HeikeHanna Gathmann

Aaron


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nicht in das Gebäude gelassen worden.“ „Obdachlose“, bemerkte Martha, die sich über Aarons herablassenden Ton ärgerte, „jedenfalls keine aus Hawaii zurückgekehrten, glücklichen Urlauber. Stolzen und geraden Hauptes schritt der Musiker durch die Anlage der Ganzkörperprüfung. Gleichsam einem über alles erhabenen Adlers im Gleitflug. Die Alarmanlage läutete schrill. „Was fällt Ihnen ein, einen Revolver mit sich zu tragen, Mr. Predley … wenn auch nur so ein merkwürdiges, altmodisches Ding?“, fauchte ein herbeigeeilter FBI Beamter den Verwirrten an. Larry wusste Rat. „Es handelt sich um einen Antiquitätenhändler für sehr rare Waffenexponate, sollten Sie wissen!“

      Das war knapp. Noch mal Glück gehabt, dachte Martha. Was nur könne Marygold dazu bewogen haben, ausgerechnet eine Reise in das unsichere, angefeindete Heilige Land zu buchen, überlegte Aaron, der im Gang nach seinem Platz suchte. „Wollen Sie denn ihren Pelz nicht ablegen?“, fragte ein freundlicher Herr am Fensterplatz seiner Sitzreihe. In einem Ohrläppchen trug der smarte, elegant gekleidete Geschäftsmann, der um die fünfzig Jahre alt sein mochte, einen diamantenen Sticker. „Ich hoffe die Situation richtig einzuschätzen, lieber Mann“, wohlwollend betrachtete er das klatschnasse, ungekämmte Haar des Rockbarden, „aber sind Sie vielleicht vom anderen Sternenufer?“ Irritiert starrte der Musiker den Unbekannten an. „Zwar kenne ich mich im Kosmos inzwischen recht gut aus“, stotterte er, „aber ich bin, äh … ich bin weiterhin ein irdischer Entertainer.“ „Seltsam“, liess der kahlköpfige Freier nicht locker, „ich habe Sie aber noch nie in aktuellen, amerikanischen TV Shows gesehen.“ „Als Sie sich in einem zarten Bürschenalter von zehn Jahren befanden“, platzte es aus Aaron heraus, „habe ich bereits per Satellit mit einem Konzert auf Hawaii eine Milliarde Menschen vor dem Fernsehgerät unterhalten.“ „Er ist manchmal etwas durcheinander“, fuhr Martha, die in der Sitzreihe hinter dem Musiker sass, dazwischen, „dann verwechselt mein Freund Dinge oder irrt sich in der Zeitangabe.“ Der Geschäftsmann lächelte verständnisvoll. „Im Aidszeitalter kann Mann nicht vorsichtig genug sein“, sagte er, „in diesem Fall handelt es sich vermutlich jedoch um einen Alzheimerkandidat.“ „Aid? Ich brauche keine Hilfe von Ihnen!“, empörte sich Aaron, der sich verärgert hinter einer Illustrierten verkroch. Nach einer ganzen Weile ging das Flugzeug plötzlich in Seitenlage und flog eine Kurve, damit die Passagiere einen Blick auf die Skyline von New York werfen konnten. „In diesem Artikel steht, dass meine Ex unsere Honey Moon Villa in Beverly Hills für zehn Millionen Dollar verscherbelt hat“, seufzte der Musiker. Traurig starrte er auf das Panorama unter dem Flugzeug. „Wo sind denn die Twin Towers abgeblieben, Golden Mary?“

      Aaron stöhnte über seinen hungrigen, knurrenden Magen. Das Paar hatte noch etwas Zeit, bis das Anschlussflugzeug nach Dubai starten sollte. Es war in einen Linienbus, der sie zum Washington Square Garden in das südliche Manhattan bringen sollte, eingestiegen. Dort hockten sie nun in einem kleinen Lokal mit dem Namen „What?“ Der Sänger wagte nichts zu sagen, denn er wunderte sich noch immer über den rasanten Steil- und Sinkflug vom Airbus. Die Kisten aus seiner Zeit seien dagegen schwerfällige, lahme Enten gewesen. Angestrengt sah er auf die Speisekarte. „Ich vertrage diesen Falaffelkram nicht“, bemerkte er nörgelnd, „Falafel in Fladenbrot, Krautfalaffel, Falafelmaisfrikadelle, pürierte Falafelsuppe … das ist etwas für kranke Babybäuche.“ Schliesslich bestellte er mit mürrischer Miene >chicken in Falafelkruste<. Eine kleine Portion für Martha. Zwei grosse Portionen für sich. „Vielleicht möchte ich lieber etwas anderes essen!“, beklagte sich die Malerin, welche sich über sein bevormundendes Verhalten ärgerte. „Du bist eingeladen“, entgegnete er grosspurig, „einige Dollars habe ich noch in der Manteltasche. Dann aber bin ich pleite. Da ich als Zeitreisender über kein laufendes Bankkonto verfüge, habe ich mit Voraussicht kurz vor unserer Abreise meinen diamantbesetzten Goldklunker - vor langer, langer Zeit spasseshalber unter den Kieselsteinen im Jungleroom versteckt - ausgebuddelt.“ Stolz zeigte er auf seinen Brustbeutel, den er mit einer langen Kordel um den Hals geknotet hatte. „Nur einen Katzensprung entfernt kenne ich einen Juwelier im Village, der sich dafür interessieren könnte. Früher hat es hier eine Menge kleinerer Läden gegeben, in denen Bücher, LPs oder Antiquitäten feilgeboten wurden.“ Wehmütig blickte er auf den beinahe menschenleeren Rasen vor dem Lokal. Ihm fielen die Strassenmusiker, die damasl Songs von Cat Stevens oder den Beatles spielten, ein. Er erinnerte sich an die Rauchschwaden von Marihuanapfeifen. Die Cafes mit zeitungslesenden Müssiggängern. Melancholisch gestimmt begann er zu singen: „You’ve lost that loving feeling, baby. I get down on my knees to you, if you would only love me like you used to do. We had a love affair every day, but it’s gone. Gone, gone and I can’t go on. There is no tenderness in your eyes. It makes me just feel I’m crying, because - baby - something beautiful is dying.“

      „Hast du eine Familie, Martha?“, fragte er sie unvermittelt. Der Sänger bemerkte erst jetzt, wie geschmackvoll sich die Frau trotz des hektischen Aufbruches gekleidet hatte. Die Farbkomposition aus ihrer dezent grauen Flanelljacke, dem zarten Rosa ihrer Bluse und dem Hellblau ihrer verwaschenen Jeans gefielen ihm. „Nein“, erwiderte sie, „meine Eltern sind seit Jahren tot, aber sie waren ineinander ver- und haben ihr Kind geliebt. Die Grossmutter väterlicherseits, die mir viel bedeutet hat, war eine einfache und warmherzige Person. Die Grossmutter väterlicherseits war adeliger Herkunft, mit einem Nazi verheiratet und hat den Freitod gewählt.“ „Das tut mir leid“, sagte Aaron. Schweigend lief das Paar an den backsteinroten, einhundertjährigen Wohngebäuden im Village entlang, welches so gar nichts Weltstädtisches an sich hatte. Es genoss seine frühherbstlich bunten, liebevoll gepflegten Vorgärten vor den Treppeneingängen, bis die beiden von drei lautstarken Jugendlichen aus ihrer Spazieridylle gerissen wurden. „Verkaufst du mir deine scharfe Schlaghose, Daddy?“ Ein weisser Rapper im Ringelhemd, seine Wollmütze tief in das Gesicht gezogen und auf Skateboards balancierend, machte den Sänger an. „Entweder du bekommst von mir eins in die Schnauze oder du erhältst für zwei Dollar eine Gesangsprobe gratis!“ Seine Begleiter - ein junges, farbiges Pärchen - stimmte in den rhythmischen Sprechgesang des Rappers ein:

      Du glaubst wohl, du bist etwas Besseres/ich sage dir, du bist ein armer Teufel/du kommst in deinem geilen Cadillac daher/klimperst mit deiner goldenen Kette/doch ich schlage dir die Nase blau/und jage dich in die öde Steppe/da sitzt du nun einsam in der Falle/hast Hunger, schreist und fluchst/aber niemand kommt in einem Cadillac/um dir zu helfen in der Not/frisst du am Ende die Kakteen und deine goldene Kette.

      „Well“, klatschte Aaron Beifall, „der Blues fliesst nicht in euren Adern, aber Kreativität sollte belohnt werden.“ Er zog einige Geldscheine aus seiner Tasche. „Ihr müsst wissen, Kids, noch vor wenigen Jahren war ich wirklich >evil<. Ein Knackarsch in Lederhose.“ Amüsiert betrachtete der Sänger die gepiercte Oberlippe des Mädchens. „Kannst du damit küssen?“, fragte er betroffen.

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