Marianne Brugger

Aichwalder Zeitenspiegel


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nur gesagt, „sie solle machen, dass sie ihren faulen Arsch nore bringt.“

      Im Schreiben hatte sich Irene Gläser früh geübt. Einige Beiträge, die sie als junges Schulmädchen geschrieben hatte, wurden veröffentlicht; einer davon ist in einem Heimatbuch zu finden. Später beschrieb sie sehr eindrücklich die verschiedenen Vorkommnisse und Erlebnisse von und mit dem „Schultes“ Gläser und hielt Geschichtliches für das Aichschießer Heimatbuch fest.

      Nicht festgehalten hat sie bislang jene Momente, die ihr das Gefühl vermittelten, durch Unwissenheit ins Fettnäpfchen getreten zu sein. So legte sie einmal als frischgebackene Bürgermeistersekretärin einen Botengang nach Krummhardt auf einen Sonntagmorgen, da die Arbeit es ihr nicht erlaubt hatte, wochentags dieser Pflicht nachzukommen. Nichts ahnend von den hier teilweise gebräuchlichen sonntäglichen Sitten, klopfte sie bei dem Briefempfänger an und traf, als die Tür geöffnet wurde, auf eine große Familie, die sich um einen langen Tisch zur sonntäglichen Andacht versammelt hatte.

      Der in der Gemeinde Aichschieß-Krummhardt vorherrschende Lebensstil war damals – durch die Not bedingt – einfach und meist von einer Frömmigkeit geprägt, die kein Abweichen von der Norm zuließ. In vielen Häusern war als alleiniges Buch die Bibel vorhanden. Vor dem zweiten Weltkrieg war man in der Gemeinde Aichschieß - Krummhardt evangelisch, man hatte lediglich einen einzigen Katholiken aufzuweisen. Spaßeshalber hatte dieser mehrmals auf Gleichstellung mit seinen Glaubensbrüdern und daher auf dem Bau einer Kirche bestanden, mit dieser Forderung aber immer nur gut gemeintes Gelächter geerntet. Doch durch die Flüchtlinge und die späteren Neubürger änderte sich die Situation. Irene Gläser betont heute noch mit Stolz, dass alle Kirchengemeinden, die in Aichschieß nach dem Krieg eine Kirche bauten, von der Gemeinde gleichermaßen mit Zuwendungen bedacht wurden.

      Im Rückblick drängen sich Frau Gläser auch Erinnerungen profanerer Art auf:

      Das Bad auf der Tenne inmitten des Kuhstalls. Die ehrliche Verwunderung des Schwiegervaters über das vierzehntägliche Baden der jungen Familie Gläser: „Ihr müsst schön dreckig sein, wenn ihr dauernd baden müsst.“

      Und dann im Jahr 1949: Die erste eigene Wohnung und das erste eigene Badezimmer im neu erbauten Rathaus, das in Ermangelung eines eigenen zum Schauobjekt vieler Neugieriger wurde.

      Nicht vergessen ist auch das Waschen der Schmutzwäsche auf der Straße. Wie früher in Aichschieß oftmals üblich, wusch auch sie bei gutem Wetter die Wäsche im Freien vor dem Haus der Schwiegereltern. In der kälteren Jahreszeit verlegte die Familie Gläser den Waschtag in den hinteren Teil des Stalls. Mit der Fertigstellung des Rathauses wurde das Waschen für sie und viele Aichschießer Frauen komfortabler. Da der dort befindliche öffentliche Waschraum die hierfür benötigte Wanne, einen großen Tisch und auch eine Waschkesselanlage enthielt, entfiel – neben der Raumnot – das Transportieren dieser Gerätschaften zum jeweiligen Waschplatz.

      Auch für die Flüchtlingsfrauen, die sich beim Waschen oftmals mit einem großen Topf auf dem Kohleofen hatten behelfen müssen, war der für jedermann zugängliche Waschraum eine große Erleichterung. Die im Jahr 1950 probeweise aufgestellte „Waschmaschine“ mit sich drehendem Flügelrad erfreute sich großen Zuspruchs, so dass die Gemeindeverwaltung bereits nach kurzer Zeit beschloss, diese käuflich zu erwerben.

      Selbst die neue Volksschule, eingeweiht im Jahr 1952, brachte nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Erwachsenen Neuerungen mit sich, da sie neben den Unterrichtsräumen die öffentlichen Wannen- und Brausebäder beherbergte. Viele Aichschießer gönnten sich fortan den Luxus eines komfortablen Voll- oder Duschbads im Schulhaus. Für das moderne Badevergnügen war nur eine geringe Gebühr zu entrichten: ein Wannenbad kostete achtzig und das Brausebad lediglich vierzig Pfennige.

      Alles, was man zu tun und lassen hatte, war in der Nachkriegszeit noch genauestens festgelegt; auch das Zusammenleben der Geschlechter war ein anderes. Irene Gläser war von einigen Reglements ausgenommen. So war es zu jener Zeit üblich, dass nach den öffentlichen Gemeinderatssitzungen, während derer „amtlich verhalten“ diskutiert wurde, noch eine Nachsitzung im Rössle stattfand, bei der das Besprochene noch einmal heftig nachdiskutiert wurde. Dabei wurde nicht nur geduldet, dass die als Protokollführerin fungierende Sekretärin an den „Nachsitzungen“ teilnahm, sondern auch, dass sie, gleichwohl der anwesenden Diskutanten, ein alkoholisches Getränk zu sich nahm. Als sich jedoch einmal eine Aichschießer Bürgerin dazu überreden ließ, sie bei einem solchen Gang ins Rössle zu begleiten, löste dies bei deren Ehemann große Missbilligung und sieben Tage Schweigen aus. Da half auch nicht, dass sich die heftig von ihrem Mann gescholtene Frau darüber beschwerte, dass es Frau Gläser ja auch erlaubt sei, in eine Gaststätte zu gehen. Die Antwort des erbosten Ehemannes, eine Frau habe in der Wirtschaft nichts zu suchen – bei Frau Gläser sei das ein anderer Fall, da sie von der Stadt käme – entsprach der allgemeinen Auffassung.

      Bei der Bürgermeistergattin wurde auch respektiert, dass sie auf ein gepflegtes Äußeres Wert legte und dies durch Lippenstift und rot lackierte Fingernägel unterstrich. Zwar rügte ein Gemeinderat einmal: „Du Irene, deine route Fengernägel g´fallet mir aber gar net“, doch mit ihrer schlagfertigen Antwort: „Mir deine schwarzen auch nicht“ war dies abgetan.

       Bild 1 Robert und Irene Gläser in festlicher Kleidung

      Das Gefälle zwischen Stadt und Land war damals viel ausgeprägter als heutzutage. Nicht nur durch Sitten und Kleidung unterschied man sich. So hielt mancher Städter erstaunt sein Auto an, wenn er die Tochter der Familie Gläser beim „Ausschellen“ antraf. Mit Hilfe der Schelle (Glocke) verschaffte sich das Mädchen Gehör und vermeldete mit lauter Stimme die neuesten Ortsnachrichten. Die Gläser-Sprösslinge – nach der Tochter Gabriele übernahm für kurze Zeit ihr Bruder diesen Dienst – hatten das Ausschellen von dem zu einem Aichschießer Original mutierten Büttel Johannes Trautwein übernommen. Von ihm ist überliefert, dass er einmal – sein „Schellgang“ hatte ihn über die Aichschießer Wirtschaften geführt – bei der Station Waldeck Schwierigkeiten hatte, die Nachrichten ordnungsgemäß zu verkünden. Nach dreimaligem, nicht zum Erfolg führenden Anlauf, „hicks“, vermeldete er: „Le-lecket me am Arsch, i komm morga wiedr!“

      Solcherlei Verhalten wurde bei dienstbeflissenen Amtspersonen durchaus geduldet. Bei der Erinnerung an solche Begebenheiten schmunzelt Frau Gläser heute noch; haben ihr doch auch jene Begebenheiten sowie das Tun und Lassen der „Schurwälder Originale“ das Leben auf dem Schurwald nicht nur lebens-, sondern auch liebenswert gemacht.

      Der außergewöhnliche Humor von Bürgermeister Gläser ist sprichwörtlich. Seine Frau Irene stand ihm diesbezüglich nicht nach und verschaffte sich mit ihrer allseits bekannten Berliner Schlagfertigkeit Respekt. So trat ihr ein Krummhardter Gemeinderat anfangs mit großer Skepsis entgegen und verhehlte seine Gesinnung nicht, als er zu ihr sagte: „Du Berlinerin, du bisch ja bloß a Uffpfropfte“. Mit ihrer Berliner Schlagfertigkeit ausgestattet, konterte sie sofort: „Tatsächlich hab’ ich hier schon gelernt, dass man nur ein edles Reis auf einen minderwertigen Stamm aufpfropft“. Von Stund an änderte sich die Gesinnung dieses Gemeinderats der „Berlinerin“ gegenüber grundlegend.

      Einfach war die gemeinsame Dienstzeit nicht immer. Als Ehefrau hatte sie auch belastende Umstände und amtliche Entscheidungen mit zu tragen, litt mit bei Unstimmigkeiten und Auseinandersetzungen von „Amts wegen“. Schwer war für das Ehepaar Gläser die Zeit, als über die „Hoss-Pläne“ und die Gemeindereform äußerst kontrovers diskutiert wurde. Nicht nur die Auseinandersetzungen, auch die daraus resultierenden Intrigen, machten dem Bürgermeisterehepaar gleichermaßen zu schaffen. Ebenfalls krisenreich und wohl am meisten belastend war für beide jedoch die Zeit, als Robert Gläser sich für den jetzigen Standort der Aichwalder Grund- und Hauptschule einsetzte. Wenn schon nicht im „oigene Flecka“, hätte sie nach der in Aichschieß vorherrschenden Meinung zwischen Aichschieß und Schanbach, also „näher dra“ gebaut werden sollen.

      Auch das so enge Zusammenleben im Amt und zu Hause war nicht immer einfach. Trotzdem möchte sie diese Zeit nicht missen, weder beruflich noch