C. L. Larue

Kolosseum des Lebens


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die jedoch im Laufe der Zeit zu einer festen Institution werden sollte. Der Arzt rückte an und nach einer kurzen Untersuchung hieß es, man solle sofort ein Krankenhaus aufsuchen, denn der Landarzt war ebenso ratlos wie der Rest der Familie. Jetzt waren alle Beteiligte wach und kurzer Hand wurde der Kleine in Decken eingepackt und schnellstmöglich in das 14km entfernte Krankenhaus verbracht.

      Dort angekommen waren die Fachleute nach der Untersuchung des „Delinquenten“ ebenso ratlos wie auch in der misslichen Lage, sich ihre Ratlosigkeit nicht anmerken zu lassen. Demnach war die Lösung des Problems, Eltern samt Mysterium Namens Klaus Rudolf Johann wieder einzupacken und in das 50km entfernte Kinderkrankenhaus nach Gießen zu überstellen. Um dieser Situation den würdigen Rahmen zu verleihen, schließlich hatten seine kleinen Nierchen ja auch nichts Besseres zu tun, produzierten sie während dessen fleißig weiter Urin, der wiederum das Bäuchlein anwachsen ließ. Damit die besorgten Eltern auch ein wenig mehr Enthusiasmus an den Tag legten, entschloss sich klein Klaus Rudolf Johann den Geräuschpegel noch ein kleines Stückchen zu erhöhen.

      Nach einer weiteren guten Stunde kam das Trio schließlich im Krankenhaus an. Die Götter in Weiß waren vorab schon informiert und so wurde hektisch der Kleine in ihre heiligen Hallen gebracht. Wohl nach relativ kurzer Zeit, (in späteren Erzählungen aber erst nach einer gefühlten Ewigkeit), kam schließlich ein Arzt zu seinen Eltern und bereitete sie auf das scheinbar Unvermeidliche vor. »Es scheint ein fast Kinderkopf großer Tumor im Bauchraum zu sein und die Prognose ist eher endlich. er sei wohl schon sehr apathisch aber es würde alles getan was noch möglich wäre «, meinte sinngemäß der Arzt, um sich sogleich umzudrehen und sich wieder dem schreienden kleinen Wurm im Behandlungsraum zu widmen.

      Frei übersetzt, …. der Kleine hat wohl ausgeschissen, bereiten sie sich darauf vor, dass er die Nacht nicht überstehen wird. Diese Formulierung mag nun etwas unangemessen erscheinen, doch sie dürfte der unsensiblen Art und Gleichgültigkeit dieses Arztes gegenüber dem Ergebnis seiner Worte wie sie wohl aufgenommen wurden, angemessen sein.

      Mit dieser Information ließ man Vater und Mutter zunächst erst mal sitzen, so dass sich die entstehenden Emotionen auch richtig und ungestört entwickeln konnten. Nach einer weiteren guten Stunde dann doch noch einmal ein bahnbrechender Gedanke eines eiligst herbeigerufenen Kollegen, der experimentell auf die Idee kam, es mal mit einem Katheter zu versuchen, denn es könne statt eines Tumors womöglich doch etwas anderes sein, wie beispielsweise eine Verkrampfung des Schließmuskels der Blase. So interessant diese Idee wohl auch gewesen sein mag, verursachte sie erneut ein weiteres Problem, denn es gab keinen Katheter der klein genug gewesen wäre, um in dieses winzige etwas zwischen seinen Beinchen zu passen.

      … Status Quo wieder hergestellt! …

      Es stand wieder auf Messers Schneide und da scheinbar ohnehin alles verloren schien, entschloss man sich einfach weiter zu experimentieren. Es wurde ein dünnes Schläuchlein gesucht, sterilisiert und irgendwie passend gemacht. Rein mit dem Ding und siehe da, es lief … und lief ... und lief … Der Winzling wurde ruhiger und es hatte den Anschein, als würde wieder etwas Leben zurückkehren. Der vermeintliche Tumor wurde kleiner und irgendwann teilte man den fast apathisch wirkenden Eltern erleichtert mit, dass die Ursache kein Tumor, sondern eine Blasenlähmung gewesen sei. Wieder einmal war er der Vorreiter von Herausforderungen, die man bisher noch nicht zu lösen hatte, denn er war der erste Säugling, der in dieser Weise die Ärzteschaft fast an ihre Grenzen brachte. So die Aussage der „Götter in Weiß“.

      Über einen Liter Urin lief aus dem mickrigen Bläschen und alles war wieder in Ordnung. Noch schnell eine Blasenentzündung überstehen und es ging nach einigen Tagen wieder ab nach Hause. Nachdem er dieses nachtfüllende Programm und das dazugehörende Martyrium überstanden hatte, wurde dieses Manko zu einer dauerhaften Erlebnisreihe für die nächsten Jahre. Was ihm jedoch erspart blieb, waren die Krankenhausaufenthalte, denn wenn die Schlacht um jeden Tropfen Pipi eröffnet wurde, sollte der Küchentisch grundsätzlich zum Ort des Geschehens werden. Diese Episode war der Auftakt einer Reihe von Erzählungen seiner Mutter in späteren Zeiten. Er selbst hatte natürlich noch keine eigenen Erinnerungen an dieses Unterfangen. Zumindest glaubte er dies eine ganze Weile, als er begann alles zu Papier zu bringen. So unwahrscheinlich dies sein mag, er fing an sich mit jeder Zeile die er nun schrieb, immer deutlicher daran zu erinnern. Zumindest an den Schmerz! Das ganze Szenario war wieder abrufbar und er hatte alles noch einmal deutlich vor seinem inneren Auge. Decken wurden auf den Tisch gelegt, Mutter stand meist seitlich am Tisch, Vater hielt ihm von hinten die Beinchen fest und spreizte sie. Der herbeigerufene Hausarzt fummelte dann mit dem kleinen Katheter hektisch hin und her, bis er endlich dieses Monstrum durch dieses mickrige „Würmchen“ in die Blase eingeführt hatte. Unsägliche Schmerzen empfand er und wenn der Druck der Blase endlich nachließ, riss der Arzt das Ding einfach wieder heraus. Ja, zimperlich war der Herr Doktor nun wirklich nicht. Und so wie sein Erscheinungsbild vermuten ließ, war auch seine Art und Weise mit gewissen Gegebenheiten umzugehen. Er war halt ein großer, grob geschnitzter, forsch wirkender Mann.

      Es hatte sich im Laufe der Zeit jedoch eingespielt, dass der Arzt, nachdem er den Katheter gelegt hatte, mit dem Hinweis einfach wieder verschwand, dass seine Eltern auch selbst das Schläuchlein entfernen könnten wenn alles erledigt sei. So also übernahm schließlich Vater diesen Part. Auch er war ein Mann der Tat und erledigte dies selbstsicher und entschlossen mit den Worten, »Du hast ja schon das schlimmste überstanden«, was letztlich nicht wirklich dazu beitrug, seine Angst zu schmälern. Natürlich wurde bei solch „sensiblem“ Vorgehen grundsätzlich eine Blasenentzündung verursacht, die es dann wieder auszukurieren galt.

      Die Jahre vergingen und der Kleine entwickelte die Fähigkeit durch verbissenes, mehr oder weniger aufgezwungenes Training, die ständig auftretenden Lähmungen zu meistern. Eine gewisse Routine in Sachen Schmerverträglichkeit und wichtiger, Gelassenheit wenn es wieder einmal so weit war, stellten sich ein, sofern man von Gelassenheit sprechen mochte.

      Der Küchentisch wurde wie immer zum Ort der Aktion, der Hausarzt wurde gerufen. Mittlerweile bekam man die richtige Größe für das kleine „Würmchen“ zwischen seinen Beinchen(oder war es womöglich etwas gewachsen?), alles wurde gereinigt und koste es was es wolle, die Pipeline verlegt. Das kostbare „Gut“ abgelassen und Schwups, dann alles wieder rausgezogen. Blasenentzündung ausgeheilt und alles funktionierte wieder für einige Wochen. Immerhin musste sein an den Tag gelegtes Verhalten in diesen Situationen seine Mutter derart beeindruckt haben, dass sie selbst viele Jahre später noch erzählte, wie tapfer und vernünftig der kleine Klaus Rudolf Johann doch war, wenn es wieder in die Küchen-Arena ging.

      Und so wie die Gladiatoren mutig zum Kampfe in die heiligen Hallen einmarschierten, so machte er sich mutig auf den Weg zum Küchentisch, um eine weitere Katheter Schlacht zu schlagen (…nur der Beifall fehlte…).Nun, soviel sei angemerkt, es veränderte ihn. Er wurde trotz seiner jungen Jahre ein ruhiges, fast als vernünftig zu bezeichnendes Kind. Er war behütet und vielleicht auch etwas kränklicher oder besser, ein wenig sensibler als andere Kinder in seinem Alter ... aber dies sollte ja nicht wirklich ein Nachteil sein oder? Ob er tatsächlich ein vernünftiges Kind in diesem Sinne war, sei dahingestellt, denn diese Beurteilung und Behauptung seiner Mutter dürfte mehr als subjektiv gewesen sein. Wie auch sollte sie wissen, was wirklich in ihm vorging, wenn es wieder soweit war.

       Es heißt, man soll in jeder noch so schlimmen Lage immer nach dem positiven Kern suchen .

      Machen wir aus dieser These eine Tatsache und gehen auf die Suche. Nun, wenn er sich diese Zeit, diese Erfahrungen auf der Zunge zergehen ließ, fiel es ihm schwer in all diesen schmerzhaften Erlebnissen etwas Positives zu finden. Dennoch, das Durchhaltevermögen in manchen Situationen war gestählt und wenn es auch seine Zeit brauchte, er fand etwas Positives. Nicht nur, dass er im Erwachsenenalter durch dieses aufgezwungene Blasentraining an der Theke derjenige war, der so gut wie nie den Ort des Geschehens ständig wegen Blasendrang verlassen musste und so der witzigen Behauptung, er habe ein Konfirmantenbläschen, den Boden entzog, nein … schon im Kleinkindalter hatte er es dem Umstand zu verdanken so oft in Krankenhäusern gewesen zu sein, dass er, sagen wir mal auf gewisse Kleidungsstücke sensibel zu reagieren pflegte. Dies alleine war zwar nicht unbedingt