Gerd Eickhoelter

Kurswechsel


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Buch habe ich in den Jahren 1986 bis 1990 geschrieben, den Hauptteil während unserer Beantragung der Ausreise, noch in der DDR, zur Verarbeitung des Erlebten und als Dokumentation für die Familie, wobei ich die ersten 100 Seiten nach Westberlin schmuggeln ließ, um uns abzusichern. Es war riskant.

      Im Jahre 2011/12 überarbeitete ich diese Aufzeichnungen. Ich dachte, dass ich alles stärker bearbeiten müsse, aber an sich bin ich mit dem damaligen Werk zufrieden. Ich habe mir vorgenommen es inhaltlich zu belassen aber für eine Digitalisierung in einigen unklaren Punkten zu konkretisieren und Fehler zu kompensieren. Die ursprünglich aus Sicherheitsbedenken verwendeten Decknamen habe ich der Wirklichkeit angeglichen.

      In der Erstfassung des Buches hatte ich meinen und einige Namen uns nahestehender Personen geändert und Pseudonyme verwendet, da die Übersiedlung nach Westberlin in die Phase des Aufbaus einer neuen Existenz, in einem total veränderten Umfeld erfolgte. Auch waren ja viele Freunde und Bekannte, die in den Aufzeichnungen vorkommen, in der DDR verblieben, die vor Benachteiligungen durch das System geschützt werden sollten. An die Wiedervereinigung beider Teile Deutschlands war zur Zeit der Entstehung des Buches nicht zu denken. Die wirklichen Namen sind in der vorliegenden Fassung wieder vertreten, es wird kein Pseudonym verwendet.

       Gerd Eickhölter

      Wer bin Ich

      Nun sitze ich hier zuhause und denke über Vergangenes nach.

      Hab‘ ich alles so gemacht, wie ich es mir vorgestellt habe? Mein Weg war vorgezeichnet, das Wasser zog mich an.

      Wie viele andere auch, reizte mich das Meer, das Abenteuer Seefahrt.

      Als Junge baute ich ein Modellboot, es musste immer etwas Besonderes sein.

      Mit 15 sagte ich mir, ‘wenn sich Flugzeuge mit ihren Flügeln in der Luft halten können, dann muss gleiches auch für das Medium Wasser gelten, dann kann man auch Schiffe mit Tragflächen bauen‘.

      Der Gedanke nahm technische Formen an und ich skizzierte ein Modell, das ich einmal verwirklichen wollte.

      Ein Jahr später wurden Versuche mit kleinen Tragflächenbooten, die ähnlich meinen Vorstellungen gestaltet waren, auch ohne mein Zutun, auf der Müritz unternommen.

      Ich befand mich mit meinem Denken in der Realität, meine Wünsche und Ideen waren zu verwirklichen.

      1957 baute ich das Modell des 10.000 tdw- Motorfrachters ‘MS Berlin‘ aus etwa 5.000 Streichhölzern. Im März 1959 erhielt es einen Glasvitrinenplatz in der Berliner Wassersportausstellung. Die Freitagausgabe der ‘Berliner Zeitung‘ vom 27.03.1959 brachte mein Bild mit dem Schiffsmodell – ich war stolz.

      Später wollte ich einmal Schiffsingenieur werden. Dieser Berufswunsch wurde ein fester Bestandteil meiner zielgerichteten Entwicklung.

      Chief auf einem großen Handelsschiff, das war mein Traum.

      Zielstrebigkeit wird belohnt. Siebzehneinhalb Jahre später erfolgte 1976, nach kontinuierlicher Arbeit, die immer von dem Gedanken geleitet war, auch ohne Karrieresucht fachlich gute Arbeit zu leisten, die erste Reise als Chief auf einem Handelsschiff.

      Nach weiteren sieben Jahren Seefahrt musste ich mein Glück an Land suchen Die Verbindung zu meinen Verwandten im Westen sollte ich abbrechen, dazu war ich nicht bereit. Nur ungern musste ich die Konsequenzen ziehen. Kein Sichtvermerk – kein Bordeinsatz mehr – Berufsverbot !

      In der Betriebsleitung des VEB Schiffsreparaturwerften Berlin übernahm ich, nach erfolgreicher Bewerbung, eine Stelle als Gruppenleiter für Fertigungsvorbereitung. Meine Hauptaufgabe bestand in der Lösung maschinentechnischer Probleme.

      Im nu wurde ich der Spezialist im Betrieb und war wegen meiner detaillierten sowie praxiserprobten Fachkenntnisse überall gut angesehen. Bereits nach neun Monaten bekam ich das Angebot zum Einsatz als Haupttechnologe. Ich sagte zu. Mein Gehalt stieg auf 1650,- Mark, denn ich erhielt fortan die höchste Gehaltsgruppe HF 5, ein Spitzenverdienst in der DDR. Als Chief an Bord und auf See hatte ich zwar 50% mehr, aber das war nun vorbei.

      Gute Fach- und Menschenkenntnisse befähigten mich diesen Platz souverän zu behaupten. Beides hatte seine Vervollkommnung im harten Bordleben erlangt.

      Genau 18 Monate Tätigkeit in dieser Position zeigten mir meine Grenzen. War ich fast 20 Jahre das territorial freie Bordleben gewöhnt, so wurde ich jetzt auf ein eingezäuntes Terrain beschränkt. Ein Zurück zur Seefahrt verhinderten die ideologisch begründeten, staatlich verordneten, politischen Schranken. Die Differenz meines Inneren ‚Ich‘ zu den Lebensformen des real existierenden Sozialismus prägten zunehmend mein Denken und Handeln.

      Die Parolen, der gelenkte Zweckoptimismus, die Negierung der Schwierigkeiten und Missstände frustrierten mich. Aus Angst vor der Preisgabe der deklarierten Errungenschaften mauerte sich die DDR im wahrsten Sinne des Wortes ein. In der Auffassung der DDR- Staatsdoktrin nach Demokratie, bedingte eine Öffnung nach außen die gleichzeitige innenpolitische Abgrenzung und Eingrenzung der Menschen.

      Nun stand ich vor der Frage: Kann ich zum heutigen Zeitpunkt mit meiner Familie die Fronten wechseln, von Ostberlin nach Westberlin?

      Ich stand nie links. Mein Bestreben galt ein guter Fachmann mit wirtschaftlicher Denkweise zu sein. Im fachorientierten Leben an Bord eines Schiffes konnten die Beschlüsse von Partei und Regierung der DDR, auch durch mein Einwirken, teilweise liberalisiert, verwirklicht werden. Alles ist eine Frage der Argumentation in der Berichterstattung nach einer Reise. Mir gelang es stets einen Mittelweg zu finden.

      Eingeschlossen in das Räderwerk eines sozialistischen Großbetriebes, mit seiner Augenwischerei und den ideologischen Zwängen, war dieses jetzt in meiner Landtätigkeit, unter direkter Kontrolle von Staatssicherheitsbehörden und Parteichef in der Vorstandsebene, nicht mehr zu verwirklichen.

      Bisher hatte ich durch logische Kombination und fachliche Kompetenz alles erreicht. Momentan stand aber die Frage: ‘Wird mir mein Alter für einen Neubeginn keinen Strich durch die Rechnung machen? Man sagt, dass man mit Mitte 40 im Westen momentan kaum eine Berufschance hat - wird man mir eine geben? ‘

      Wir verließen Haus und materielle Absicherung, geprägt von der Überzeugung, dass der Wohlstand nicht allein die Lebensqualität bestimmt. Letzteres, allein die Lebensqualität mit der inneren und äußeren Übereinstimmung, ist aber für uns ausschlaggebend.

      Wie fing alles an?

      Der Traum

      Zielgerichtet bewarb ich mich 1959 bei der Deutschen Seereederei Rostock (DSR) als Maschinenassistent.

      Die Abschlussnoten der elften Klasse waren gut und ich hatte alle Voraussetzungen, das Abitur mit gleichem Erfolg abzuschließen.

      Mein Bruder fuhr als Koch zur See. Frühe Berührungspunkte waren somit gegeben und ich konnte mich von der Realität meines Traumberufes vorab überzeugen.

      Von der Oberschule wurde für mich ein Direktstudium angestrebt. 80% unserer Abiturklasse sollten studieren, hatte doch Walter Ulbricht gesagt: ‚Der Arbeiter der Zukunft braucht das Wissen des Ingenieurs‘.

      Ich wollte meinen Weg über die Praxis nehmen, denn nur die Kenntnis des Berufes kann mich zu einem guten Ingenieur werden lassen. Diese Einsicht war das Ergebnis zahlloser vorangegangener Gespräche mit meinem Vater und seinen Freunden.

      Im September 1960 begann ich meine Berufsausbildung in der Volkswerft Stralsund. Ziel war der Facharbeiterabschluss als Maschinenschlosser.

      Die Ausbildung erfolgte fremdbetrieblich für die DSR und war ausgerichtet auf den späteren Bordeinsatz. Fachliche Schwierigkeiten kannte ich nicht.

      Bereits nach zwei Jahren erhielt ich mein Facharbeiterzeugnis im vorzeitigen Abschluss, eine Folge ausgezeichneter Leistungen.

      Schon in dieser Zeit berührte mich ideologischer Zwiespalt.

      Der in der