Katja Piel

Kuss der Wölfin - Die Ankunft (Band 1)


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Simsen ist nicht strafbar. Aber es kann sein, dass ich aus Frankfurt weggehe. Ich will nicht, aber vielleicht ist es besser. Für alle.“

      „Das ist ein bisschen verfrüht, wegen einer SMS, findest du nicht?“

      Ich atmete tief die kühle Nachtluft.

      „Ich weiß es nicht. Wenn es der Typ ist, an den ich denke, kann ich nicht früh genug weit weggehen. Andererseits wird er mich überall finden.“

      „Und was will er von dir?“

      „Ich weiß es doch nicht, Sam. Vielleicht reicht es ihm, mir Angst einzujagen.“

      Sein Blick haftete auf mir.

      „Du erzählst mir nicht die Hälfte von dem, was du weißt, oder?“

      „Ja. Und das ist auch richtig so. Ich kann dich unmöglich da hinein ziehen.“

      „Aber...“

      „Nein!“

      Ich bellte ihn geradezu an, und er zuckte zurück.

      „Ist ja gut. Denk nur bitte daran – wenn du Hilfe brauchst, bin ich da.“

      „Ja. Danke.“

      Wir schwiegen und starrten in die Dunkelheit. Wir hatten beide keine Lust mehr auf die Party. Als uns kalt wurde, holten wir unsere Jacken, gingen zum Auto und fuhren heim.

      Die nächste SMS kam, als Sam gerade Alexas Tür leise hinter sich geschlossen hatte.

       Und? Hat er's dir ordentlich besorgt?

      8. Kapitel

      Bedburg, Spätsommer 1589

       «Wir werden sterben.»

      

      Der Frühling war vorbei, der Sommer auch schon, und Katharina war immer noch da. Hauptsächlich, weil sie nicht wusste, wohin sie gehen sollte.

      Seit dem Winter war es etwas erträglicher geworden. Peter war oft tagelang unterwegs gewesen. Wenn er zuhause gewesen war, schlief er, und wenn die Lust ihn überkam, hatte er sich an Sibil vergangen. Katharina ließ er zumeist in Ruhe.

      Der Schlächter ging immer noch um. Tote Dörfler, Gerber, Köhler, totes Vieh. Man wusste nicht, wo er als nächstes zuschlagen würde. Ein Wahnsinn wäre es gewesen, hätten zwei alleinstehende Frauen versucht, sich durchzuschlagen.

      Doch vielleicht hatten sie zu lange gewartet.

      „Wir werden sterben“, flüsterte Sibil. „Wir werden sterben.“

      „Sei still, dummes Balg! So schnell stirbt es sich nicht.“ Katharinas Stimme klang heiser.

      Sie fühlte sich elend.

      Ihr Körper war völlig ausgetrocknet, und sie konnte an nichts denken als an Wasser.

      Am Anfang hatten sie noch versucht, zu entkommen, aber Peter hatte die Fenster von außen so gründlich vernagelt, dass die Frauen sich ohne Werkzeug nicht ins Freie arbeiten konnten. Außer einigen dünnen Sonnenstrahlen, die durch Spalten im Holz kamen, gab es kein Licht in dem Raum.

      Katharina überlegte, wie lange sie nun schon in der eigenen Hütte gefangen waren. Ein Tag? Zwei? Zwischendurch hatten sie geschlafen, aber Durst und Hunger hatten sie wieder geweckt. Sie hatten Stroh in einer Zimmerecke zusammengekratzt und zum Pinkeln verwendet. Und jetzt verlor Sibil die Nerven.

      Mühsam stand Katharina auf und hinkte im Raum hin und her. Sibil hatte nicht ganz unrecht. Bei der letzten Begegnung mit Peter war auch Katharina der Überzeugung gewesen, nun ihrem Schöpfer gegenübertreten zu müssen. Er hatte sie nicht nur vergewaltigt, zum ersten Mal seit Wochen, sondern auch geschlagen, bis sie das Bewusstsein verloren hatte. Seitdem war ihr Körper grün und blau, ihr Gesicht verschwollen, sie konnte ihre linke Hand nicht richtig gebrauchen und es quälten sie Schmerzen bei jedem Atemzug.

      Schmor in der Hölle, du Ausgeburt des Satans, dachte sie. Verrecke da draußen im Wald. Die Wölfe sollen dich zerreißen.

      Sie heulten wieder, draußen im Wald, und riefen sich zur Jagd. In letzter Zeit trauten sie sich immer näher an die Dörfer heran, und keiner wusste, warum.

      Seit die Wölfe so wild geworden waren, ließ Katharina die Ziege nicht mehr ins Freie.

      Sie lag nun auf dem warmen, staubigen Boden und schaute mit ihren feuchten, dummen Augen verständnislos in der Gegend herum.

      In der Dunkelheit hörte Katharina Sibil leise schluchzen. Das Balg hatte Mutter und Vater verloren – die eine bei der Totgeburt eines Geschwisterchens, den anderen an den Satan.

      Katharina war überzeugt davon, dass der Gehörnte seine Finger im Spiel hatte. Peter war auf seine einfältige Art ein guter Mann gewesen. So einer verwandelte sich nicht von heute auf morgen in ein Tier, wenn nicht ein böser Zauber auf ihm lag. Katharina fragte sich, ob der Zauber auch auf sie übergesprungen war. Immerhin hatte sie Peters Samen oft genug in sich aufgenommen. Wäre sie die nächste, die dem Übel anheimfiel?

      „Wir müssen etwas unternehmen“, sagte sie entschieden. „Weg sein, bevor der Peter wiederkommt.“

      „Aber wie?“, schluchzte Sibil. „Wir haben es versucht!“ Anklagend hielt sie ihr die blutig zerkratzten Hände hin, die von einem Ausbruchsversuch durchs Fenster zeugten.

      Katharina stürzte den schweren Tisch um, griff nach dem Holzbeil und schlug mit einigen ungeschickten Schlägen ein Tischbein ab.

      „Hier.“ Sie hielt es Sibil entgegen, die es verständnislos ergriff. Katharina humpelte zur Hintertür. Durch den Türspalt über dem Lehmboden drang Tageslicht. Mit der Fußspitze scharrte sie auf dem Lehm.

      „Wir graben uns nach draußen.“

      „Wie meinst du...?“

      „Hier. Unter der Tür durch. Das ist die einzige Möglichkeit, hinauszukommen. Los! Was stehst du und gaffst! An die Arbeit!“

      Zögernd kam Sibil zu ihr, ließ sich auf die Knie nieder und begann, mit dem Tischbein in der Erde zu kratzen. Katharina hieb ein zweites Tischbein für sich selbst ab und half ihr. Jede Bewegung schickte einen stechenden Schmerz durch ihre Brust, und innerlich verfluchte sie Peter, wünschte ihm jedes grausame Schicksal, das sie sich nur ausmalen konnte.

      Es dauerte ewig. Der Boden war durch unzählige Füße festgetrampelt, und sie mussten die harte Erde, Schicht für Schicht abkratzen. Nur langsam wurde der Spalt unter der Hintertür breiter. Sie scharrten und hebelten mit ihren Stöcken und gönnten sich keine Pause. Stunden vergingen. Das Heulen der Wölfe kam näher und verebbte dann wieder im Wald. Das Licht, das durch den Spalt drang, wurde dünner.

      Irgendwann legte Sibil sich auf den Bauch und steckte die Hand durch den Spalt, um auf der Außenseite arbeiten zu können. Mittlerweile war ihr Fluchtversuch kaum mehr zu verstecken. Katharina wusste, dass es ihr Ende bedeuten konnte, wenn Peter zurückkam, bevor sie weg waren.

      Auch Sibil schien das zu wissen. Sie arbeitete mit unermüdlichem Eifer und hochroten Wangen.

      Die Sonne war bereits untergegangen, als sie einen ersten Versuch wagten. Sibil wand sich unter der Hintertür hindurch und steckte den Kopf ins Freie.

      Katharina schob von innen und zupfte Sibils Kittel zurecht, wenn sie mit dem Stoff irgendwo hängen blieb. Sibils Schultern verschwanden, dann ihr Oberkörper, ihr knochiges Hinterteil und zum Schluss ihre zappelnden Beine.

      Völlig erschöpft lehnte Katharina sich an die Hintertür. Sie musste es erst gar nicht versuchen: Sie war zu groß und zu schwer. Sie passte nicht durch den Spalt, und die Schmerzen im Brustkorb brachten sie um, auch ohne dass sie sich durch ein enges Loch quetschte.

      Sie streckte die Hand ins Freie und spürte,