»Ertappt, aber das bleibt unter uns. Natürlich sollte ich auch ein ehrlicher Geschäftsmann sein. Aber das Leben ist reizlos, so gänzlich ohne kleine Laster.«
»Töchter hast du keine?«, fragte Gungnir neugierig.
»Nein, und wenn ich dein lüsternes Gesicht so sehe, bin ich wirklich froh, keine zu haben. In meiner Familie werden seit Generationen nur männliche Nachkommen geboren. Außerdem, wir leben in Indien. In diesem Land als Frau geboren zu sein, kommt einer Strafe gleich. Du hast sicherlich des Öfteren die Stimmen der Auslandspresse vernommen, oder?«
»Sicherlich, aber es scheint die inländische Presse wenig zu jucken, wenn junge Frauen von mehreren Männern vergewaltigt, und anschließend ermordet werden, oder?«
»Nein, hier werden immer noch gerne die Augen vor drängenden Problemen verschlossen. Früher oder später müssen wir Frauen von außerhalb importieren, denn hier gibt es zu wenige davon. Wenn eine Familie eine Tochter bekommt, wird diese mancherorts wie eine ungewollte Katze ertränkt, weil die armen Familien es sich nicht leisten können, ihre Tochter mit einer gebührenden Mitgift auszustatten. Überwiegend von solchen, die ohnehin an das Kastensystem glauben«, meinte der Sikh, der sich glücklich schätzen konnte, nicht diesem Wahnsinn anheimgefallen zu sein. In seiner Religionsgemeinschaft wurden Frauen mit Nachnamen »Kaur« angesprochen, was so viel wie »Prinzessin« heißt, aber grammatikalisch korrekt »Prinz« bedeutet. Sie werden gleichrangig wie Männer behandelt. Die Sikhs sind Monotheisten, glauben an einen Gott, der weder männlich, noch weiblich ist. Sie lehnen dabei das Kastensystem strikt ab, weil sie der Meinung sind, jeder Mensch habe ein Recht auf freie Entfaltung. Doch gänzlich fernhalten können sie sich davon nicht, weil ihr Alltag damit durchtränkt ist, eben mit solchen Menschen an einem Ort zu leben, die dem hinduistischen Glauben angehören.
Gungnir blickte nachdenklich in den morgendlichen Himmel. »Ich wollte dir für deine Hilfe und Gastfreundschaft danken. Es ist schwierig, Menschen zu finden, die so tolerant sind wie du und deine Glaubensgemeinschaft. Und es soll auch nicht zu deinem Schaden sein. Du weißt, ich reise immer mit einem Koffer voller Dollarnoten.«
»Kein Thema. Wir kennen uns nun schon eine ganze Weile, nicht wahr? Wie wäre es mit einem Frühstück?«, wechselte Ganesh das Thema.
»Nein, danke. Ich frühstücke nie«, blockte Gungnir ab.
»Und zu Mittag isst du auch nie, ebenfalls gilt das für das Abendessen... Ich habe dich nie jemals irgendetwas essen sehen. Wenn wir dich einluden, lehntest du immer ab«, bemerkte Ganesh nachdenklich. »Aber ich werde nicht auf diesem Thema herumreiten. Ich bin lediglich ein guter Beobachter. Möchtest du Tee?«, fragte er grinsend und zeigte dabei seine weißen Zähne.
Gungnir wischte sich mit den Händen müde über das Gesicht. »Ja, Tee klingt gut. Hör mal, ich will nicht, dass du etwas Übles über mich denkst, aber ich bin nicht so wie andere Menschen, und da ich dich als meinen persönlichen Freund betrachte, werde ich dir jetzt die Wahrheit sagen. Du kannst mich gerne für verrückt halten, aber ich bin ein Vampir. Ein sehr alter Vampir. Du und deine Familie, ihr habt nichts zu befürchten, okay?«
»Hm«, machte Ganesh. »Okay, ist gebongt. Und solange du Gast in meinem Haus bist, wird dir niemand auch nur ein Haar krümmen, mein Freund. Und dein Geheimnis ist bei mir gut aufbewahrt. Ich fühle mich geschmeichelt, dass du so ehrlich zu mir bist. Sardar.«
»Sardar?«, fragte Gungnir verblüfft.
»Ja, das heißt Bruder. Komm jetzt, der Tee ist fertig!«
Beide Männer gingen wieder zurück in den Laden, während in den Straßen Jodhpurs der Lärm des Straßenverkehrs zunahm und beinahe undurchdringlich wurde.
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