Karsten Lohmeyer

Google ist mein Verleger


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rel="nofollow" href="#fb3_img_img_6ab402dd-7b5e-51c8-9648-0210680cafdb.jpg" alt=""/>Wenn ich hier übers Geldverdienen als Journalist im Netz schreibe, dann ist das so ein bisschen, wie damals vor dem ersten Sex. In der Theorie beherrsche ich das Kamasutra rauf und runter, hab im Kopf schon jede Variante durchgespielt – und halte mich schon jetzt für einen großen Stecher. Praktisch hab ich noch nicht einmal das erste Base erreicht.

      Tatsächlich geht es wohl vielen meiner Kollegen so: Wir pubertieren und fantasieren bei jeder Gelegenheit über die unendlichen Möglichkeiten, im Netz (ohne Verlage) mit Journalismus Geld zu verdienen. Aber das ist alles Onanie. Und voller Versagensangst. Denn wer hat’s schon wirklich getan?

      Martin Goldmann hat’s getan. Er ist der große Bruder, der weiß, wie’s geht. Und das im wahrsten Sinne des Wortes: Martin ist nämlich der große Bruder von Stephan Goldmann, meinem Co-Blogger auf LousyPennies.de.

      Als ich meinen zweiten Post veröffentlicht habe, hat er mich über Facebook angechattet. Das hat er geschrieben:

       Mein Kompagnon Markus und ich machen seit 1999 den Tippscout und seit 2004 verdienen wir Kohle damit. Seit etwa 2008 reicht’s für zwei Familien.

      Wow, das war jetzt – um im Bild zu bleiben – als hätte mir damals der große Bruder plötzlich den Playboy unter der Matratze vorgekramt (das Internet gab es noch nicht) und mir versprochen, zu erklären, wie das denn nun läuft mit Mann und Frau.

      Also musste ich mit Martin reden.

       Martin, was genau heißt eigentlich, der Verdienst von Tippscout „reicht für zwei Familien“?

      Ich möchte hier keine konkreten Zahlen nennen. Aber wir nagen nicht am Hungertuch, es können ein paar Tausend Euro pro Monat sein. Mein Kompagnon Markus und ich können wirklich gut davon leben. Ganz ehrlich: Das Ding hat mir 2008 den Arsch gerettet. Ich hatte bis dahin rund 30 Seiten im Monat mit Praxistipps für Medien wie Computerbild und andere Computerzeitschriften geschrieben. Doch dann wurden die Aufträge weniger, die Seitenpreise gingen zurück, Zeitschriften wurden eingestellt. Was die Financial Times Deutschland und andere Tageszeitungen heute erleben, hat die Computerpresse in Teilen bereits hinter sich. Da war es wirklich gut, dass wir bereits 1999 mit Tippscout angefangen haben und 2008 soweit waren, gutes Geld zu verdienen.

       Das Geld kommt woher?

      Hauptsächlich von Google Adsense. Hinzu kommen Banner- und Display-Anzeigen. Das kann teilweise mehrere Hundert Euro pro Tag bringen.

       …aber nur mit entsprechend vielen Seitenbesuchern.

      Ja, wir haben bis zu 1,5 Millionen Besuchen pro Monat auf unserer Seite.

       Woher kommen die?

      Zu 95 Prozent von Google. Tatsächlich war der entscheidende Punkt für uns, als wir im Jahr 2004 erkannt haben, dass man mit Adsense tatsächlich Geld verdienen kann.

       Da habt Ihr mit Sicherheit ganz schön viel Aufwand in SEO gesteckt, also die Optimierung Eurer Inhalte für die Google-Suche.

      Nein, denn unserer Erfahrung nach würdigt Google journalistisch saubere und hochwertige Inhalte. Wenn der Content gut ist und so nicht schon tausendfach im Netz zu finden ist, muss man sich gar nicht so viele Gedanken machen.

       Also jetzt mal ehrlich. Ich habe mir Tippscout.de angesehen. Das sieht mir auf den ersten Blick nicht aus, wie ein seriöses, journalistisches Angebot. Eher wie eine jener Content-Farmen, deren einziger Sinn und Zweck es ist, arglose Internet-Nutzer per Suchergebnis anzulocken.

      Ich weiß, da gehen bei manchen Journalisten-Kollegen sofort alle Schranken hoch. Aber Tippscout ist ein durch und durch journalistisches Angebot. Wir kommen ja aus der Tipps- & Tricks-Szene und haben jahrelang für Print-Produkte nichts anderes gemacht. Alle unsere Texte sind sauber recherchiert und sauber geschrieben. Bei uns entwickeln keine Algorithmen die Themen, sondern wir entscheiden aufgrund von unserem journalistischem Bauchgefühl.

      Jeder Artikel von Fremdautoren wird redigiert und auf seine Qualität geprüft, wir machen gute Überschriften – und wir lesen jeden Text gegen. Das ist Nutzwert pur. Die Leute finden bei uns einfach was sie suchen. Und das ist oft recht einfach. Unser aktuell meistgefragter Tipp ist tatsächlich der, der erklärt, wie man ein Ei kocht. Das ist Verbraucherjournalismus.

       Thema Schranken hoch. Erlebst Du das oft bei klassischen Journalisten?

      Ja, zum Beispiel bei Seminaren, die ich gebe. Da sitzen dann gestandene Journalisten, die unglaubliche Hemmungen haben, sich auf das Internet einzulassen – und Angst, dass was schief gehen könnte. Sie sind Strukturen gewohnt, in denen es immer jemanden gibt, der ihnen sagt, was gut und schlecht ist. Plötzlich sind sie die letzte Instanz vor der Veröffentlichung. Und dann die Angst vor dem Shitstorm, der angeblich hinter jeder Ecke lauert. Diesen unmittelbaren Kontakt mit ihren Lesern sind sie einfach nicht gewohnt.

       Was sollen diese Journalisten also tun?

      Einfach loslegen, am besten neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit. Sie müssen einen Schritt raus aus der Sicherheit wagen, die ihnen ihr Verlag und ihre Redaktion gibt. Sie müssen Mut haben, sich ausprobieren. Und dann werden sie merken, dass im ersten halben Jahr gar nichts passiert. Aber gib ihnen ein Jahr und dann geht es richtig los. Vielleicht verdienen sie dann 200 bis 300 Euro im Monat nebenbei.

       …wenn sie darüber schreiben, wie man rohe Eier richtig kocht?

      Wenn sie darüber schreiben, was die Menschen interessiert und im Internet suchen. Das ist tatsächlich in vielen Fällen reiner Nutzwert. Aber das sollte jeder gute Journalist beherrschen: die großen Lesegeschichten mit hartem Nutzwert zu verbinden. So funktioniert auch jede Print-Zeitschrift. Sie wird nicht nur aufgrund der Edelfedern und der investigativen Geschichten gekauft.

       Wie stellst Du Dir das vor?

      Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass ein auf Energiethemen spezialisierter Journalist auf seiner Seite ganz praktische Tipps zum Energiesparen gibt und gleichzeitig ein tolles Hintergrundstück zur Energiewende bringt. Eventuell sogar auf zwei verschiedenen Seiten. Oder nimm einen Tippscout und setz ein politisches Blog daneben. Das eine sorgt für den Lebensunterhalt, das andere für die Reputation. Übrigens ist man da völlig frei in der Themenwahl, denn Google nimmt keinen Einfluss auf den Inhalt der Artikel.

       Danke für das Stichwort Google. Da muss man heutzutage fast übers Leistungsschutzrecht schreiben. Was hältst Du denn davon?

      Kann man da einfach entsetztes Schweigen schreiben?

       Nein.

      Dann sage ich so viel dazu: Das ist der Versuch von Verlagen, ihre Position zu sichern. Denn Journalisten wie ich brauchen sie nicht mehr. Mein Verlag ist Google. Google verschafft mir die Anzeigen. Google verschafft mir die Leser. Google überweist mir jeden Monat mein Geld aufs Konto. Und alles mit dem entscheidenden Vorteil, dass Google meinen Content NICHT für sich haben will.

      Wenn Du heutige Mitarbeiter-Verträge von Verlagen kennst, weißt Du, dass Du ihnen die komplette Verwertung Deiner Texte überträgst. Mein Fazit: Das Internet braucht Redaktionen. Aber keine Verlage mit einer Anzeigenabteilung, einem Vertrieb und einer Personalabteilung.

       Aber Du machst Dich abhängig von Google.

      Ja. Die negativen Seiten davon haben wir gespürt, als wir bereits zweimal für mehrere Monate aus dem Index geflogen sind. Aber die Vorteile überwiegen. Wenn Du einmal einen Text geschrieben hast, bringt der Dein ganzes Leben Zinsen. Immer wenn er und die mit ihm verteilten Anzeigen gelesen oder angeklickt werden, erhältst Du Geld – und nicht ein Verlag.

       Dein Tipp für die Zukunft für alle Online-Journalisten und die, die es werden wollen?

      Werdet auch multimedial. Auf Youtube kann man