Mark Savage

Brut des Bösen


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gelang es ihm immer wieder, sich doch seiner zu erbarmen.

      »Lüften Sie ihre etwas unwohl riechende Garderobe und folgen Sie mir. Ich lade Sie auf Kartoffelsuppe und ein Stück Räucherfleisch ein, einverstanden?«

      Die Augen Ryders begannen zu leuchten.

      »Das ist aber verdammt in Ordnung von Ihnen, Pater. Der alte Ryder wird Ihnen das nie vergessen, das schwöre ich, so wahr ich ...«

      »Versündigen Sie sich nicht noch mehr als es so schon der Fall ist. Kommen Sie, mir knurrt der Magen auch ein wenig.«

       »Wirklich schade um das hübsche Ding«, brummelte Ryder, während er gierig seine Suppe in sich hinein schlürfte.

      »Um den Jungen natürlich auch«, beeilte er sich zu sagen, als er die gerunzelte Stirn des Priesters bemerkte. Rewitt sah gnädig über die Tischmanieren des alten Schlitzohres hinweg, aber an die Redeweisen dieses Burschen würde er sich wohl nie gewöhnen.

      »Es ist um jeden Menschen schade, der so jung von dieser Welt abberufen wird, Mr. Ryder«, erklärte der Pater im strengen Ton.

      »Gottes Wege sind rätselhaft und für uns Menschen oft nur schwer zu verstehen. Aber irgendwo hat dies alles seinen Sinn. Sie werden es nicht für möglich halten, Mr. Ryder, auch Sie sind ein Kind Gottes.«

      Ryder nickte überzeugt.

      »So ist es, Pater. Deshalb hält der gute alte Herr auch einen besonders schönen Platz für mich reserviert. Schließlich sorge ich dafür, dass sein Gottesacker immer top in Ordnung ist. Habe ich recht, Hochwürden?«

      Nur mit Widerwillen gab ihm der Pater recht.

      »Sie sind zwar ein unmöglicher Mensch, und ich frage mich wie Ihre Frau es solange mit Ihnen aushalten konnte, aber es stimmt. Sowohl als Totengräber als auch in Ihrer Tätigkeit als Friedhofsgärtner erledigen Sie Ihre Arbeit stets zufriedenstellend. Eine Tatsache, die so ganz und gar nicht zu Ihnen passen will, Hendrik.«

      »Außen pfui, innen hui, Vater. Meine Hände zittern noch kein wenig, sehen Sie, und das, obwohl ich laut Ihrer Weissagung schon längst tot sein sollte.«

      »Reden Sie nicht so einen Unsinn, Ryder«, wies ihn Rewitt zurecht. »Ich habe nur auf Ihren gewaltigen Konsum an Alkohol hingewiesen, und tatsächlich erscheint es mir wie ein Wunder, Sie immer stets in guter Verfassung zu erleben. Ich könnte mich nicht erinnern, Sie ein einziges Mal krank erlebt zu haben.«

      »Ist doch eine klare Sache, Pater«, erklärte der Alte grinsend, während er nach dem Fleisch griff und sich danach eine gewaltige Ladung Kartoffeln auf den Teller hievte.

      »Alkohol tötet jegliche Bakterien und Krankheitserreger ab. Deshalb, und nur deshalb, ist der alte Hendrik Ryder noch fit wie ein junger Hengst. Fragen Sie meine Alte, die kann Ihnen ...«

      »Ryder«, mahnte der Priester mit erhobenem Zeigefinger. »Was immer es auch sein mag, ich will es nicht wissen, verstanden.«

      Der Totengräber knurrte irgendetwas Unverständliches in den dünnen Bart und widmete sich seinem Essen in einer Weise, die dem Pater jeglichen Appetit verdarb.

      »Warum bekommen die jungen Leute eigentlich ein gemeinsames Grab? Soviel ich weiß, waren die beiden doch gar nicht verheiratet, oder irre ich mich?«

      »Die Eltern dieser jungen Menschen trafen die Entscheidung, und ich finde sie richtig. Man sollte die Liebenden nicht voneinander trennen. Jennifer, das Mädchen, wohnte in London, aber dieser Ort hier, der Geburts- und Wohnort des Jungen, liegt ruhiger und doch jederzeit erreichbar für die Angehörigen. Ich kenne Neil Kobain, den Vater des Jungen, etwas näher, und es tut mir weh, dass ihm so viel Leid widerfahren musste. Erst letztes Jahr starb sein Bruder an Krebs, eine schreckliche Sache. Der Mann litt an Hautkrebs. Als ich ihm die letzte Absolution erteilen wollte, erschrak ich zum ersten Mal vor dem bloßen Anblick eines Menschen.«

      Ryder nickte.

      »Ich kenne die Kobains, Pater, aber für mich waren die nie was anderes als ein Haufen stinkreicher Leute, die die Nase hochzogen, wenn Ihnen einer aus dem gewöhnlichen Gefolge unter die Augen trat.«

      »Bei Ihnen, Ryder, ziehen noch ganz andere Leute die Nase hoch, nehmen Sie es mir nicht übel. Sie sollten nicht vorschnell über Leute urteilen, die Sie überhaupt nicht kennen.«

      Ryder nahm einen Schluck aus der Flasche alkoholfreien Biers und verzog den Mund, als hätte man ihn gezwungen einen Liter Essig einzunehmen.

      »Ach, von wegen, erzählen Sie mir nichts über Menschenkenntnis, die hat der alte Ryder mehr als Sie annehmen. Es ist ganz in Ordnung, wenn es auch mal ein paar Reiche erwischt, damit Sie sehen, was Ihre ganze Kohle eigentlich wert ist.«

      Rewitt wurde nun ernsthaft zornig. Doch bevor er etwas erwidern konnte, vernahm er ein Klirren, das sich anhörte, als wäre eine Scheibe zerbrochen.

      »Haben Sie das auch gehört, Ryder?«, fragte er den Totengräber.

      »Klang wie das Bersten von Glas«, meinte dieser lauernd.

      »Vielleicht haben ein paar von diesen ausgeflippten Typen, die hier in der Gegend wohnen, sich einen dummen Scherz erlaubt. Das Geräusch kam aus Richtung Kapelle oder Leichenhalle. Ich werde mal nachsehen, Pater. Möglicherweise war es auch nur eine Katze, die etwas umgestoßen hat.«

      Der Priester öffnete das Fenster und sah hinaus. Der Friedhof lag auf der Rückseite seines Hauses. So besaß er eine recht gute Aussicht über den gesamten Gottesacker mit der kleinen Kapelle und der angrenzenden Leichenhalle.

      »Ich kann nichts erkennen, Ryder. Die Straße ist auch leer, ich kann kein Fahrzeug oder sonst etwas ausmachen. Alles ruhig. Womöglich hörte es sich nur so an, als käme es aus der Nähe. In der Stille der Nacht täuscht man sich oft über irgendwelche Geräusche hinweg.«

      »Ich sehe trotzdem mal nach, Pater, wenn Sie nichts dagegen haben.«

      Rewitt nickte und ergriff sein Jackett.

      »In Ordnung, kommen Sie. Beruhigen wir unser Gemüt und sehen nach.«

      Auf dem Kirchhof angekommen ließ Pater Rewitt seinen Blick über die Reihe der Gräber schweifen. Beleuchtet durch die roten Grablichter erhielten diese einen gespenstischen Anstrich. Seine Augen benötigten eine Weile, sich an das Dunkel zu gewöhnen, aber nach kurzer Zeit erkannte er immer deutlicher die Umrisse der Denkmäler und Grabsteine. Alles lag still, wie erwartet. Rewitt glaubte an keinen Jungenstreich. Er war überzeugt, dass sie sich umsonst beunruhigten.

      Ryder schritt geradewegs zur Kapelle, umrundete sie einige Male, bevor er sie betrat. Der Priester folgte ihm nicht, sondern begab sich zur Leichenhalle. Auch hier lag alles so ruhig und friedlich, wie man es erwartete. Prüfend legte er die Hand auf den Türgriff, um festzustellen, dass diese nach wie vor verschlossen war.

      Ryder gesellte sich zu ihm und zuckte mit den Achseln.

      »Entweder halten die Geister der Verstorbenen uns zum Narren, oder wir beide werden ganz einfach alt.«

      Rewitt schmunzelte. Er selbst wirkte um einige Jahre jünger als Ryder, obwohl sie nur wenig auseinander lagen. Sein Äußeres glich schon fast einem Hollywoodstar der alten Schule. Man dachte sofort an Gregory Peck in reiferen Jahren, die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen. Die buschigen Augenbrauen bestätigten dieses Bild ein weiteres Mal. Seine Gesichtszüge wirkten streng, aber sympathisch. Das krasse Gegenteil hierzu der Totengräber, dessen Cordhose seit Monaten um die dürren Beine schlapperte. Die schwarze Jacke wurde nur von einem einzigen Knopf und jeder Menge Schmutz zusammengehalten. Sein Aussehen unterschied sich kaum von der seiner schweigsamen Kundschaft. Der dürre Kopf wirkte regelrecht skelettiert, die Knochen traten in dem hageren Gesicht markant hervor. Kleine Äuglein undefinierbarer Farbe, ein gebrochenes Nasenbein und kaum vorhandene Lippen verliehen ihm genau jenes Aussehen, das man von einem Manne seines Berufsstandes erwartete. Ein Maskenbildner für Horrorfilme würde an ihm wahre Freude haben, da es kaum etwas zum maskenbildern gab. Es fehlte lediglich ein großer Zylinder auf dem Kopf, um das Bild abzurunden. Beide Männer überschritten jedoch bereits die Sechzigergrenze, und eine