Ute-Maria Graupner

Wüste als Mahal


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Geld für die Operation ihres Tumors. Ich war sehr glücklich, mein Auto für meine Großmutter zu verkaufen und so noch etwas für sie tun zu können, auch wenn Gott es anders wollte", fährt der Mann leise fort.

      Esthes ist noch immer sprachlos. Omar hatte sein Ziel erreicht. Es war ihm sogar möglich, das mühsam ersparte Auto mit einem Kilometerstand von unendlich und trotzdem sein ganzer Stolz, aus Liebe zu seiner Großmutter wieder zu verkaufen. Ein eigener Wagen galt bei dem Paar als Symbol, auch Unmögliches möglich zu machen. Sie waren sich damals einig, wenn Omar ein Auto haben würde, dann hätte er genug Sicherheit in sich, um seine anderen Ziele zu verwirklichen. Den Status als Autobesitzer, hatte er dieser großartigen Frau geopfert. Esthes versteht. Es war das letzte Geschenk, das die beiden der Großmutter machen konnten. Denn auch Esthes war beteiligt durch Verzicht auf die Überraschung vom Flughafen abgeholt zu werden. Omar hatte es also geschafft. Großmutter war es wert, dieses Symbol geschenkt zu bekommen, keine Frage.

      „Ich habe eine große Achtung vor dir.“ Esthes schmiegt sich an Omars Körper. Er öffnet seine Arme und hält sie so lange, bis ihre Tränen nicht mehr fließen, jene Tränen der Verwunderung, wie sie je an Omars Charakter habe zweifeln können und der Erkenntnis, dass es auch ihr Geschenk an die Großmutter war. Sie küssen sich, als ob es nie eine lange Trennung zwischen ihnen gegeben hätte. Die Nähe und Achtung ist wieder da. Esthes will sie auskosten, mit in den Schlaf hinein nehmen, und morgen würde man sehen, was noch zwischen ihnen möglich ist.

      Sehr früh am Morgen wird Esthes von weichen Lippen auf ihrer Wange geweckt. Es ist noch dunkel.

      „Ich muss etwas essen, bevor die Sonne aufgeht", flüstert Omar, „Schlaf auch ohne mich gut weiter.“ Er erhebt sich, um der Sitte zu folgen, die seine Religion während des ,Ramadans vorschreibt. Esthes blickt in den Himmel, der noch immer von Gefunkel übersät ist. Unter dem Sternenzelt fühlt sich die starke Frau angenehm klein und geborgen, als ob sie von oben beschützt würde. Sie schaut auf die blinkenden Punkte bis sie in der aus Osten heran nahenden Helligkeit verblassen. Das vertraute Gemurmel der Guides und das Knacken des Feuers geben ihr das Gefühl zuhause zu sein.

      Während die anderen zusammen bei Kaffee und warmen Brot um das Morgenfeuer sitzen, durchstreift Esthes das Gelände, das sie als das ihre betrachtet. Es ist noch immer ihr gemeinsamer Platz, ihr Mahal, noch immer vertraut, dieses Stück Erde, auf dem sie so viel Nähe mit Omar erlebt hatte. Auch die Düne ist noch da, auf der sie nachts allein gesessen hatte, weil sie nachdenken wollte über das Fremde, das zwischen ihm und ihr stand, und Omar ihre Nöte nicht verstehen wollte. Von dieser Düne hatte sie damals im Mondlicht einen vierbeinigen Schatten immer näher kommen sehen. Das Tier schien keine Hemmungen zu haben, bis an den Rand der Düne zu kommen, auf der sie saß. Esthes hatte damals keine Ahnung, dass Wölfe viel zu viel Angst vor ihr hatten, und sie zu keiner Sekunde in Gefahr war. In großer Panik rannte sie zu Omar zurück, der herzlich über sie lachte. Sie kroch unter seine Ziegendecke und vergaß ganz, dass er sie mit ihren Nöten nicht verstand.

      Das Gebüsch, in dem sie wohnten, gibt es noch. Sie hatten ihr Lager nicht außerhalb des Schattens ausdehnen können, da es viel zu heiß war. All ihre Gegenstände waren zwischen Ästen und Blättern angeordnet, so dass Omar und Esthes wie in einer Höhle wohnten. In diesem Schatten dösten sie mittags, wenn es so heiß war, dass man nur noch liegen und warten konnte, bis die Hitze vorbei war. Omar ließ währenddessen sein Dromedar immer zwei, drei Stunden frei herum laufen, damit es von den trockenen Wüstengewächsen fressen konnte. Sobald es etwas kühler wurde, stand der Beduine mit den Worten auf, emschi, ua shouf ain el chamel. Das war dann auch der zweite arabische Satz, den Esthes sprechen konnte. Er bedeutet, ich stehe jetzt auf, um das Kamel zu suchen. Ihr erster arabischer Satz lautete, atini mai, minfadlak, die wichtigste Frage in der Wüste, die nachWasser.

      Der junge Bulle, mit dem die beiden Verliebten in der Wüste gezogen waren, war unterdessen trotz der Heilversuche der Touareg gestorben. Wenn nicht einmal ein Touareg mit seiner Fähigkeit, Dromedare zu behandeln, helfen konnte, dann war der kleinen Bulle nicht mehr am Leben zu halten gewesen. Es hatte Esthes wehgetan, wie Omar es ihr am Telefon mitteilte. Nicht nur, dass der Kleine so bald gestorben war, immerhin kann ein Dromedar 40 Jahre alt werden, sondern auch, dass sich damit die Existenzsicherung der Familie wieder verkleinerte.

      Das Binsengras von früher gab es nicht mehr. Der Platz Mahal war eine Wasserstelle gewesen, und daher wuchsen im Frühling Binsen, die im Sommer als unzählige spitze Stacheln aus dem Boden ragten. Man musste durch dieses Nagelbrett gehen, um in den Schatten zu kommen. Beim ersten Gang hierher, folgte Esthes barfuss Omars nackten Füßen, der scheinbar leichtfüßig ohne Schmerzen passierte. Sie dagegen litt sehr, lief wie auf einem Distelfeld. Sie kam sich damals sehr europäisch vor, wie eine verwöhnte Touristin. Ihre Füße mussten mit Tüchern eingebunden werden. Aber bald wusste auch sie, wie man durch dieses harte Gras geht, ohne sich zu schneiden. Sie musste schlurfen. Omar hatte es ihr nicht gesagt, sondern darauf gewartet, dass sie es von selbst entdeckte. Und es war eine ihrer Lieblingseigenschaften an ihm, dass er wartete bis der andere lernte, ohne zu belehren.

      Die alte Quelle war versiegt. Es ist bekannt, dass der Grundwasserspiegel schon seit Jahrzehnten in dieser Region sinkt, und die Wüste sich immer mehr Land holt. Die Beduinen greifen beständig auf tiefere Wasserschichten zurück und müssen immer wieder neue Brunnen bohren lassen, um die Tierherden zu tränken. Der Kameltrog von einst neben der Quelle war zerfallen. Ansonsten erinnerte nichts mehr daran, dass es hier Grün und Feuchtigkeit gab.

      Omar und Esthes waren einmal am Tag zur Quelle gelaufen, um dort zu duschen oder zu baden. Diese Spätnachmittag-Zeremonie war der Höhepunkt des Tages gewesen. Einmal hatten sich die beiden gestritten. Esthes hatte wie ein Teenager stur einen anderen Weg genommen und sich beleidigt in den Sand gehockt, um irgendeine Macht zu beweisen. Heute würde sie das nicht mehr tun. Aber ihr jugendlicher Umgang miteinander ließ sie auch die alten Spiele zwischen Mann und Frau wieder aus der Kiste der Siebzehnjährigen kramen. Omar fand sie natürlich sehr schnell, weil er sogar nachts Spurenlesen kann. Schweigend nahm er ihre Hand, zog sie hoch, hielt sie fest in der seinen und ging gradlinig auf die Quelle zu. Dort begann er sein übliches Reinigungsritual, und kein Wort wurde je über ihre billigen Machtversuche verschwendet.

      Als Esthes zurück zum Lagerplatz kommt, sind bereits alle damit beschäftigt aufzuräumen. Die Frauen fummeln an ihren Rucksäcken herum, und die Jungs kümmern sich um den großen Rest. Die Griffe von Omar und Esthes beim Beladen der Dromedare gehen wieder selbstverständlich Hand in Hand. Ohne Worte, nur ein kurzer Blick, und sie verstehen, was der andere meint. Es ist noch früh am Morgen. Die Karawane zieht weiter, um nicht wieder in der Hitze des Mittags gehen zu müssen. Die Frauen interessieren sich für das Reiten. Die eine oder andere wagt es, sich auf ein hohes Tier zu setzen und sich diesem anzuvertrauen. Esthes sammelt Sandrosen, versucht erklärende Worte zu finden für das Problem von Hilde mit den Fliegen, die sie umschwirren. Sie geht ihren üblichen Verantwortungsgedanken nach, wie denn die gegensätzlichen Interessen von Stille, aber keine Langweile, viel Gehen und wenig Laufen, freie Zeit am Morgen, aber keine Anstrengung in der Hitze, verwirklicht werden können.

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