Verena Swoboda

Süchtig nach Likes


Скачать книгу

Hermine wieder zu ihrem eigentlichen Thema zurückkehren würde, wo ihr doch Lukas jetzt geschrieben hatte. Das war schon länger nicht mehr passiert; umso glücklicher war Charlie darüber.

      »Nein, leider nicht!«

      Charlie war sich ziemlich sicher, dass Gregor sich nie wieder bei ihr melden würde. Zumindest nicht, solange er wieder mit Babsi zusammen war. Wenn er Babsi beweisen wollte, dass er sich für sie entschieden hatte, dann durfte er keinen Kontakt zu Charlie aufnehmen. Charlie verstand das. Es machte Sinn für sie. Dennoch erfüllte es sie mit Traurigkeit, dass sie nie wieder miteinander reden und lachen würden.

      -3-

      Gestern hatte Charlie den ganzen Abend ferngesehen - irgendwelche sinnlosen Serien - und das bis tief in die Nacht. Heute hatte sie sich dennoch hochgequält, saß nun an ihrem Computer und versuchte das nächste Kapitel von ihrem aktuellen Roman zu tippen. Es fiel ihr schwer die Augen offen zu halten und sie hatte das Gefühl, dass die Zeilen, die sie momentan zu Papier brachte, simpel und uninteressant waren. Sie kam sich vor wie eines der Kinder aus ihrer Schulklasse und hoffte inständig, dass die Qualität ihres Textes zumindest ein bisschen besser war, als die der Kindertexte. Eigentlich fiel ihr auch gar nichts ein, aber sie versuchte sich zu zwingen, zumindest eine Seite zu tippen. Sie hatte gelesen, dass Autoren versuchten, jeden Tag zumindest ein paar Zeilen zu schreiben.

      Ihr Handy blinkte auf und sie sah Hermines Nummer auf dem Display. Kurz überlegte sie, ob sie ihre Arbeit dafür unterbrechen sollte. Da sie ohnehin nicht wirklich vorankam, entschloss sie sich abzuheben. »Ja bitte?«

      »Du musst mir unbedingt helfen! Bist du gerade in der Nähe eines Computers?«, fragte Hermine mit leicht zitternder Stimme.

      »Ich sitze direkt davor.«

      »Was für ein Glück. Du musst meinen neuen Status liken und kommentieren.« Für ein paar Sekunden war es still. Charlie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte.

      »Was ist dein neuer Status?«, fragte sie schließlich.

      »Es ist ein Foto von mir, mit einem Zitat über das Leben.«

      Charlie versprach ihrer Freundin, es zu tun und verabschiedete sich rasch wieder. Sie klappte den Laptop zu und verließ das Mc Café, in dem sie immer wieder Gast war, um an ihrem ersten Roman zu schreiben. Sie würde den Status liken, allerdings etwas später von zu Hause aus. Schließlich hatte sie nicht versprochen es sofort zu tun. Außerdem wusste sie ihr Passwort für Facebook gar nicht mehr und es war ihr peinlich, hier in der Öffentlichkeit herumzuprobieren. Vielleicht würde jemand sie beobachten und denken, dass sie versuchte einen Account zu hacken.

      Es kostete Charlie einige Zeit ein neues Passwort einzurichten, da sie nach drei Fehlversuchen keine Ahnung mehr hatte, welche Kombination sie noch versuchen könnte. Ihr neues Passwort war einfach und widersprach wahrscheinlich allen Sicherheitskriterien, doch sie hatte auf Facebook nichts zu verbergen, da sie es ohnehin nie nutzte.

      Nach zehn Minuten Suchens hatte sie endlich den angesprochenen Status von Hermine gefunden. In der Zwischenzeit hatte sie einige interessante und auch weniger interessante Dinge gelesen. Was man hier alles erfuhr. Charlie war überrascht, wie viele ihrer Freunde und Bekannte regelmäßige Facebook-Posts machten. Sie kam ins Grübeln.

       Vielleicht bin ich die Abnormale und nicht Hermine.

      Sie las weiter und weiter, manchmal sah sie Dinge, die sie toll oder interessant fand, manchmal fragte sie sich, ob die Menschen hinter den Profilen kein Leben hatten, da sie fast im Stundentakt etwas Neues schrieben.

      Es kam vor, dass Charlie versucht war Dinge zu liken, sie zwang sich aber, es nicht zu tun. Sie wollte nicht zu dieser neuen Social-Media-Generation gehören. Zumindest nicht in diesem Punkt. Hermine war ein abschreckendes Beispiel für sie. Sie wollte ihre Emotionen in der Realität auslassen und nicht auf Facebook.

      Interessant waren auch die Freunde, die Charlie vorgeschlagen wurden. Sie schickte allerdings keine Anfragen. Das hatte sie bis jetzt noch nie getan und es würde auch dabei bleiben. Sie hatte ohnehin schon über 400 Freunde.

      1. Jänner 2014 - Charlies Tagebuch

      Heute ist Neujahr. Gestern war also Silvester. Es war nicht unbedingt eins der tollen Silvester. Mich nervt, dass hier alle noch herumliegen und schlafen. Ich würde gerne etwas mit dem Tag anfangen, aber ich möchte die anderen auch nicht aufwecken. Ich denke, das war das letzte Mal, dass ich eine Party bei mir gefeiert habe. Das nächste Mal muss ich mich besser wehren, wenn sich Klaus und die anderen zu mir einladen. Es dauert viel zu lange alles vorzubereiten und das Aufräumen bleibt auch an mir hängen.

      Wenn ich, so wie Hermine, eine Facebook-App auf dem Handy hätte, dann könnte ich mir jetzt zumindest die Zeit vertreiben, indem ich wieder einmal nachsehe, was meine Freunde so posten. Hm, wahrscheinlich ist es gar nicht so schwierig sich diese App runterzuladen und gratis ist es auch.

      Das war wirklich einfach. Nicht einmal eine Minute habe ich gebraucht und schon war die App gebrauchsfertig auf meinem Mobiltelefon. Aber leider nichts Spannendes zu sehen. Das Beste ist noch ein Bild von einer Robbe. Die Leute posten hier wirklich viel unnützes Zeug. Vielleicht sollte ich auch einmal etwas schreiben. Aber was, wenn es niemandem gefällt? Nein, das wäre zu peinlich. Oder was, wenn Gregor meinen Post total bescheuert findet? Nein, diese Blöße kann ich mir nicht geben. Ich würde es nicht aushalten, wenn ich wüsste, dass er meinen Post peinlich findet.

      Ich werde einmal nachsehen, was sein letzter Post war. Er hat ein neues Profilbild eingestellt. Wow, 134 Likes. Irgendwie würde es mich schon reizen, auch einmal auszuprobieren, was die Leute zu meinen Posts sagen würden. Aber die Angst vor einer Blamage ist einfach zu groß. Vielleicht schreibt dann jemand darunter: »Was ist denn das für ein hässliches Bild.« Jetzt muss ich ohnehin aufhören, da Klaus gerade aufgewacht ist.

      -4-

      April 2014

      Charlie saß zu Hause vor dem Fernseher und sah sich den dritten Krimi an diesem Abend an. Wobei ›ansehen‹ vielleicht das falsche Wort war. Sie lag auf der Couch und war mit ihrem Handy beschäftigt, die Krimis liefen nebenher. Sie hatte diesmal ihr Profilfoto und ihr Titelbild gleichzeitig geändert und zwang sich jeweils fünfzehn Minuten zu warten, bis sie wieder nachschaute, wer alles ihre neuen Bilder geliked hatte. Die Krimis waren seicht genug, dass Charlie der Handlung trotzdem folgen konnte.

      In den letzten Monaten hatte sich Charlies Leben sehr verändert. Seit Hermine sie gebeten hatte ihren Status zu liken, hatte sie immer wieder auf Facebook geschaut. Zu Beginn nur einmal in der Woche, später öfter und letztendlich jeden Tag mehrmals. Bis sie das erste Mal etwas gepostet hatte, hatte es allerdings etwas gedauert und sie war sehr nervös gewesen. Immerhin konnten dann alle ihre Freunde sehen, was sie geschrieben hatte. Ihr Post war belanglos gewesen, es ging um eine neue Kerze.

      Sie fand es spannend zu warten, wem ihr Post alles gefiel und was ihre Freunde darunter schrieben. Auch wenn es nicht sonderlich viel war, machte es ihr Spaß. Oder zumindest tat es das am Anfang. Mittlerweile war es schon eher wie eine Sucht. Charlie verbrachte an manchen Tagen mehr Zeit damit, sich mit Facebook zu beschäftigen, als mit ihrem realen Leben.

      Außerdem hatte Facebook noch einen weiteren Vorteil, sie hatte ganz vergessen gehabt, dass sie hier mit Gregor und seinen Freunden befreundet war. Sie konnte also sehen was sie so trieben, konnte ähnliche Dinge posten und hoffen, dass Gregor so zumindest manchmal an sie erinnert wurde.

      Im echten Leben war sie wieder mit Stefan zusammen und sie war auch sehr froh darüber. Obwohl sie von einigen Dingen unterschiedliche Ansichten hatten und öfter stritten, fühlte sie sich bei ihm geborgen. Sie wusste, dass sie sich auf ihn verlassen konnte und dass er immer für sie da sein würde.

      Sie vermisste Gregor trotzdem noch. Sie hatten sich ein paar Mal zufällig getroffen. Viel mehr als ein »Hallo« war dabei aber nicht herausgekommen. Ihre Gefühle ihm gegenüber waren von Tag zu Tag unterschiedlich und sie verstand einfach