B. L. Hach

Die Elf Augen


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      Arnold hielt Greta fest, die ihre Augen schloss, um das wunderbare Gefühl in der Magengegend besser genießen zu können. Auch Herrn Schmidts Augen waren zu, wenn auch aus einem anderen Grund; ihm wurde übel.

      Wirbelnd und rasend schnell ging es weiter in die Tiefe. Die Kinder verloren die Orientierung. Der Aufzug knarrte und ächzte, das Eisengitter klapperte, die Lichter flackerten, sodass die Passagiere für einige Sekunden im Dunkeln saßen. Der Lärm war ohrenbetäubend. Agatha schrie vor Angst und auch Arnold, den schon die Achterbahn auf dem Jahrmarkt überforderte, war sich sicher, dass diese Fahrt kein gutes Ende nehmen würde.

      Da verlangsamten sich die Drehungen mit einem Mal und bald bewegte sich der Aufzug wie in Zeitlupe. Auch der Lärm ließ nach und die grellbunte Beleuchtung wechselte zu einem sanften Grünton. Erleichterung breitete sich bei den Reisenden aus.

      Herr Bodewald ließ ein tiefes Ausatmen vernehmen. »Geschafft«, murmelte er. »Schwein gehabt. Ick hätt' nich' gedacht, dass wir dat unverletzt überstehen. Man darf nie«, fuhr er fort und bedachte Greta mit einem strengen Blick, »man darf wirklich niemals den Aufzug alleene in Betrieb nehmen. Deshalb gibt es mich. Jeder Fahrgast muss angeschnallt sein, sonst gibt es Verletzte oder Tote!«

      Mitten in der Strafpredigt, die Greta völlig unbeeindruckt ließ, blieb der Aufzug mit einem Ruck stehen.

      »Wo sind wir denn nun eigentlich?«, krächzte Agatha. Sie war vom Schreien ganz heiser. Außerdem befürchtete sie, dass die rasende Geschwindigkeit ihren Blutgefäßen geschadet haben könnte. Sie kannte viele Geschichten von Menschen, die nach einer Achterbahnfahrt einen Herzinfarkt bekommen hatten oder zumindest ein schmerzhaftes Halswirbelsäulentrauma.

      »Wo wir sind?«, fragte Herr Bodewald und lachte schon wieder. »Na, in Banilea. Dafür hat die Kleene doch gesorgt.« Er deutete zur Bedienleiste. Der Knopf mit dem geschnitzten Baumstumpf blinkte grün.

      »Dann machen wir uns am besten gleich auf die Suche nach Orville«, schlug Arnold vor.

      Der Aufzugführer schüttelte bedauernd den Kopf. »Den werdet ihr hier so leicht nich' finden.«

      »Aber ich denke, den haben Sie auch nach Banilea gefahren?«

      Herr Bodewald nickte. »Ja, aber zu einem Nebeneingang. Dat hier is' der offizielle Haupteingang. Ihr habt ja keene Vorstellung, wie groß dat hier alles ist!«

      »Dann fahren Sie uns doch einfach auch zu diesem Nebeneingang«, verlangte Agatha.

      »Dat kann ick nich'«, sagte Herr Bodewald nach einem Blick auf seine Uhr. Er klang sehr entschlossen. »Ick hab jetzt Pause und die muss ick unbedingt einhalten. Dat is' gesetzlich geregelt. Als Aufzugführer muss ick alle zwei Stunden fünfzehn Minuten Pause machen und nach acht Stunden muss ick mindestens zwei Stunden schlafen. Außerdem muss ick regelmäßig was essen, sonst krieg ick schlechte Laune.« Der Aufzugführer hatte sich richtig in Rage geredet. »Und falls ick mal länger als acht Stunden arbeiten will, muss dat beantragt werden. Und zwar bei der Gewerkschaft. Zwei Tage vorher. Mindestens! Selbst wenn ick wollte, dürft ick jetzt nich' fahren …«

      Greta fing an, sich zu langweilen. Sie krabbelte aus der Aufzugstür und fand sich auf einer weichen Wiese wieder. Als sie eine hellblaue Lichtschranke passierte, setzte sie damit eine Ansage in Gang: »Willkommen in Banilea, dem Land der tausend Wälder«, flötete eine herzliche Frauenstimme.

      Die Zwillinge beratschlagten sich. Sie wollten keine weitere Zeit verlieren und trotz allem direkt hier mit der Suche zu beginnen.

      Herr Bodewald wollte die Kinder nicht einfach so gehen lassen. Aus seiner Hosentasche kramte er eine orangefarbene Trillerpfeife und drückte sie Agatha in die Hand. »Falls ihr in Not kommt und einen Aufzug braucht, irgendwas klemmt oder ihr euch verflogen habt, wat weiß ick – dreimal kräftig pfeifen. Dann kommt jemand von unserer Notfall-Abteilung, für die ick auch arbeite.« Er lächelte beruhigend. »Am besten, du hängst dir dat Ding um den Hals. Wisst ihr, es kann gefährlich werden in Banilea. Nicht wegen der Bewohner, die sind friedlich. Aber wenn die Borvallen herausfinden, dat sich Kinder der Agenten hier herumtreiben, dann …« Herr Bodewald ließ den Satz unbeendet, doch sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.

      Agatha tat wie geheißen, hängte sich die Trillerpfeife um den Hals und verbarg sie unter ihrem T-Shirt. Sie nickte dem hilfsbereiten Aufzugführer freundlich zu, dann folgte sie ihrem Bruder. Als Letzter sprang Herr Schmidt mit einem großen Satz aus dem Aufzug; er hatte eine Lücke zwischen der Tür und dem festen Boden entdeckt und wollte vermeiden, sich die Pfote einzuklemmen.

      »Pass gut auf euch auf«, rief Herr Bodewald noch, dann fiel die Tür auch schon wieder zu und die Kabine setzte sich in Bewegung. Wie harmlos das von außen wirkte, fand Agatha mit einem Schaudern, dabei war die Fahrt doch gemeingefährlich!

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