HeikeHanna Gathmann

Aaron


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      HeikeHanna Gathmann

      Aaron

      Eine heiter-phantastische Erzählung

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       I. „Pferde aus Memphis“

       II. „Schamanenglück“

       III. „Schmusetarzan“

       IV. „Eddy Adam Predley“

       V. „Zwei Tiger in der Nacht“

       VI. „Fünfhundert Zahnpastatuben“

       VII. „Ein maltesischer Koffer“

       VIII. „Gozoner Mondlandschaft“

       IX. „Die Methode Malody“

       X. „Tanz am Shabbes“

       XI. „Ein Colt Phyton, Baujahr 1955“

       XII. „Zwei Pässe“

       Impressum neobooks

      I. „Pferde aus Memphis“

      Es war ein eisiger, kalter Winterabend. Der kleine Fluss vor ihrem Haus war zugefroren. Vereinzelt schossen weiche Schneeflocken aus dem grauen, verschlossenem Wolkenhimmel. „Ich bin es - Aaron“, rief eine glockenklare, sanfte Stimme vor ihrer Haustür, „ich brauche deine Hilfe!“ Martha öffnete. „Ich habe es geahnt“, erwiderte sie, „der göttliche Sänger ist zurück. Wegen der Kälte war die Frau in eine dicke Wolldecke gehüllt. Der Mann trat ein, stellte seine Reisetasche vor ihre Garderobe. „Dick bin ich geworden“, bemerkte er etwas verschämt, „mein rechtes Auge erblindet. Mein Herz schmerzt, die Koronararterien sind kaputt.“ „Ich weiss.“ Sie blickte mit einem Anflug von Zärtlichkeit auf seine korpulente Erscheinung, die einmal rank und schlank gewesen war. Sein feines, dunkles Haar und seine tiefblauen Augen sahen aus wie eh und je, nur dass die einst mit dämonischer Kraft funkelnden Pupillen traurig und müde wirkten. „Es ist prima, dass du dich dazu überwinden konntest, das Grab deiner Schmerzen zu verlassen. Denk‘ dran: Deine cherokeesischen Wurzeln vertragen keine Speedpillen!“ Marthas mächtige, blonde Lockenpracht zitterte leicht, als wolle sie ihre Worte der Sorge um den Sänger unterstreichen. „Du hast recht“, rief der Mann, „ich bin eine schlafwandelnde Apotheke.“ Er hatte ihr Wohnzimmer betreten und sich mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung auf Marthas samtblau schimmerndes Sofa fallen lassen. Die vor ihm grell lodernden Holzscheide im Kaminofen beruhigten ihn. „Unruhig wie ein kopf- und zielloser Tiger ziehe ich in den Nächten umher und scheine dennoch nirgendwo anzukommen.“ Die zierliche Frau lächelte und fügte hinzu: „Du warst das goldene Kalb, welches am Ende geschlachtet wurde. Die Rampensau, die nicht mehr konnte. Du hättest vorausschauend alle Verpflichtungen ausschlagen und auf dich achtgeben müssen.“ „Ich konnte mich selbst nicht mehr ausstehen, Martha! Niemand will begreifen, welchen Preis ich für Verehrung und Gabe bezahlen musste.“ „Nun - deine Fressanfälle waren irdischer und nicht göttlicher Natur“, antwortete sie, „aber ich mache mir Sorgen wegen etwas anderem …“ Aaron sah Martha neugierig an. „Warum das?“ „Heute ist jeder cool. Will keine Schwäche zeigen. Die Zeit der grossen Emotionen ist vorbei. Du bist aus der Zeit gefallen, Aaron!“

      Der Sänger liess im Duschbad die heissen Wasserstrahlen auf seine verkrampfte und verhärtete Schultermuskulatur prasseln. Wie ein kleines, glückliches Kind gluckste er verzückt. Griff mit den Händen nach den Wassertropfen und schmeckte sie. Es sei gut, wieder hier, auf der Erde zu sein, lachte er erfreut. Im Bademantel stürmte der Mann in Marthas Küche, aus voller Kehle tönend: „In this heartbreak hotel I’m so lonely I could die.“ „Wirklich?“, sagte sie. Auf dem Holztisch standen ein frisch zubereiteter Tomatensalat, knusprig gebratenes Putenfleisch und selbstgebackene Haferflockenkekse. „Meinen Pferden in Memphis-Tennessee könnte es nicht besser ergehen“, bemerkte Aaron mit einem Stirnrunzeln und fügte sogleich beschwichtigend hinzu, „aber ich liebe die Natursteine, aus denen dein Haus gebaut ist.“ Martha hatte derweil zu einer Trommel gegriffen und begonnen mit ihren Handflächen auf die lederne Haut des Instrumentes zu schlagen. In einem Rhythmus, der sich just in ihr regte. „Du verschwendest deine kostbare Lebenszeit mit einem abgehalferten Casanova. Stattdessen solltest du mit Pinsel und Farben an deinen Bildern arbeiten, Martha!“ „Wirklich?“, wiederholte sie und fuhr mit dem Trommeln fort. Dann stutzte sie. „Ist dir klar, dass sich in deiner begnadeten Stimme die Einsamkeit des Universums spiegelt?“ „Das war einmal. Sag‘ mal … spricht denn heute niemand mehr von der Liebe an sich?“, fragte Aaron nervös. Interessiert die schmalen, nackten Füsse der Malerin betrachtend. „Nein. Zu deiner Zeit sind Menschen - Amerikaner und Russen - in einem Hochgefühl und im Wettstreit zum ersten Mal auf dem Mond gelandet. Heute landen dort Chinesen. Stattdessen befürchtet die Menschheit, dass erneut ein Asteroid auf diesem Planeten einschlagen könnte. Wie in den Dinozeiten. Die Liebe aber hat sich in ein Mauseloch verkrochen.“ „Das hätte ich Mao nie zugetraut“, erwiderte der Sänger.

      II. „Schamanenglück“

      Ein halbes Jahr später. Der Musiker zweifelte an Marthas Versprechen, zu kommen. Zusammen mit zwei Freunden hockte er gelangweilt an seinem Sommerpool. Der dunkelblonde, unscheinbare Mann hiess David und war Aarons Stiefbruder. Der andere nannte sich Larry und galt als persönlicher Lebensberater des Sänger. Im Beruf Friseur schnitt und pflegte er dessen Haartolle. Aaron hatte bereits das zweite Sahnestück der Willkommenstorte verdrückt. „Marthas Diät hatte Wunder bewirkt“, jammerte er laut, „nun werde ich wieder fett. Sie wird nicht kommen!“ „Sei froh, dass du in diesen ökonomisch angespannten Zeiten privilegiert leben darfst“, fuhr ihm Larry wirsch ins Wort, „viele Menschen haben wenig Geld. Vor allem nicht für Konzertkarten.“ „Dem möchte ich zustimmen“, sagte David, „die Kids hängen lieber stundenlang vor ihren PCs und geben sich in den sozialen Netzwerken anderen Illusionen hin. Deine Stimme und Liebe zur Gospelmusik zählen heute nicht mehr viel. Mehr als der Job eines Turnschuhverkäufers oder eines Busfahrers wären in der Gegenwart vermutlich nicht drin!“ „Aha!“, bemerkte der Sänger nach einer Weile des Nachdenkens verwundert, „mit den Genen meiner jüdischen Urgrossmutter, den indianischen meiner Ururgrossmutter mütterlicherseits würde mir auch jetzt etwas einfallen, um auf mich aufmerksam zu machen.“ „Denkste!“, grinste der Friseur, dessen Handy summte, „der Gärtner berichtet, dass eine Dame seit zwei Stunden auf dem Boulevard hin- und herbraust und immer wieder anklopft.“ „Das ist Martha“, rief Aaron erfreut, der das Handy des Freundes für einen Peilsender hielt, „gib‘ auf der Stelle das Zeichen zum Öffnen der Gartenpforte!“ David lachte. In diesem Moment war das Zuschlagen einer Autotür zu hören. Hinter der Hecke am Pool tauchte Martha auf. Einen riesigen Karton in den Händen haltend. Das lockige Haar notdürftig mit einem roten Band zusammengehalten, hingen einzelne Strähnen wirr im Nacken und in der Stirn. Mutig begrüsste sie die verschwiegene Männerrunde. „Die Dame mit der ungestümen Note“, lachte Larry. „Sie ist eine Lady“,