Erwin Guido Kolbenheyer

Paracelsus


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Mohrenknaben gefolgt, der eine hellgrüne Feder am golddurchwirkten Turban trägt … nur halb schlägt sie die Augenlider auf … er sieht das zarte Lächeln, kaum Gunst und doch eine Himmelsleiter … eine weiße Nelke läßt sie fallen … Petro de Medici setzt seinen Fuß leicht auf den Stengel der Blume …

      Ein banges Gewieher weckte ihn. Das Rößlein stand. Mühsam nahm er den Spieß auf. Weiter … weiter … in Pfäffikon konnte er liegen bleiben … nur weiter auf dem wippenden Bretterwerk, über den schlammigen, eiskalten Tod, ehe das letzte Tageslicht ertrunken war. Er preßte den Rotschimmel. Es mußte ein Ende nehmen. Schon gewann das Mauthaus auf der Landzunge von Hürden schärfere Form. Von Ufenau her drang die Glockenstimme des Kirchleins. Jungrudi schlug ein Kreuz, er beugte sich vor, um die Zügel nicht fahren zu lassen.

      „Heilig Muttergottes ze Einsidlen, du willt mich nit versaufen lan! Das soll dir mit eim gueten Pfund wächsin Kerzen entgolten sin.“

      Und die Muttergottes von Einsiedeln, der alljährlich vieltausend Seufzerlein zuwehten, schien dies eine auch nicht zu überhören, vielleicht weil der heimkehrende Reisläufer einer von ihren Gotteshausleuten war.

      Schon hatten Roß und Reiter den Steg bis auf die drei letzten Böcke gewonnen, da brach ein Brett und das Tier sank unter dem Mann zusammen.

      „Samer Bocks Bluot! Canaille! … Uf!“

      Ein Bein war ihm unter den Sattel geraten, sein Oberkörper hing über die Brücke hinaus. Er stemmte sich gegen einen Pfosten und stieß mit seinem ledigen Sporn zu. Das Pferd lag schreckensstarr und regte sich lange nicht; dann suchte es wild und verzweifelt Befreiung, zerwühlte den Schnee mit den Vorderfüßen und riß an dem eingeklemmten Schenkel. Dadurch kam der Reiter frei, er faßte die Zügel und unternahms mit aller Kraft, den Gaul aufzubringen. Allein die Eisen glitten aus, und das andere Hinterbein lag machtlos unter dem Pferdebauch. Jungrudi mußte den Mantel vor die Hufe breiten, das Atlasfutter zerschliß kläglich. Doch erst als er den Spieß durch die Lücke in den Schilfgrund rannte und die Klemme auseinanderstemmte, gelang ein guter Ruck, und ein zweiter brachte das zitternde Tier glücklich auf alle Viere. Wo der Pferdeschenkel festgesessen war, schmolz der Schnee, vom warmen Blute satt. Und Blut rann dem Rotschimmel in einem dünnen Bande über Sprunggelenk und Fessel hinab. Eine Ader mußte zerrissen sein. Jungrudi griff den Mantel auf und zog den schnaubenden Gaul vor das Mauthaus. Dort besah er die Wunde. Dabei blieb nicht mehr viel zu wollen. In Lachen war ein Schmied, der sie hätte ausbrennen können … derweil mußte er über den Paß sein.

      Er fühlte, daß seine eigenen Kräfte bis zur Meinradsklause auf der Höhe kaum mehr reichten. Er durfte nicht fackeln, sollte ihn nicht unversehens Schwäche und Schneetod überkommen. Ein andres Pferd? Da drunten? Und bleiben … einen Boten schicken? Wenn er heut nicht vor den Alten kam … nie mehr vielleicht.

      Er raffte eine Handvoll Schnee auf und schlürfte sie gierig aus, warf den zerfetzten Mantel um, kletterte mühsam in den Sattel und spornte den Gaul, der jämmerlich lahmte und eine Blutspur hinter sich ließ.

      Unter den Tannen des Etzelpasses, die schwere Schneelast trugen, wars Nacht geworden. Doch diese Nacht umfing den müden Mann heimatlich vertraut. Die nassen Flocken trieben nicht mehr gegen die Haube, es war still. Die kalte Labe, die er vom Boden geschöpft hatte, schien das Fieber gelöscht zu haben. Er mußte den Spieß der Äste wegen waagrecht in der Faust tragen; das und der stößige Gang des Tieres hielt ihn zu gutem Glücke wach.

      Über Wurzel und Stein kämpfte dasRößlein den Pilgeriweg zur Meinradsklause hinauf und zahlte jede Elle mit seinem Blute. Jungrudi merkte, wie das Tier versiegte; halbwegs ließ er es verschnaufen. Er hielt sich mit beiden Händen an dem aufgestemmten Spieß, seine Last zu verringern. Von den Ästen fielen schwere Tropfen mit stumpfem, sattem Laut in den Schnee. Das Pferd wieherte verhalten. Es ertrug das Beben des Reiters nicht weniger fremd und beklemmend als die eigene Mühsal.

      „Das haibet Pfund Kerzlin host verwirkt, Gnadenmuotter … lueg, daß du nit ze Schanden wirst an mir … Botz Marter und sieben Wunden … ist nit als schwer min Bluot vergift! – Loß mich dahoim hinwerdin … min Sünden büeßen … hab ihr’ nit meh, dann sunst einer. – Was kunnt dir der Tod min’s Peppo gfallin? Heilig Gnadenmuotter, ich weih dir anderthalb Pfund, du sollt michanhörn! Loß üns ufkummen!“

      Da fühlte er, daß der Gaul sich legen wolle. Er riß ihn auf und trieb ihn vor.

      „Peppo! Gib, was din ist! Ich kunnts nümmen …“

      Schritt um Schritt drangen sie durch die Nacht. Als der Wald überwunden war und für das letzte steile Wegstück ein Viehgatter geöffnet werden mußte, flog ein leises Dankgebet von des Reiters Lippen, das tief aus dem Herzen quoll und vollen Wert hatte, wenn es auch einem Fluche glich.

      Droben, unweit des Meinradskirchleins, brach der Rotschimmel zusammen.

      Eine Weile ruhte der Reiter bei dem Rößlein, Arm und Kopf auf den stoßenden Flanken. Dann schob er sich zu den gespannten Nüstern vor, rieb sie und das Maul mit Schnee ein.

      „Nu is’ tan, Peppo … los nieder ze Tal … die Sihl rount unter der Tüfelsbruck her … kumm … dort ist Hafer und Stroh … dort ist … dahoim …“

      Jungrudi schlief ein und hätte seiner Mutter Bier nie mehr geschmeckt, wenn ihm nicht seines Peppo Huf hart an die Schulter gefahren wäre. Peppo ging den letzten Kampf an. Der Kopf schlug auf und nieder in den Schnee, daß Trense und Stange klirrten. Jungrudi taumelte hoch. Er starrte, langsam erwachend, auf den Gaul nieder, dessen Beine schlugen und jäh ermatteten, noch etliche Male zuckten und dann sich steif streckten, als wollten sie irgend etwas abstemmen. Es dämmerte dem müden Manne, daß er dem Rotschimmel zum andern Mal sein Leben verdanke. Er kroch vor und betastete die Nüstern. Sie hingen schlaff. Kein Hauch lebte in ihnen.

      Nun hätte er den Peppo liegen lassen können. Sattel und Zaum wären unberührt nachgeholt worden. Aber er fühlte nur mehr den dumpfen, unbändigen Trieb, mit allem dort unten und geborgen zu sein. Nichts sollte mehr auf den Todesweg zurückdrängen. Es mag auch die Reisläufersorge um das Beutegut gewesen sein. Er hatte manch einen, übel zugerichtet und halb ausgeronnen, mit der letzten Kraft das Kriegsgut schleppen sehen, als hinge der armen Seele Heil daran. Und vor den Alten mochte er nicht als einer hintreten, der zu Fuß hatte heimtrollen müssen. Wenn er die Taschen aufs Estrich fallen ließ, sollte es klirren.

      Er zerrte den Sattel unter dem toten Peppo vor und zäumte ab. Er belud sich und schwankte unter der Last, als sei er trunken. Halb im Traume watete er durch den Schnee der Schweigwies bis dorthin, wo sie steil gegen die Teufelsbruck abfällt. Keuchend sammelte er seine Kräfte.

      Des Alten Haus dort drunten, das Ochsnerhaus an der Teufelsbruck … sie waren wach, er konnte nicht lange gelegen haben. Durch die Herzluken der Fensterläden schiens her. Es glitt ein Schatten über zwei der glühenden Herzen, als ob ihm das Haus zugeblinzelt hätte. Jungrudi schöpfte Atem und taumelte weiter. Über die Straße noch. Dann hob er den Spieß und schlug ans Tor.

      Der Hund heulte; ein Lichtschein brach durch die Ritzen. Er hörte seines Bruders tiefe Stimme.

      „Was ist?“

      „Mach uf, Hänsli … der Ruodi!“

      „Ruodi! Tot oder lebig?“

      „Uf, tu uf! Ehender tot.“

      Hans Ochsner rief durch die Gademtür:

      „Der Ruodi ist kummen!“

      Es fühlte sich der todesmatte Mann von zwei tüchtigen Fäusten gepackt und über die drei ausgetretenen Steinstufen gezogen. Den Spieß nahm ihm der Hans ab, von Sattel und Zaum ließ er nicht.

      Er tastete über die Flurecke weiter, durch die Gademtür hinein.

      Sie waren um den Tisch gesammelt, eine dampfende Schüssel in ihrer Mitte.

      Die Mutter war aufgestanden, auch Eis, die Schwester, und Marx, der Knecht. Der Vater allein blieb sitzen, und da er sitzen blieb, wagte sich niemand vom Tisch fort.

      Jungrudi warf Sattel und Zaumzeug ab, und es klirrte so schön, als er nur