Leon Skip

NICHTS


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      RZ-Wissenschaftler vermuteten nuglierende Essenz-Intelligenzen hinter diesen Gebilden - wenn man bedachte, dass vor langer Zeit Nanotechnologie von den Trads erschaffen worden war, ein schrecklicher Verlust an unschätzbarem Wissen. Nur eines wusste man: Die Nano-Welten brauchten Materie und waren deshalb auf das Universum angewiesen. Wie lange das noch so bleiben würde, das wusste niemand.

      Die Frustration der ehemaligen Erdenbewohner – eben jene Wesen, die von Sid, Sen und ZEN Trads genannt wurden, hatte ihren Höhepunkt erreicht, nachdem die autarken Maschinenintelligenzen sich weigerten, weiterhin mit ihnen zu kooperieren, da sie ihre eigenen Ziele verfolgten und ihnen ihre Schöpfer mehr oder weniger schnurz waren. Man kann nur von ungeheurem Glück sprechen, dass überhaupt noch KIs den biologischen Lebensformen dienten.

      So trieb man sich jetzt in der Nähe von Sol herum, es war wieder mal nichts mit dem Einfangen der autarken KIs und Sid hatte nicht viel zu tun außer Routinearbeit.

      Nach einem Monat hätte er sich selbst schon fast – unerlaubter Weise – in den Cryoschlaf begeben, wenn nicht dieser Alarm gewesen wäre.

      Ein BC-Alarm: Irgendwo da draußen mussten biochemische Stoffe herumtreiben.

      Die RZ-Navs waren ganz aus dem Häuschen. Was empfahl sich bei BC-Alarm? Scannen selbstverständlich, aber was dann? Es war strengstens verboten, biochemische Stoffe an Bord zu nehmen, schon aus Gründen eventueller bakterieller oder viraler Kontaminierung.

      Nachdem im Universum aufgrund seiner geringdimensionalen Struktur fast nichts unsichtbar war, fanden die Navs das Objekt relativ schnell und gingen im Abstand von zwei astronomischen Einheiten längsseits. Sie staunten nicht schlecht, als sich das Objekt als Trads-Raumschiff zu erkennen gab. Es musste steinalt sein. Nach dem Zurückverfolgen des Kurses ergab sich, dass es ein – was auch sonst? - irdisches Schiff war, vor ungefähr eineinhalb Jahrtausenden auf seine Fahrt geschickt, versehen mit den damals üblichen Photonenantrieben. Da es klar war, dass keiner der Navs mit Bakterien oder Viren in Kontakt kommen wollte, machte sich Sid bereit für den Ausstieg.

      Er hatte noch nie verstehen können, warum sich jeder vor Besuchen im Universum drückte, wenn man vom Altern absah, was für ihn ja sowieso keinen Belang hatte.

      Das Universum: diese Blase, dieses Kuriositätenkabinett, diese beschränktdimensionale Bühne der dualistischen Erscheinungsformen. Hier gab es Elemente, die sich wechselweise von Materie zu Energie umformten und umgekehrt, es gab Schwerelosigkeit und Gravitation, je nach Masse oder Gravfeld, hier war Licht, dort war Schatten, dies war nahe, jenes fern. Eben die Gesetze einer relativ einfachen dualistischen Simulation! Sid liebte den Wechsel zwischen Gravfeld und Schwerelosigkeit. Zu gerne hätte er diese Freude mit Sen geteilt, doch diese hielt sich im Hintergrund – das Universum war ihr nicht ganz geheuer.

      »Unheimlich schön und ganz schön unheimlich.« Das waren ihre Worte zu diesem Thema und die spukten Sid im Kopf herum, als er die Transferschleuse bestieg, um zu einer Inspektion dieser alten Trads-Gondel aufzubrechen.

      Philms hatte beteuert, dass mit keiner Anwesenheit von Trads-Intelligenz zu rechnen sei, wie denn auch? Lediglich einige Maschinen ohne erkennbare Waffensysteme seien an Bord gescannt worden und die Hülle hatte scheinbar einige Risse, aus denen geringe Mengen an atembarer Sauerstoff/Stickstoff-Athmosphäre austraten. Der Zielprogrammscan ergab außerdem, dass der Pott gerade mal ein Zehntel der 4,35 Lichtjahre zwischen Sol und seinem Bestimmungsort Rigil Kentaurus, besser bekannt als Alpha Zentauri zurückgelegt hatte. Sie flog also mit lächerlichen 3 tausendstel Promille der Lichtgeschwindigkeit. Die Photonenantriebe der Trads waren eben nicht geeignet für große Distanzen, aber es war eine nette Geste der untergehenden Menschheit, Archen auszusenden. Und Sid war sich sicher, es mit einer dieser Trads-Archen zu tun zu haben.

      Aber das hieß natürlich auch, dass hier Antiquitäten abzustauben waren. Wenn die Archen sowieso nie am Ziel ankamen, wen kümmerte es da, wenn man das eine oder andere entwendete? Sid steckte die Feldkonsole in eine seiner Brusttaschen, aktivierte ein Beschleunigungsfeld und öffnete die Schleuse manuell. Er aktivierte die Netzhautprojektion seines rechten Auges, schob das Bild von Sen willkürlich auf die linke Seite, die Zielerfassung der Arche nach rechts und in die Mitte das Biochem-Scandiagramm, welches ihm die nötigen Informationen geben würde, falls er es mit biochemischen Organismen zu tun haben würde.

      Sen sah entspannt dabei zu und wirkte ruhig, obwohl ihr die Trads und ihre Werke ganz und gar nicht geheuer waren.

      4 Abschied, Erde, 1. Mai 2095 Trads-Zeit

      Timea, Pearl und Bo waren zu Fuß unterwegs. Und die einzigen, die wussten, was heute Abend am Programm stand. Dementsprechend gab es auch nicht viel zu reden.

      Es war sehr warm für Anfang Mai, die Sterne blinkten über ihren Köpfen und mehr oder weniger unbewusst sahen die drei immer wieder hoch zum Himmel, in der Hoffnung, da oben etwas sehen zu können. Aber das, wonach sie Ausschau hielten, befand sich auf der anderen Seite der Erdkugel und das einzig Ungewöhnliche waren die illuminierte Burg hoch oben am Steilhang und die Brise technoider Klänge, welche, gefiltert durch die vielen Bäume am Hang, Richtung Tal schwappte.

      Sie hatten den Bus genommen, der sie von Wien bis an diese besondere enge Schleife der Donau gebracht hatte. Zur Burg hinauf gingen sie händehaltend, zuerst schweigend, dann lachend.

      Oben angekommen fühlten sie sich trunken vor Lebensfreude – Sie lebten noch!

      Timea hatte ihre Gefühle im Griff. Die Nachwirkungen ihres dreitägigen Tiefschlafs waren verflogen, die Depotwirkung der Drogen bewirkte eine leichte, aber kontinuierliche Serotoninausschüttung, die erst nach drei bis vier Wochen nachlassen würde. Pearl und Bo hatten sich im Bus Intox gegönnt – quietschvergnügt überquerten sie die mittelalterliche Zugbrücke.

      Die verfallene Burg selbst war in Orange und Sonnengelb illuminiert, die Soundanlage produzierte kratzende Bässe in Pulsfrequenz, durchsetzt mit fragenden und klagenden Alien-Stimmen mit Dopplereffekten.

      Mittlerweile waren fast alle zweihundert Gäste eingetroffen. Um in den zentralen Burghof zu gelangen, musste jeder einzelne durch einen schmalen Wehrgraben, der, wie die meisten glaubten, mit Kunstnebel gefüllt war. Tatsächlich wurde hier Salvia Divinorum geräuchert, was einen emphatogenen Effekt hervorrief und die Sinne derjenigen schärfte, die den Rauch durchschritten.

      Im Burghof war gerade genug Platz für alle Eintreffenden, um sich entlang der Mauern aufzustellen, denn in der Mitte befand sich auf einem hüfthohen Podest ein Holo-Projektor, der in drei Metern Höhe einen Countdown im Sekundentakt herunterzählte. Die Ziffern im klassischen Spacelook erschienen, flackerten wie Kerzenflammen in Orange- und Rottönen auf, um anschließend wie Seifenblasen zu zerplatzen. Durch den Effekt des Zerplatzens entstand unwillkürlich ein gewisser Abstand zwischen Holoprojektor und den neugierigen Betrachtern.

      Als Timea den Burghof betrat, zerplatzte gerade die 273, untermalt von psychedelischen Bässen und Sorround-Getuschel. Nun wandten sich viele fragende Mienen Timea zu, die nicht mehr als ein wissendes Lächeln von sich gab und sich im Lotussitz auf den kühlen Erdboden setzte. Da keine Sitzgelegenheiten vorhanden waren, taten nach und nach die Anderen das Gleiche, wodurch nun alle eine gute Sicht auf die 3D-Darstellung hatten.

      Als die 100 erschien, begann sich die Darstellung zu drehen, die Ziffern traten in den Hintergrund und der Blick auf eine Animation war frei.

      Die Qualität war nicht hochauflösend, sondern eher körnig, was jedoch gut zu der dreidimensionalen Darstellung der Milchstrasse passte, die sich vor den Augen der Gäste zu drehen begann, bis sich der Blickpunkt rasend schnell der Stelle näherte, an der sich Sol, unser Sonnensystem befand.

      Kurz sah man das ganze Sonnensystem, die Kamera schoss an der Sonne vorbei, bis die Erde sichtbar wurde, dann überflog man Europa. In südwestlicher Richtung ging es weiter über den Atlantik in Richtung Amazonasmündung, dann verlor die rasante Fahrt schnell an Geschwindigkeit bis sie über dem Südost-Pazifik zum Stillstand kam. Nun sah man nur mehr einen Teil der Küste Chiles im rechten Bereich des Bildes, sonst waren da nur Wolken