Lan Solo

Schülerdämmerung


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Güte. Mittlere Reife, da weiß man, was man hat. Wie bei Persil. Aber was, bitteschön, soll denn Fachoberschulreife bedeuten? Das versteht kein Hirni mehr, auch wenn es sich eleganter anhört.

      Da saßen sie nun, meine Schüler, die durch bloßes Nichtstun in der 10. Klasse ihren mittleren Bildungsabschluss erhielten und sich mit geschönten Noten an unserem Berufskolleg beworben hatten. Wie jeden Montag war die Klasse, sagen wir einmal, sehr lebhaft. Ich ging davon aus, dass sie es kaum erwarten konnten, an meinem reichhaltigen Wissen der Betriebswirtschaftslehre zu partizipieren. Tatsächlich tauschten sie ihre Wochenenderlebnisse aus.

      Kritiker behaupten ja, die BWL sei keine richtige Geisteswissenschaft, sondern eine Pseudowissenschaft, die sich bei den wirklichen Wissenschaften bedient und sich den essentiellen Fragen unserer Gesellschaft gar nicht stellt. Den BWLern wird vorgeworfen, sie hielten sich für unfehlbar, so wie unser Papst in Rom. Diesen Kritikern kann ich nur entschieden entgegnen:

      „Stimmt, Ihr habt absolut Recht. Trotzdem könnt Ihr mich alle mal kreuzweise!“

      Ich liebe die Betriebswirtschaftslehre in all ihren Facetten!

      Für die heutige Stunde hatte ich mir vorgenommen, der Klasse etwas über Kosten, Erlöse und Gewinn zu erzählen. Das gehört zum Handwerkszeug eines jeden Wirtschaftsschülers. Kann aber auch zur wahren Folter werden! Wenn ich von den Erlösen die Kosten abziehe, erhalte ich den Gewinn oder den Verlust, je nachdem. Ist eigentlich relativ simpel. Das versteht auch mein Labrador, wenn ich einen hätte.

      Nach etwa einer dreiviertel Stunde hatte ich sie bereits soweit, sie hingen ausdruckslos an meinen Lippen. Ich entwickelte gerade eines meiner genialen Tafelbilder, wobei ich darauf achtete, meine Klamotten im Sinne meines unverehrten Fachleiters Oskar Oede nicht zu sehr mit Kreide zu besudeln.

      „Bei linearem Verlauf hat die Gesamtkostenfunktion die identische Steigung wie die variablen Kosten.“

      Kai befingerte in meinem heiligen Unterricht ungeniert die Steigungen von Daniela.

      „Kai und Daniela, könnt Ihr Eure nonverbale Kurvendiskussion bitte in die Nachmittagsstunden verlegen? Dann habt Ihr sicherlich genügend Zeit, Euch zu berühren. Hausaufgaben sind ja ein Fremdwort für Euch.“

      Danielas Blick vermittelte den Zorn Gottes. Ich fuhr in meinen begnadeten Ausführungen fort.

      „Die Erlösfunktion beginnt, wie ihr ja alle wisst, im Ursprung.“

      Olga von der Wolga verstand als native speaker eh nur noch Bahnhof, schließlich sprach sie zuhause im Interesse der doppelten Halbsprachlichkeit Russisch. Nur ihr Schäferhund konnte fließend Deutsch.

      ´Der Schlüssel zur Integration liegt in der Sprache´.

      Find ich übrigens totalen Blödsinn. Der Irre, der das gesagt hat, kennt wohl nicht den Song mit der Textzeile ´Music is the key´. Das fällt mir immer wieder ein, wenn ich zur Entspannung einen Song von Rammstein höre.

      „Wenn ihr richtig gezeichnet habt, seht ihr, dass sich das Gewinnmaximum an der Kapazitätsgrenze befindet. Kann mir jemand erklären, was das Gewinnmaximum ist?“

      Ich wollte den Unterricht durch einen Frageimpuls auflockern. Kai meldete sich.

      „Das ist der Höhepunkt.“

      Da war er wieder, dieser Glanz in den Augen der postpubertären männlichen Hosenscheißer, die glaubten, mitreden zu können. Ihre offensichtliche Freude an Kais Beitrag wurde durch einvernehmliches Grunzen zum Ausdruck gebracht (ich muss diese Typen unbedingt vormerken für den Work-shop ´Gegenseitiges Angrunzen für Fortgeschrittene´).

      Als sie sich nach weiteren zehn Minuten wieder beruhigt hatten, wollte ich der Klasse erklären, dass das Gewinnmaximum eines Monopols nach dem französischen Wirtschaftswissenschaftler Antoine Augustin Cournot als Cournotscher Punkt bezeichnet wird. Man muss ja auch einmal in BWL über den Tellerrand hinaus schauen. Daniela meldete sich, und mir wurde ganz feucht auf der Stirn, das Unvermeidliche war nicht mehr abzuwenden.

      „Ist das nicht dasselbe wie der G-Punkt?“

      Ich wusste gar nicht, dass der gute alte Antoine in Wirklichkeit Gournot hieß! Wie dem auch sei, dieser Beitrag brachte das Fass zum Überlaufen. Die Klasse war nicht mehr zu bändigen, es entstanden tumultartige Szenen. Völlig entnervt beendete ich den Unterricht.

      Jetzt erst einmal einen doppelten Espresso aus der Kaffeemaschine ´Jurassic´ im Lehrerzimmer, die aus Mitteln des Fördervereins für gestresste Lehrer angeschafft wurde. Wenn ich mich beeile, muss ich nicht in der Schlange stehen.

      Kapitel 4

       Lehrjahre sind keine Herrenjahre

      Da bin ich wieder.

      Neulich habe ich beim Frisör in so einem Hausfrauenblättchen gelesen, dass Ihr Psychofreaks meint, man hätte mehr Verständnis für die junge Generation, wenn man sich die eigene Jugend in Erinnerung ruft.

      Das ist aber eine gewagte These unter Euch Psychos.

      Aber wenn Ihr meint.

      Ich hatte wirklich eine glückliche Kindheit. So ausgeglichen und unverdorben!

      Als Schüler war ich übrigens ein richtiger Arsch! Nun mag es Leute geben, die mich heute in meiner Funktion als Lehrer auch noch als Selbiges bezeichnen, aber ich finde, das muss man differenzierter sehen!

      In unserem Jahrgang war ich allerdings bei weitem nicht das einzige provokative Sackgesicht. Es gab uns in Hülle und Fülle. Deshalb waren wir gefürchtet. Und unbeliebt. Es war diese Kombination aus durchschnittlicher Intelligenz und pubertärer Überheblichkeit, die einige Lehrer schier zur Verzweiflung brachten.

      Der heutige Schülertypus ist da ganz anders, und ich weiß, wovon ich spreche, habe ich doch Tag für Tag mit diesen Nullnummern zu tun. Bei meinen Schülern handelt es sich, was den Intellekt angeht, eher um Sparversionen. Das bedeutet, dass ihre Bemühungen, Lehrer fertig zu machen, bloßzustellen oder einfach nur zu veräppeln, in aller Regel zum Scheitern verurteilt sind, da sie weder über den nötigen Witz noch die erforderliche Kreativität verfügen.

      Außerdem sollte ich nicht verheimlichen, dass über meine ausgefeilte Notenfindung eine darwinsche Selektion stattfindet. Upps, der kleine Dummbeutel, der sich eben noch mit mir anlegen wollte, hat wegen 2 Fünfen das Klassenziel nicht erreicht (und wird sicherlich auch nicht die Nachprüfung nach den Sommerferien bei mir bestehen).

      Dieser Selektionsmechanismus funktionierte zu meiner Schülerzeit eben nicht, da wir uns mit unseren bescheidenen Fähigkeiten immerhin im Zweier- oder zumindest Dreierbereich bewegten. Das heißt, notenmäßig konnte uns kein Lehrer was anhaben, wir waren die ungekrönten Könige in der Schule, also riskierten wir eine dicke Lippe!

      Gott sei Dank ist auch diese unangenehme Spezies mittlerweile ausgestorben. Sonst wäre ich sicherlich kein Lehrer geworden.

      Die heutigen Dünnbrettbohrer und Flachpfeifen können es sich aufgrund ihres Hangs zur Grenzdebilität gar nicht leisten, aufmüpfig zu sein. Unser Schulsystem wird es schon regeln. So viel zum Thema, dass niemand mehr sitzen bleiben soll - schöne Grüße an Frau Ex-Bildungsministerin NRW Rhabarbara Sommer oder wie die momentane Grazie mit dem zerknautschten Gesicht heißt.

      Aber was fasele ich da schon wieder über meine Schüler? Es geht doch heute einzig und alleine um mich!

      Bereits damals in meiner eigenen Schulzeit habe ich wichtige Fähigkeiten erworben, die einen guten Lehrer ausmachen und die es erst ermöglichen, diese Wildnis einigermaßen unbeschadet zu überleben. Eine dieser Fähigkeiten ist der blanke Zynismus, der mir heute nach über 15 Jahren Schuldienst besagtes Überleben in der Schule garantiert.

      Welcome to the jungle!

      Nach dem Abitur absolvierte ich mangels Studienalternative erst einmal eine kaufmännische Ausbildung. Da hat man nämlich etwas Handfestes.

      Ich lernte