Gerd Eickhoelter

Kurswechsel


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Zwei Wochen waren wir in der Tschechoslowakei, ein paar Tage auf dem Gehöft von Reni und Jürgen in Niederoderwitz, den Rest genossen wir daheim. Die Tage auf dem Campingplatz, in Cerna am Lipno-Stausee, entschädigten uns für viele Alltagssorgen.

      Wir hatten die herrliche Umgebung, die Sonnenuntergänge am von Bergen umrahmten See und die böhmische Kultur genossen. Einkaufsbummel gehörten zum Urlaub, wie auch die Ausflüge zu den herrlich gelegenen Burgen und Klöstern dieser Gegend. Es war beeindruckend die mittelalterliche Geschichte bis hin zur heutigen Zeit am Beispiel der Burg von Cesky Krumlov zu verfolgen. Bereits vor sechshundert Jahren regierten hier Fürsten germanischen Geblüts. Den Großteil der Geschichte war diese Burg Wohnung und Sitz derer von Schwarzenberg.

      Irgendwie berührte es uns komisch, dass man den Erläuterungen der Touristenführung nicht folgen konnte, da alle Führungen in tschechischer Sprache präsentiert wurden.

      Als aufmerksame Besucher konnten wir diesen Mangel durch das Studium de ausliegenden Dokumente kompensieren, da diese ausnahmslos in deutscher Sprache verfasste waren.

      Die Tschechoslowakei war für die DDR-Bürger noch das einzige Land, in das sie frei reisen durften und in dem sie sich wohl fühlen konnten. Die Preise entsprachen den DDR-Verhältnissen, bei manchen Waren sogar erheblich niedriger, das Angebot reichhaltiger und farbenfroher.

      Für diesen Campingurlaub zahlten wir 1833,- Mark, da war alles drin, vom Essen über Benzingeld bis hin zum Kauf einiger Souvenirs.

      Diesmal waren wir nur zu dritt. Mandy reiste das erste Jahr allein mit ihrem Freund nach Ungarn. Der Reiz der westlichen Atmosphäre lockte die ‚Kinder‘ in dieses westlich orientierteste Land des sozialistischen Lagers, obwohl die finanziellen Belastungen hier weitaus größer waren.

      In Vorbereitung des Abflugs gab ich meine ganzen seemännischen Kenntnisse bezüglich der Zollabfertigung an die Jugend weiter.

      Zusätzliches Geld und Umtauschbescheinigungen hatten wir für jede Kontrolle sicher im Gepäck verstaut. Mit den offiziell tauschbaren 560,- Mark, die schlappen 3600,- Forint entsprachen, wäre man schon nach wenigen Tagen pleite, zudem kam erstmalig der Formel-1-Zirkus nach Budapest. Deprimierend war der Wechselkurs von 1:6 für Ostmark zum Forint, da man doch für eine D-Mark satte einundzwanzig Forint erhielt.

      Der Drang ins Ungarnland dominierte, denn man fuhr mit dem ständigen Bewusstsein: ‚Wie lange darf man noch, wann wird auch dieses Land, das bereits jetzt infolge seines Visazwanges nicht mehr für jeden zugänglich ist, für uns erreichbar sein? - vielleicht einmal so wie Jugoslawien, das einer Westreise gleichgesetzt wurde‘.

      In Cerna hatten wir uns erholt. Hier waren Natur und Umwelt noch gesund, was man auch am aufgeschlossenen Verhalten der Menschen spürte.

      Obwohl die Region von Thüringern, Erzgebirglern und Sachsen teilweise überlaufen war, wurde man vom Gefühl einer freien Entfaltung belohnt. Allerdings war nicht alles so eitel Sonnenschein.

      Die Ideologie konnte sich nicht verleugnen. Wir erfuhren, dass die Zeltplatzwarte offensichtliche Treffen mit Bürgern, oder Verwandten aus der Bundesrepublik, der tschechischen Polizei meldeten, die dieses dann den DDR-Behörden übermittelte. Gleiches galt auch für DDR-Bürger, die den Kontakt mit Menschen aus dem anderen Teil Deutschlands suchten. Der Diensteifer in der Ausführung solcher Mitteilungen wird von einem zum anderen Zeltplatzwart unterschiedlich gewesen sein. Uns berührte diese Information des deutsch mit österreichischem Akzent sprechenden Platzwartes nicht, vielleicht weil wir am Grenzübergang die ständige Nähe der eigenen Polizei mit ihrem steifen, intoleranten Auftreten hinter uns gelassen hatten. Die Tschechen waren gelassen, was ganz wesentlich zum Erholungseffekt beitrug.

      Trotz der angehäuften Arbeit fiel es mir relativ leicht in den allgemeinen Trott zurück zu finden. Die direkten Chefs waren in Urlaub. Erst eine Woche später wurde ich etwas stärker in die persönliche und betriebliche Wirklichkeit zurückgerufen.

      Es ging nicht um fachliche Probleme, die wurden weiterhin schnell und gewissenhaft von meiner Abteilung erledigt, es war vielmehr ein Zufall, der mir die im Mai geführten Gespräche wieder in Erinnerung rief.

      In der Mittagspause traf ich den Kollegen Hänsel, Inspektor der Binnenreederei, zuständig für die neuen Kanalschubschiffe, mit denen wir derzeit viele Schwierigkeiten hatten. Da ich die Problematik von Anfang an kannte und aus meiner Seefahrtzeit die nötigen Erfahrungen mitbrachte, galt ich als absoluter Kenner der Materie in der Betriebsleitung. Kollege Hänsel verfügte über ähnliche Voraussetzungen.

      Er berichtete mir von einem Ende Juli geführten Gespräch mit meinem Chef, das auf gezielte Abwerbung seiner Person hinaus lief. Er wollte ihn in seinen Bereich, die Abteilung Technologie holen.

      „Sag mal, habt ihr denn eine Stelle frei bei euch?“ fragte er mich.

      „Ich nehme an, dass er dir meinen Posten als Hauttechnologe anbieten wollte. Er steht momentan heiß. Seit meinem Austritt aus der Partei wird er von Richter gedrängt, mich mit Hilfe einer GVS-Verpflichtung von meinem Posten zu entheben und mir eine Mitarbeitertätigkeit mit so wenig Gehalt anzubieten, dass ich schon aus finanziellen Gründen ablehnen werde. Das fachliche Loch muss gestopft werden und es ist keiner da - aber du bist jung, flexibel und von operativer Schaffenskraft, das bringst du schon!“ entgegnete ich.

      „Ich habe eigentlich keinen Bedarf unter seiner Führung zu arbeiten, der verbreitet ja nur Hektik. Ich habe mir etwas anderes ausgesucht, will die Stromschubschiffe übernehmen und anschließend mit den Schiffen in den Westeinsatz. Fünf Jahre habe ich mich mit der jetzigen Truppe rumgeschlagen. Nee, zu viel Verantwortung, zu viel Nervenkrieg“, erwiderte er.

      Ich hatte genug gehört und konnte mich auf eine weitere Forcierung meiner Angelegenheit nach Rückkehr meines Chefs einstellen. Eigentlich wollte ich nur eine gute, fachlich fundierte Arbeit leisten, aber das reichte eben hier nicht aus.

      Alle waren aus dem Urlaub zurück, die erste Arbeitswoche im September fand ihren Abschluss.

      Zu neun Uhr wurde am Freitag eine Arbeitsberatung der Abteilungsleiter beim Technischen Direktor einberufen. Drei Monate lagen zwischen der letzten Beratung und dieser. Sie versprach also problemreich zu werden, wurde zügig und operativ geführt, alle Abteilungsleiter erhielten umfangreiche und neue Aufgaben.

      Eigentlich wollte Kollege Fleczok, der Technische Direktor, mittags fertig sein, aber die Zeit jagte dahin. Um 14:45 Uhr wurde endlich, nach pausenloser Beratung, der Schlusspunkt gesetzt. Ich bat noch um eine persönliche Unterredung.

      Von verschiedenen Seiten hatte ich gehört, dass ich den Betrieb wechseln wolle, allein mir war nichts davon bekannt. Sollte es sich um ein bewusst von er Betriebsleitung in Umlauf gebrachtes Gerücht handeln, meine Ablösung ideologisch vorzubereiten, ohne Erklärungen abgeben zu müssen?

      Gezielt sprach ich Fleczok daraufhin an: „ Wir hatten im Juni ein Gespräch, in dem sie mir eröffneten, dass ich aufgrund meines Parteiaustritts und der daraufhin verstärkten Forderung nach Geheimnisträgerschaft, der ich nicht zustimmte, meinen Posten nicht behalten könne. Sie sagten, dass sie mir mein vorheriges Arbeitsgebiet mit damaligem Gehalt personengebunden zubilligen würden, der Betriebsdirektor sich aber der Gehaltszubilligung entgegenstelle. Die Frage sollte Ende Juni, Anfang Juli geklärt werden.

      Ich möchte jetzt wissen, woran ich bin. Steht die Problematik so noch an, wie sie sich im Juni darstellte? Muss ich mich langsam um eine andere Arbeitsstelle umsehen? In meiner Abteilung werden die Planstellen nacheinander besetzt. Im Februar 87 kommt ein Absolvent vom Studium und jetzt soll ich Harald, der als Abteilungsleiter Schweißtechnik abgelöst wurde, bei mir in die Position des Technologen für Schweißtechnik übernehmen, dann bin ich ausgebucht mit meinen Planstellen. Für mich ist dann nichts mehr offen, wie sie es sich aber vorgestellt hatten!“

      „ Harald wird voraussichtlich nicht in ihrer Abteilung eingesetzt werden. Sie wissen ganz genau, dass ich sie nicht entbehren kann. Ich spiele die Frage nicht hoch und fordere den Kaderleiter nicht heraus Position zu beziehen. Es werden Anstrengungen unternommen einen Ersatz zu finden, der Direktor und der Kaderleiter drängen darauf. Ich sage ihnen aber ganz klar, dass ich, solange ich auf diesem Platz sitze, einer Neubesetzung des