Christian Otte

Lazarus


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      Alex beendete die Verbindung ohne einen Ton zu sagen. Sein Mund stand vor Erstaunen offen. Vielleicht waren Vampire doch möglich. Immerhin starrte er gerade auf einen Mann, der sich vor seinen Augen in einen Werwolf verwandelt hatte.

      9

      „Und wie soll es weitergehen?“, fragte Alex den wieder zurück transformierten Wolk, als dieser sich gerade wieder das Sakko überzog. Sein Handy hielt er immer noch in der Hand.

      „Nun, zunächst mal, werden wir dich in dein altes Leben zurückbringen. Wir haben ein Zimmer im Krankenhaus vorbereitet. Da werden wir dich reinlegen und deine Verwandten können in den nächsten Wochen deine Genesung mit ansehen.“

      „Wochen? Ich fühle mich topfit“, protestierte Alex.

      „Genau das ist das Problem. Du hast deine Verletzungen in 3 Tagen ohne nachweisliche Narben oder sonstige Nachwirkungen auskuriert. Deine Verletzungen, wenn du sie den überlebt hättest, erfordern aber in der Regel einen wenigstens 2-wöchigen Krankenhausaufenthalt. Plus Re Ha-Maßnahmen, Nachuntersuchungen und so weiter dauert es bis zur vollständigen Genesung mindestens 3 Monate. Und dass wäre schon schnell. Daher werden wir das notwendige mit dem Nützlichen verbinden.“

      „Inwiefern?“

      „Ich sagte doch, dass normalerweise zur Erschaffung eines Vampires eine Bluttaufe notwendig ist. Und dass dein Fall anders gelagert ist. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ein Fall wie deiner ist in den gesamten Archiven nicht verzeichnet. Und unsere Archive reichen sehr weit zurück.“

      „Das heißt...?“

      „Ich würde gern, deine Erlaubnis vorausgesetzt, ein paar Tests mit dir machen. Um herauszufinden ob du ein Vampir im klassischen Sinne bist, eine Untergattung oder etwas völlig neues.“

      „Du willst mich als Versuchskaninchen?“

      „Wenn du es so nennen willst, ja, aber eigentlich eher ein Feldversuch. Jeder Vampirstamm hat ganz spezifische Fähigkeiten, sozusagen Familienähnlichkeiten. Zum einen möchte ich herausfinden, welchem Stamm du angehörst und ob die Fähigkeiten stark ausgeprägt sind und wenn ja, wie stark.“

      „Was soll das bringen?“

      „Ich will vor allem versuchen herauszufinden, durch wen der Vorbesitzer deines Herzens zum Vampir wurde. Eine nicht genehmigte Bluttaufe ist nämlich strafbar. Zum anderen will ich wissen, ob diese Art der Umwandlung Nebenwirkungen hat.“

      „Was für Nebenwirkungen?“, fragte Alex, jetzt doch etwas nervös.

      „Das weiß ich ja eben nicht. Aber es gibt zum Beispiel eine starke emotionale Bindung zwischen dem taufenden und dem getauften Vampir. Da du deinen Blutgeber aber nie getroffen hast und er verstorben ist, existiert diese Bindung nicht.“

      Alex grübelte, so dass Wolk Zeit hatte den Ober für die Rechnung zu rufen.

      Als hätte er Alex' Gedanken gelesen sagte Wolk, als der Ober schließlich gegangen war:

      „Ich weiß, dass du jede Menge Fragen hast. Mir ging es genauso als ich erfahren habe, dass ich ein Werwolf und nicht der einzige meiner Art bin. Aber wir gaben reichlich Zeit alle ausführlich zu beantworten.“

      Eine halbe Stunde später lag Alex in Krankenhauskleidung in einem Einzelzimmer. Wolk hatte sich wieder einen Kittel angezogen und schob einen Beistellwagen mit einigen kleinen Teilen auf einem Tablett neben das Bett. Während er die Klebepads für den Herzmonitor auf Alexanders Brust befestigte erklärte er ihm, dass sie die Tests nachts durchführen würden. Nachdem er auch eine Kanüle für eine Infusion gelegt hatte, griff er nach einem Teil auf dem Tablett, das aussah, wie eine Mischung aus Asthma-Inhalator und Tacker.

      „Das hier ist ein Schlafmittel“, erklärte er. „Wenn du nicht schlafen kannst, nimm es ruhig. Du kannst es nicht zu hoch dosieren, und selbst wenn, wäre es bei dir egal. Du drückst es am besten an deine Halsschlagader. Einfach fest drücken, dann wird die Dosis ausgelöst und ein paar Sekunden später schläfst du ein. Das Gerät injiziert das Mittel über die Haut, so dass keine Einstichstellen zurückbleiben. Vergiss nicht, dass du schwer verwundet wurdest. Halt dich deswegen bei allem Kontakt mit Menschen ein wenig zurück. Dein Immunsuppressivum solltest du absetzen. Dein Immunsystem wird dein Herz nicht mehr abstoßen. Wenn dir etwas auffallen sollte, irgendwas, was dir ungewöhnlich vorkommt, ruf mich an. Hier meine Karte.“ Ungewöhnlich war ein sehr fließender Begriff, wenn man gerade erfahren hatte, dass es Vampire gibt und man selber einer davon war.

      Wolk nahm das Handy vom Tisch und legte es neben Alex auf den Nachttisch, daneben eine Visitenkarte. Dann setzte er sich auf den Stuhl und sah Alex an.

      „Ich komme morgen Abend wieder für die Tests. Hast du bis dahin noch irgendwelche Fragen.“

      „So viele, dass ich nicht weiß welche ich zuerst stellen soll“, antwortete Alex und zog das Kissen etwas höher.

      „Verständlich“, sagte Wolk, „Ich möchte dir danken. Dich einfach auf all dies einzulassen erfordert viel Vertrauen.“

      „Das hat weniger mit Vertrauen zu tun, als mit der Tatsache, dass du mir Antworten auf Fragen geben kannst, die mir noch vor einer Woche nie in den Sinn gekommen wären“, gab Alex zurück.

      „Dann hoffe ich darauf, dass diese Zusammenarbeit für uns beide Antworten liefert.“

      Wolk erhob sich und machte sich daran, das Zimmer zu verlassen. „Noch eins: Erzähl niemandem von Vampiren und Werwölfen.“

      „Wer würde mir glauben?“, fragte Alex und musste bei dem Gedanken, wie er damit versuchen würde an die Presse zu gehen, lachen. Man würde ihn höchstens bei solchen Zeitungen oder Sendern erst nehmen, die er selbst nicht ernst nahm.

      „Mehr als du ahnst. Also bis morgen.“ Wolk verließ das Zimmer und löschte das Deckenlicht.

      Alex saß im Schein einer Leselampe in seinem Bett und schloss die Augen. Seine Gedanken kreisten noch um das eben gehörte. Es gab Werwölfe und Vampire. Was würde es noch geben? Und wie war es möglich das es solche Wesen in Sagen, Legenden und Märchen schon ewig gab, aber noch nie jemand Beweise dafür gefunden hatte. Was würde das für seine Familie bedeuten und was für ihn?

      Er löschte das Licht seiner Leselampe und starrte ins dunkle Zimmer. Doch es war gar nicht so dunkel. Er konnte die Heizung und die Lampen deutlich erkennen. Den Rest des Zimmers konnte er auch noch wahrnehmen. Die Vorhänge waren zugezogen, und draußen war es bewölkt. Woher kam das Licht? Das kommt auf die Liste der Fragen, die er Wolk morgen stellen wollte, doch für heute sollte es reichen. Obwohl er 3 Tage geschlafen hatte, war er jetzt sehr müde. Er wollte die möglicherweise letzte Nacht nutzen, in der er noch schlafen konnte, bevor er seine Lebensweise auf Nachtschicht umstellen müsste. Den Kopf immer noch mit tausend Fragen gefüllt, schlief er schließlich ein.

      In seinem Traum ging er wieder mit Anna unter der Überführung durch. Vier apokalyptische Reiter versperrten ihm den Weg. Hinter ihm hatte sich eine Wand aufgebaut und verhinderte eine Flucht. Alex schlug auf den Boden. Wieder und wieder. Schließlich gab der Boden nach. Das Pflaster zerbrach und er fiel. Fiel tief. Im Fall pflückte ihn eine gigantische Werwolfsklaue aus der Luft. Sie setzte ihn wieder da ab, wo er zuvor gestanden hatte, neben Anna. Die Reiter waren weg, der Weg war frei. Merkwürdiger Traum.

      Es war etwa 10 Uhr, als es zaghaft an der Tür klopfte.

      „Herein!“, rief Alex und legte eine Zeitung zur Seite, die ihm eine Schwester mit dem Frühstück gebracht hatte.

      Die Tür öffnete sich einen Spalt und Alex konnte in der Lücke das Gesicht einer zierlichen Frau Mitte fünfzig erkennen. Nicht das Alter, sondern andauernde Sorge um ihre Familie hatten sich darin abgezeichnet. Sie drohte den Kampf gegen die Tränen wegen ihrer deutlichen Übermüdung zu verlieren, trotzdem versuchte sie tapfer zu lächeln. Es schien Alex, es müsse eine Ewigkeit her sein, dass seine Mutter ausgeschlafen hatte.

      „Komm ruhig rein, dir passiert hier nichts“,