null crodenius

Ilka


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Krankenschwester - lassen Sie mich mal sehen.“

      Und ungeachtet des ganzen Durcheinanders, der allgemeinen Drängelei und dem lautstarken Gezeter des Mannes, kniete sie vor der Jammernden nieder, zog behutsam deren Schuh aus und betastete den geröteten Knöchel, der tatsächlich etwas geschwollen war. Sogleich zog sie ihr gelbes Seidentuch vom Hals und bandagierte ihn so gut es eben ging.

      „Jetzt besser? Versuchen Sie den Fuß ruhig zu halten und die Schwellung wird schnell...“

      „Sie haben gut reden!“, fiel ihr der Mann ins Wort. „Wie soll sie das denn machen, bei dem Gedränge?“

      Und da die Frau tatsächlich nicht zu jammern aufhörte, griff sie ihr kurzentschlossen unter den Arm, schulterte auf der anderen Seite ihre Tasche und führte sie, unter der hilflosen Anteilnahme des völlig überforderten Mannes zur erst besten Tür.

      „Entschuldigung“, bat sie die Leute, welche die Aussteigenden dichtgedrängt umlagerten. „Sie werden verzeihen, aber die Dame hier hat sich verletzt.“

      Man sah sich um, und widerwillig bildete sich eine kleine Gasse, die ihnen den freien Zutritt ermöglichte. Vorsichtig setzte Ilka den schmerzenden Fuß der Frau auf die Stufe und schob sie schließlich Schritt für Schritt in den Wagen.

      Dort drängte sie weiter voran, neben sich die humpelnde Frau, deren Arm über ihrer Schulter immer schwerer wurde und die sich ganz offensichtlich darin gefiel, möglichst leidend zu wirken, gefolgt von ihrem Mann, dessen ungeduldiger Blick auf der steten Suche nach einem möglichst freien Platz bereits weit nach vorne schweifte, ohne darauf zu achten, wie sehr er ihr dabei den schweren Koffer gegen die Beine rammte.

      In den Abteilen war es stickig, überall hing bitterer Dunst von Zigaretten und Alkohol in einer verbrauchten miefigen Luft, die sich an den Scheiben in kleinen Tröpfchen niederschlug. Hinzu kam die grelle Deckenbeleuchtung, die alles in ein milchiges Licht tauchte, das nach der vorangegangenen Dämmerung in den Augen brannte. Natürlich war es auch hier brechend voll, und außer übermüdeten, stummen Gesichtern, die bei ihrem Eintreten gereizt und nervös reagierten, war hier ganz offensichtlich nichts zu erwarten. Niemand würde sich erbarmen, schon gar nicht wegen einer älteren Dame, die in Begleitung eines stieseligen Mannes war.

      Auch im zweiten Abteil nichts anderes. Im dritten Abteil schließlich wurde sie fündig. Gleich hinter Tür in einer Ecke bemerkte sie einen ziemlich stutzerhaft gekleideten Herren, der, den Kopf gegen die Fensterscheibe gelehnt, mit weit aufgesperrtem Munde vor sich hin döste. Den Platz neben ihm belegte eine große Reisetasche, die offenbar nicht mehr ins Gepäcknetz passte.

      „Sie werden entschuldigen, ist dieser Platz noch frei?“

      Ohne jedoch die geringste Notiz von ihr zu nehmen, wuchtete sich der Herr unwirsch auf die andere Seite, um seinen Schlaf fortzusetzen.

      „He, Sie! - ist dieser Platz noch frei?“, wiederholte sie ihre Frage und rüttelte seine Schulter.

      Erschrocken riss er die Augen auf und sah sie unleidlich an.

      „Wenn sie so freundlich wären, ihre Tasche... nun ja, diese Frau hier hat sich am Fuß verletzt, und es wäre nett, wenn...“

      Nun schaute er an der Dame herab, und die Art, wie er es tat, ließ seine Gedanken erraten.

      „Nun ja, liebend gerne, junge Frau“, begann er sich zu winden, „wirklich, aber ich weiß nicht, w--wohin mit meiner Tasche? Dort sind viele zerbrechliche Dinge drin... Sie verstehen... und außerdem muss ich Sie ja nicht daran erinnern, dass wir uns hier in einem Abteil für Platzkarten befinden.“

      „Ach so, ...aber haben Sie denn zwei Platzkarten?“

      „Zu meinem Bedauern ja.“ Unter einem süßsauren Lächeln kramte er die beiden Coupons hervor.

      Ilka war außer sich, und sie hätte ihm sicher ein paar sehr deutliche Worte an den Kopf geworfen, wenn nicht gerade in diesem Augenblick eine Stimme irgendwo aus dem Hintergrund gerufen hätte: „Ach, das ist ohnehin kein guter Platz... Kommen Sie hier rüber, hier ist noch was frei.“

      Ilka, die noch keine Zeit gehabt hatte, zu sehen, wer sie da so unvermittelt ansprach, nahm den Arm der Frau von ihrer Schulter, und als sie sich umsah, erkannte sie schon wieder diesen Matrosen.

      „Nanu? So schnell sieht man sich also wieder.“

      „Oh, danke - vielen Dank, wirklich, das ist wirklich sehr nett...“, stammelte sie und bugsierte die Dame mit der Routine einer geübten Therapeutin in jene Ecke, die nun offensichtlich frei geworden war, während ihr Mann sogleich den Mittelgang mit seinen sperrigen Koffern verbaute und sich erschöpft und sichtlich erleichtert darauf niederließ.

      „Strecken Sie den Fuß aus und versuchen ihn, in der nächsten Zeit nicht zu belasten... Und Sie –“, diese Aufforderung galt dem Mann, der sie noch immer böse ansah“, Sie sollten darauf achten und etwas mehr Rücksicht auf sie nehmen.“

      „So lassen Sie mich doch endlich!“, schimpfte die Frau plötzlich schnippisch und stieß sie unsanft fort. „Reden Sie mir nicht dauernd von Rücksichtnahme, nicht Sie! ... Kurt, gib mir doch bitte die Tabletten, - na du weißt schon, die kleinen grünen, in der rosa Schatulle.“

      Ilka war sprachlos. Und als sie nun auch noch mit ansehen musste, wie fidel die Dame plötzlich aufsprang, um die Tabletten selbst aus der Tasche zu nehmen, wurde sie rot. Schon wollte sie sich weiter nach vorne drängen, nur weg von diesen Hypochondern, als sich der Matrose erneut einmischte.

      „Machen Sie sich nichts daraus. Benehmen ist nun mal nicht überall selbstverständlich ... Aber wenn Sie wollen... -?“

      Er wies hinter sich und bot ihr seinen Platz an, der sich schräg gegenüber befand.

      Dieses so unerwartete Angebot war für sie nicht akzeptabel. Aber sie wollte kein Mitleid; es kränkte und setzte sie herab. Sie war Frau genug, solche Dinge alleine zu meistern, und wenn es etwas gab, was sie hasste, dann Mitleid. Und so erwachte ihr altes Misstrauen mitsamt ihrer Gereiztheit, so dass es am Ende bei einem schroffen: „Nein, danke, nicht nötig“, blieb.

      „Wie weit müssen Sie denn?“

      „Bis Endstation, warum?“

      „Dann sollten Sie lieber annehmen.“

      „Es ist wohl doch besser, wenn...“

      Doch schon hatte er seinen Seesack aus dem Gepäcknetz gerissen und dafür ihre Tasche reingequetscht.

      „So - und nun setzen Sie sich. Wenn woanders was frei wird, können Sie ja wechseln.“

      „Aber ich kann Ihnen doch nicht den Platz ...“

      „Machen Sie sich darüber keine Gedanken.“

      „Das kann ich nicht annehmen... Also, geben Sie mir bitte meine Tasche.“

      „Wie Sie wünschen.“

      Doch gerade als er die Tasche wieder herunternehmen wollte, hörte man von draußen ein fürchterliches Gebrüll. Einige der Armisten waren aneinander geraten und lieferten sich ein lautstarkes Wortgefecht, von dem jedoch nur Fetzen zu verstehen waren. Dann knallte es, Bierschaum quoll unter der Türe hindurch und ein lautstarkes Poltern ließ die Wand erzittern - dann Stille.

      Der Matrose, dem ihre Angst nicht entgangen war, schob ihre Tasche wieder zurück.

      „Wenn es Sie beruhigt; wir können uns diesen Platz ja teilen.“

      „Teilen? Wie stellen Sie sich das vor?“

      „Ganz einfach; nach der Hälfte der Zeit wechseln wir. Immerhin stehen uns noch einige Stunde bevor, und die können bei dem Gedränge ganz schön lang werden. Außerdem wird sie hier kaum jemand belästigen ... Nun machen Sie schon, bevor ich es mir anders überlege.“

      Das alles brachte er so kurz und nüchtern, ohne jede Ironie und Aberwitz