Erwin Guido Kolbenheyer

Paracelsus


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an:

      „Gritli, hol ein Schluck noch, dann ich wollt gern vom Win meh trinken, unde du sollt ouch ein Schluck tuen, dann du bist blässer als der Mond.“

      Sie lief, um ihr aufbrennendes Gesicht zu verbergen. Und als sie wiederkam und den Krug vor ihn hinsetzte, spottete er:

      „Schmeck zue, Maideli!“

      „Du sollt dir selber zueschmecken“, stieß sie hervor.

      „Ei, du bist etwan us Pfäffikon, do verstohnds die Weiber mit dem Zueschmecken nit anderst dann ze Zürch.“

      Der alte Ochsner und der Hans lachten. Die Mutter aber sah, daß die Gritli mit den Tränen kämpfte, und meinte:

      „Ohnbesorgt, Gritli, dem Hänsli stoßend noch die fetten Brocken von Zürich. Es jücket ihn, denen Herren von der Pontafel glich ze tuon.“

      Der Hans wurde zornig und bedachter.

      „Ei, Muotter, es möcht nit lang währin, do sull der erst Schritt zue der Pontafel ton sin. In Bünden stohnd sie bereit, die von Tirol schlafend all in Waffen. Das hat nit einer sundern all ze Zürch hänts mir verhißen.“

      Da wurde es still um den Tisch, denn sie wußten, daß der Schwyzer von des Hans Art mit seinem Schwerte goldene Edelmannsstufen aus bäurischem Gestein hauen konnte.

      Rudi Ochsner, dessen Lebensfeuer noch nicht erloschen waren, ließ sich von der Magd so rauhaarig als möglich anfühlen. Er schenkte ihr kaum ein günstiges Wort. Doch war ihr sicher in seiner Nähe, denn sie merkte gut, daß er unter allem Knurren und Bellen auf ihr Recht bedacht blieb. Gegen sein Weib wurde er empfindlich und ungewohnt nachgiebig, so daß sie ihn nach etlichen Wochen leisen Kummers zur Rede stellte, da ihr sein neues Wesen unerträglich wurde.

      „Ochsner, was vor ein Wesen? Sint die Küh sänd umbgstonden, hanget es dir an als ein heimliches Moulweh, und nützit gnüeget dir meh, dannocht lässist du alls mit suren Mienen bi Gott sin. Din Art ist anders.“

      Sie vermied es, die Zeit seines sonderbaren Gehabens von dem Dienstantritt des Gritli zu zählen. Er merkte an ihren klugen Augen, daß sie über seinen Unfrieden mit Herzensnot wache und um mehr Sorge trug, als er selber bekämpfte.

      „Laß guet sin, Muotter, wir werdind olt, und der Winter hat Stürm.“

      Er legte seine Hand auf ihre Schulter. Ihre Lippen bebten ein wenig, als sie sagte:

      „Wir werdind olt, Ochsner. Allein üch Mannslüt trägt der Herbest Win, und der schümet; so er ze süß ist gewest, stoßet er den Zapfen us, erst wenn der Schnee fällt.“

      „Muotter, wir gstunden in gueter Zit und ouch in der Not bi einander, als möchtind wir nit anderst endigen beid. Loß guet sin.“

      Sie errötete sanft und fuhr ihm mit leiser Hand über Schulter und Arm. Er ließ es geschehen.

      Doch am morgenden Tag, da der helle Neuschnee über dem Hochtal feierte, weil die Sonne unendlichen Glanz aus ihm weckte, nahm der alte Ochsner seinen Enkelsohn bei der Hand und stieg mit ihm auf die Klausen. Es verlangte ihn, einen weiten Blick zu tun. Theophrast war stolz, daß er den Großvater begleiten konnte. Er redete unaufhaltsam von den ungereimtesten Dingen zu dem Ahn, meinte sich als ein würdiger Weggenosse zu erweisen. Er sprach auch von der Magd Gritli.

      Der Alte fiel ihm ins Wort:

      „Bis still, Frästeli, los hin gen Einsiedlen! Hörst du nit die Glocken? Die hänt gelüt, do din Ähnli die jung Weßnerin hät zuo der Hochzit ingeführt!“

      „Ich hör nit.“

      „Mir ist, als wärind die Glocken ze uns gedrungen.“

      Einige stille Schritte.

      „Die Gritli saget mir: So ich groß bin unde stark als ünser Hans, müesset ich als ouch in den Krieg ziehn, dann vor ein Schwyzer ist der Krieg schöner dann das schönest Maideli.“

      „Bis still, Frästeli. Nu los nieder ze Tal, dort rouschet die Sihl, die hab ich gehört, do der Jungruodi ist stif uf der Ofenbank gelegen und du bist zem Leben ufgewacht.“

      „Ich hör nit.“

      Dann aber wurde dem Kinde der Schneefrieden wundersam.

      „Alls schweiget“, flüsterte es, „ist dannocht hellichter Tag! Schweiget alls, der Schnee deckts. Lust din Ohr die Sihl immer noch?“

      Der alte Ochsner sah über den offenen Wiesenhang hinweg, als habe er sein Enkelsöhnlein nicht vernommen. Weithin vor seinen Augen war die heitere Pracht ausgespannt. Er nahm den Knaben auf und reckte den andern Arm.

      „Sieh, Frästeli, das Jahr ist olt worden und rein. Dannocht fünklets, daß eim die Ougen flinzlen vor Glast.“

      „Warumb ist das Jahr alt wordin?“

      „Wie din Ähnli ist es olt worden. Und din Ahn hat Rünzlen im Gesicht und ist als weiß behoubet. Do der Schnee uf der Erd ist usbreit, ist das Jahr worden olt und still.“

      Theophrast zog seine Stirn kraus und sagte ernst:

      „Der Schnee hat kein Rünzlen nit. Und du flinzlest nit und bist nit still.“

      So mußte der alte Rudi Ochsner seinen Enkelsohn wieder absetzen. Beide sahen einander betroffen in die Augen.

      „Samer Gott und uf min Seel, du bist ein ganzer Mann und sollt recht behaltin vor din Teil.“

      Er nahm eine Hand des Knaben, der nicht wußte, ob seine Ansicht gescholten oder anerkannt sei, und einen mißtrauisch spähenden Blick über die Weite warf, ob im Schnee dennoch Runzeln zu finden wären.

      „Ist guet, Frästeli, ich wills mir schon behaltn. Du hörst keine Glocken, und die Sihl wird nit lut vor dir, du siehest keine Rünzlen im Schnee, und din Ahn flinzlet kom mehr, dannocht schweiget er nit still, wie das weit Land im Schneeschlaf schweiget. Du brouchst der Glichnusse noch keins vor din Leben. Und so rieh als du bin ich ouch bstellt gsi: brauchet der Glichnusse keines nit. Nu aber bin ich olt und nünt dann das Leben, dos ist jung und ewiglich. Darumb hab ich ein Münz ufton ohn kaiserlich Privlegi, dort schlog ich min falsches Geld. Das flinzlet als der Schnee und zerrinnt eim in der Hand als der Schnee. Das sänd mine Glichnus, darmit ich verhoff ein Endli Leben zu erstohn. – Aber kumm ze Tal in unser Ochsnerhüsli, du min gueter und getrüer Schuolmeister, daß ich dir dine Lehr zahl mit einer Händvoll Hüzlen. Die sänd als ouch runzlet und hänt dannocht ein süeßen Kern.“

      Theophrast nahm die Verheißung dankbar auf, ihm war, als sei er mit knapper Not etlichen Maulschellen entgangen, so sehr hatte ihm das sonderbare Wesen seines Ahns zugesetzt.

      Eis Ochsnerin fand allzuschwer in die neue Ordnung des Hauswesens. Ihr war, als wolle sie Bombast langsam der Heimat entwöhnen, da er mit ihrer Arbeit auch ihr ganzes Dasein in andre Hände gelegt zu haben schien. Sie beneidete die junge, schöne Magd um das Tagwerk, unter dem sie beinahe zusammengebrochen war. Sie schuf sich hundert unnütze Mühen und gab sie dann auf, weil sie nur verwunderte Mienen erntete. So fühlte sie alle Bitternis einer grenzenlosen Vereinsamung.

      Der Mutter suchte sie zu helfen, doch die alte Frau hatte ihr Arbeitsgesetz, das unveränderlich mit ihr, fast an ihr ablief wie der Wandel der Gestirne über der Erde. Sie konnte bös werden, wenn andre Hände in ihr Gesetz griffen. Eis mußte sich zurückziehen.

      An Theophrast wagte sie nicht die leere Zeit zu wenden. Er war kein Kind, das Müßigkeiten ausfüllte. Vor einem unbedachten Worte oder einer verhehlenden Beruhigung stand der kleine Mann gewichtig, breit, mit ernsten Mienen, er fand todsicher durch die halbe Lüge einen Hohlweg, auf dem man ihm nicht ausweichen konnte. Man hätte ihn überrennen müssen, und das wagte die Mutter nicht mehr. Weil alles Männliche der tiefen Schamhaftigkeit und Schüchternheit ihres Wesens fremd geblieben war, entfremdete sie die erwachende Männlichkeit von dem Knaben. Sie sah neugierig, manchmal belustigt seinem eigenwilligen Handeln zu, das stets irgendwie vom zufälligen Spiele abwich. Und nicht viel anders betrachtete sie das Leben des Wilhelm Bombast.

      Der Gedanke, daß ihr