten vertrauen, dass man alles erdenkliche eingepackt hat. Man wird sowieso erst beim umsteigen auf das dritte Beförderungsmittel gewahr, dass der Reise-Steckdosenadapter zuhause im ersten Stock auf dem Esstisch liegt. Gleich neben der Liste der Adressen für die Postkartenempfänger, welche man noch schnell erstellt hat.

      Im Handgepäck, trug ich die schweren Wanderstiefel mit. Im Rucksack-Sack fanden diese keinen Platz mehr, zudem wäre der Verlust dieser am ärgerlichsten. Nicht wegen des Anschaffungspreises, sondern weil man gute passende Schuhe ungern hergibt. Für alles andere an Ausrüstung gibt es die Mastercard und verkaufswillige Shopbesitzer.

      Ich mag Flugreisen. Und hasse sie.

      Für ungeduldige Menschen wie meine Wenigkeit, unfähig ruhig in der Schlange zu stehen ohne den agierenden Menschen hinter den Schaltern ob ihrer Trägheit die Beulenpest an den Hals zu wünschen, ist die Flugreise wohl die unpassendste Wahl, von A nach B zu gelangen.

      KLM wünscht, dass Reisende innerhalb von Europa - obwohl sich England ja nicht zu Europa zählt - neunzig Minuten vor Boarding das Gepäck aufgeben. Selbstverständlich befördert mich kein Zug genau auf diesen Zeitpunkt an den Flughafen, zudem ist damit zu rechnen - obwohl die Hoffnung stets besteht - dass man nicht der einzige Passagier ist. An diesem Samstag Nachmittag. Beginn der Sommerferien in dreiviertel der Schweizer Kantone.

      Obwohl ich keinen Nachwuchs in staatlichen Bildungsstätten stecken habe, schaffe ich es stets, meine Sommerferien in bester väterlicher Manier auf die Schulferien zu legen.

      Leicht panisch schleppte ich keuchend an einem zahnseidenen Traggriff unter Schmerzen den grossen Rucksack-Sack durch die Hallen des Flughafens Zürich-Kloten. Der Ironie gewahr, dass im Inneren dieses Rucksack-Sacks ein Rucksack mit Tragriemen ruhte, welchen ich gedachte über hundert Kilometer durch Schottland zu tragen. Ich bin beileibe nicht der erfahrene Flugreisende, auch wenn man sich ungern als Tourist outet. Geschweige denn im eigenen Land. Doch obwohl noch gut 45 Minuten Zeit, spürte ich einen gewissen Druck. Muss meinen Flug erwischen. Ich nahm die Hilfe eines Gefährts in Anspruch. Mit einem kleinen quietschenden Wagen graste ich sämtliche Check-In des Flughafens ab, um zu guter Letzt eine Däumchen drehende Angestellte in der Wichtigkeit ihrer Beschäftigung zu stören.

      Zuvor hatte ich die glorreiche Idee, die zwei Reissverschlüsse meines Rucksack-Sackes mit einem Schlüsselring zu verbinden, dass sie sich nicht selbständig öffnen mögen und irgendwo zwischen Zürich und Amsterdam den Inhalt der Tasche freigeben. Ich spürte die Argusaugen des Wachpersonals, wie ich in der Leere der Flughafenhalle schweissüberströmt, mit vor Anstrengung zitternden Fingern versuchte den Ring über den Reissverschluss zu würgen. Eigentlich wartete ich nur auf eine Einladung, mein Gepäck in einen kleinen Raum zu schleppen und durch eine Glasscheibe getrennt, der fachmännischen Zerstörung meines Rucksacks beizuwohnen. Bevor ich die Tüte vollends zerriss, schmiss ich hin und legte den Transport des Gepäcks in Gottes Hand.

      Nach der Aufgabe meiner Tasche, dem Röntgencheck des Handgepäcks und einem Spaziergang durch den Metalldetektor galt es nun etwas über zwei Stunden totzuschlagen. Mit einem leichten Hunger im Bauch.

      Natürlich muss in einem Flughafen niemand Hunger leiden. Wer Gruppen-kuscheln in unzähligem Cafés und Lounges mag, gerne ein labbriges Etwas von einem keimstrotzenden Kunstofftablett verspeist und seine Unterarme in diese schmierig-klebrige Masse der Tischkante drückt, die Rückstände von 529 flüchtig-feuchtem Abwischen, der ist bestens aufgehoben. Wer ein gutes, bodenständiges Sandwich a la Köhler-Beck verspeisen will, steht eher auf verlorenem Posten. Ich habe noch nie versucht, ein Sandwich durch die Gepäckkontrolle einzuschleusen. Doch da bereits ein Fingerbreit Wasser im Gepäck das Swat-Team aufbietet welches einem merkwürdige rote Punkte auf die Brust zaubert, scheint mir die Erfolgsquote eher gering. Den Burger-King entdeckte ich erst auf dem Weg zum Gate. Also verpflegt man sich mit Snickers und Wasser. Oder M&Ms. Oder kauft sich eine dieser 500 Gramm-Tobleronen. Nach der Zollkontrolle gibt es alles nur noch im XXL-Format. Und grundsätzlich zwei für eins. Die Angestellten rollen entnervt mit den Augen, wenn man ihnen erklärt, dass eine Müllbeutelgrosse Packung M&Ms durchaus reicht und man daher gerne auf das zwei für eins-Angebot verzichten würde. Und für jede Packung Kaugummi ist die Bordkarte hervor zu zerren, dass spätestens beim Betreten des Fliegers der Barcode einen Verknitterungsgrad aufweist, welcher die Angestellten vermuten lässt, man hätte diesen Zettel selber gezeichnet und er von keinem Scanner mehr lesbar ist. Selbstverständlich hat man die Bordkarte auch auf dem Smartphone. Man ist modern. Im Gegensatz zu den Akkus der Smartphones, welche einem Säugling gleich alle zwei Stunden angestöpselt werden möchten. Sobald man sein iPhone unter den Scanner schiebt, zeigt das Display nur noch einen blinkenden Akku.

      Ich mag bescheidenes Handgepäck. Solches, welches man bequem unter den Sitz des Vordermannes schieben kann. Obwohl auch hier die Vorschriften klar umrissen sind, zerrt der Japaner einen Rucksack XXL durch den schmalen Gang. Gut, an einem Asiaten sieht jeder Rucksack irgendwie XXL aus, gebe ich zu. Nicht, dass ich Groll gegen Asiaten im Allgemeinen oder Japaner im Speziellen hegte, Gott bewahre, man erkennt sie einfach gleich als selbige und ein solcher hatte nun eben dieses Handgepäck bei. Ich hoffe der politischen Korrektheit genüge getan zu haben.

      Dieser Herr aus dem Land des Lächelns stritt sich also nun non-verbal mit dem Geschäftsreisenden um den Platz im Fach, welcher seinen Samsonite mit solcher Hingabe in das Gepäckfach würgt, dass die alte Dame vorne links den Gurt Straff zieht, weil sie denkt, der Flieger sei soeben äusserst wackelnd gestartet. Es war ein stummes Gerangel, nur mit Blicken wünscht man sich gegenüber zur Hölle.

      Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass immer zuerst der Reisende mit dem Sitz zum Mittelgang ein Flugzeug betritt. Kaum hat dieser sich wohnlich eingerichtet, erscheint der Passagier welcher den Sitz in der Mitte der Dreierkombination hat. Lehnt man sich zurück, hat sich tiefenentspannt irgendwie in den Sitz gequetscht und gepresst, erscheint keuchend und schwitzend der Typ, welcher am Fenster sitzt. Das Keuchen gibt sich irgendwann, das Schwitzen oder zumindest die Ausdünstung bleibt. Nein, er möchte nicht, dass ich mein Frischluftgebläse öffne, es unterkühle seine linke Schulter und er könne danach den Kopf nicht mehr drehen.

      Der Flug dauert circa neunzig Minuten. Auf dem Weg zum Gate habe ich vier Toiletten passiert, ich nehme an, die übrigen Flugreisenden auch. Kaum erlischt das Anschnallzeichen, stehen sie Schlange vor dem Klo. Noch nie sah ich ein Flugzeugklo von innen, vielleicht hat dies einen besonderen Charme. Muss es beinahe, junge gesunde Menschen können keine solch schwache Blase haben. Wer nicht den fünf Bier vor dem Start Tribut zollt, macht sich an seinem Handgepäck zu schaffen. Taschen werden heruntergezerrt, Notebooks befreit und vermanschte Thunfischsandwichs mit Selleriesaucenbeilage zwischen Necessaire und T-Shirt hervorgezerrt. Gott bewahre, dass man in diesen 90 Minuten in 10'000 Metern Höhe dem Hungertod erläge.

      Entschuldigung, darf ich? Wieder das grosse Sesselrücken. Wobei man dem Herren zu Dank verpflichtet ist, dass er mit seinem zerfledderten Sandwich, dem tropfenden Fruchtsaft und seinem IBM Thinkpad