Theke, an der man Pizza und Pasta bekommen kann („Pizza Paradise”). Auf der linken Seite in der Mitte des Ladens steht eine Theke, an der man sich einen Salat zusammenstellen lassen kann. Ganz hinten im Raum mache ich noch ein paar Tische und Stühle aus. Und ganz vorne, im Schaufenster, der Mini-Stand, an dem man auf den Geschmack Persiens kommen soll. Während die zwei Kundinnen vor mir ihr Essen erhalten, darf ich einen Löffel persischen Desserts probieren. Joa, kann, muss aber nicht. Ein „Versucherle” des persischen Lamb Stew lehne ich freundlich ab. Danke, kein Lamm für mich. Lämmer sind dazu da, um von Lisa in Bullerbü mit der Flasche aufgezogen zu werden und niedlich auszusehen und nicht um von mir gegessen zu werden. Für mich gibt es Auberginen mit Walnüssen, serviert auf Basmati mit zahlreichen toppings, wie man heute sagt. Leider gibt es kein tadik, die persische Reiskruste. Schade, das ist doch mit das Beste. Das Essen nehme ich to go, denn mittagessen will ich auf dem Union Square, in der Sonne, umgeben von Bäumen und Marktständen. Und genau so ein Plätzchen ist auch noch frei für mich. Ich setze mich und futtere los. Um mich herum hoppeln die Eichhörnchen und freuen sich offenbar auch ihres Lebens.
Am Tisch neben mir sitzen zwei junge Männer. Plötzlich fängt der eine an zu zucken und zu fuchteln. Epileptischer Anfall? Ah nein, eine Wespe. Da kommt ihm sein Kumpel mit einem Block zur Hilfe und versucht das Tier zu verscheuchen. Einmal holt er zu kräftig aus und haut zu schnell in Richtung Insekt: Bumm, es sinkt benommen zu Boden. Die beiden bemerken, wie ich sie beobachte und wohl etwas erschrocken schaue. Der Zuckende grinst entschuldigend und ruft: „Well, she started!” Ich muss laut loslachen. Der Zweite murmelt: „Oh God, I feel like a horrible killer now.” Ich grinse nochmal zurück und blicke mich um, wer mir an diesem Mittag im Park sonst noch Gesellschaft leistet. Links neben mir ein asiatisches Pärchen, das für sein (nicht-asiatisches!) take-away mitgebrachte Stäbchen aus dem Rucksack zieht. Ach, der Mensch ist ein Gewohnheitstier! Rechts, etwas weiter entfernt, lässt sich ein Paar mittleren Alters nieder, behängt mit Kamera und Reiseführer in der Hand. „Touristen!”, schießt es mir halb verächtlich, halb mitleidig durch den Kopf. Nun komme ich selber aus einer Touristenhochburg und bin deshalb nicht deren größter Freund. Jaja, ich weiß sie bringen das Geld in die Stadt. Ich sag ja schon gar nichts mehr. Aber auch sonst versuche ich stets. sowohl daheim als auch anderswo, den Eindruck zu vermeiden, selber Tourist zu sein, wobei ich vom Kauf des Shirts mit dem Aufdruck „I’m no Tourist, I live here” bisher abgesehen habe. Und jetzt sitze ich hier in New York. An der gleichen Stelle, an der ich vor nicht mal einem halben Jahr selber als Touristin saß, doch jetzt gehöre ich zur anderen Seite. Doch tue ich das wirklich? Ab wann ist man New Yorker? Bemisst sich das an der Zeit, die man hier gelebt hat? Am Tempo, mit dem man mit gesenktem Kopf durch die Straßen hetzt? An der Lautstärke, mit der man über die hohen Mieten schimpft? An dem Zeitpunkt, ab dem man seinen Backofen zum Aufbewahren von Kleidung und nicht zum Kochen benutzt? Ich bin mir nicht sicher. Im Moment bin ich wohl ein kleiner Hybrid. Eine Raupe im Kokon. Noch ein bisschen Tourist. Schon ein bisschen Einheimischer. Und wer weiß, vielleicht flattere ich demnächst als schöner New Yorker Schmetterling durch die streets und Avenues.
Jetzt aber, um im Bild zu bleiben, flattere ich erst einmal über den Markt. Die Reste meines Mittagsmahls packe ich ein, denn die Portion war (für mich) so groß, dass mein Abendessen so auch schon gesichert ist. Leider suche ich heute vergeblich nach dem Stand mit dem Eistee und auch cider donuts mit Zimt und Zucker (cider = (naturtrüber) Apfelsaft, alkoholfrei) gibt es heute leider nirgends zu kaufen. Wenigstens meine Lieblingsäpfel der Sorte „Honey Crisp“ (in Deutschland nur ganz selten erhältlich) sind im Angebot, wobei Angebot relativ ist: Eine einzige Frucht schlägt mit knapp einem Dollar zu Buche. Ich bin wirklich kein großer Apfelfreund – außer natürlich des Big Apples, haha! (Oh apropos Wortwitz: Gestern in der Schlange an der Kasse bei Buffalo Exchange steht vor mir ein Typ, der an diesem Tag wohl nicht nur Zigaretten geraucht hatte, ruhig da und sagt plötzlich aus dem Nichts: „I had a phone in jail. It was a cell phone!” Mein albernes Ich kreischt sich innerlich jetzt noch einen weg!) Wenn ich schon einen Apfel essen soll, dann möge man ihn mir bitte in Schnitzen servieren. Außerdem darf er keinesfalls mehlig sein, sondern muss fest und leicht säuerlich und saftig sein. Honey Crisps sind das in Perfektion. Da lasse ich mich dann auch gerne dazu herab, das Fruchtfleisch vom Kerngehäuse zu nagen. Insgesamt ist auf dem Platz die Anzahl der Stände heute nicht sehr groß, aber hier kommt es sowieso auf Qualität und nicht Quantität an. So kann es auch sein, dass auf einem Stand nur drei kleine Körbe mit irgendwelchen Produkten stehen.
Nachdem ich den letzten Stand passiert habe, laufe ich weiter zum südlichen Ende des square. Dort hat die Jüdische Gemeinde eine Succot-Hütte aufgestellt, um sich davor mit den Passanten über Jahwe und die Welt zu unterhalten. Mir steht gerade aber weniger nach theologischen Diskursen der Sinn, sondern ein anderes menschliches Bedürfnis meldet sich. Hier am Union Square geht man dafür am besten zu DSW (Designer Shoe Warehouse, einem sehr empfehlenswerten Schuh-Discounter). Rein in das große Gebäude, mit der Rolltreppe ein Stockwerk hoch, und dann bei den Damenhandtaschen, dort geht’s zum Bathroom, wo man sich auch mit warmem Wasser die vom Essen klebrigen Pfoten waschen kann!). Ach und wenn frau schon mal da ist, kann man ja gleich auch noch ein bisschen Schuhe kucken.
Nachdem ich genug Schuhe gekuckt habe, will ich nun Bücher kucken gehen. Das geht besonders gut bei Strand. Strand ist ein riesiger Buchladen in der 12. Straße, der mit dem Slogan „18 Miles of Books“ wirbt. Nun, ob es wirklich so viele sind, weiß ich nicht. Aber eine ganze Menge auf jeden Fall. Neben aktuellen Büchern gibt es dort auch viele literarische Schätze, Erstausgaben, signierte Unikate und mehr zu kaufen. Klaustrophobiker sollte man übrigens lieber nicht sein, sonst könnte es zwischen den eng gestellten, bis zur (hohen!) Decke gehenden Regalreihen brenzlig werden. Ich stöbere ein bisschen hier, ich stöbere ein bisschen da. Das Kuriose: Ich bin nicht wirklich eine Leseratte, aber ich liebe Buchläden. Deshalb verlasse ich den Laden irgendwann auch nicht mit Lesematerial, sondern lediglich einem neuen Notizbüchlein.
Wo könnte es denn nun hingehen? Vielleicht ins Village? Oder in irgendeinen Second-Hand-Laden? Ich befrage mal über das Handy Yelp, was denn so in der Nähe ist. Während ich auf dem Display rumtatsche, fragt mich ein Passant, ob ich einen bestimmten Weg suche. „Nein, nein, alles gut“, versichere ich und denke still: „Ich bin doch kein Tourist!” Aha, 10. Straße West. Da ist ein ganz gut bewerteter Laden. Da könnte man ja mal hinlaufen. Sooo weit isses ja nicht. Genau das ist die Falle in New York! Irgendwie ist alles immer nur ein paar Straßen weiter, man läuft hin und wundert sich abends, warum man sich kaum noch rühren kann und wieder irgendwie 20 Kilometer gelatscht ist. Ich laufe durch die 10. Straße von Ost nach West. Wun-der-schö-ne Häuser! Ein Traum! Als ich dann im West Village angekommen bin, meldet sich eine Stimme in mir: „Hier ist doch Magnolia Bakery irgendwo um die Ecke.“ Handy wieder raus, Google Maps gecheckt. Charles Street, Perry Street (ja, da ist Carrie Bradshaws Treppe, Haus Nr. 66, das mit der Kette vor den Stufen), Bleecker Street. Heieiei, jeeedes Mal verirre ich mich hier. Denn die Logik der Straßen wird hier sowas von über den Haufen geworfen. Ich verliere auch jegliche Orientierung wo Osten und Westen, Süden oder Norden ist. In jungen Jahren wurde mir mal eine „Orientierung wie ein Marmeladebrot” bescheinigt. Dem würde ich grundsätzlich widersprechen, im West Village stimmt es jedoch zweifellos. Aber heute schaffe ich es, den kleinen Laden mit den dunkelblauen Markisen zu finden. Im Geschäftchen herrscht dichtes Gedränge vor den Vitrinen in und auf denen sich die Kalorienbomben stapeln. Manchmal ist es also auch ganz gut, dass man jeden Tag 20 Kilometer durch die Stadt marschiert. Ich nehme ein Stück chocolate cake und eine kleine Portion des – angeblich so berühmten – Magnolia banana pudding. Dann spaziere ich mit der hübschen Magnolia-Papiertüte in der Hand weiter durch das West Village. Wie immer sehe ich das ein oder andere „House for Sale”-Schild. Wie immer nehme ich mir vor, unbedingt Lotto zu spielen. Wie immer tue ich es dann aber dummerweise doch nicht. Dann finde ich, heute scheint mein Village-Orientierungs-Glückstag zu sein, tatsächlich die richtige U-Bahn-Station, von der aus ich bequem wieder nach Hause komme.
Die Magnolia-Schokotorte landet im Kühlschrank, mit Laptop und banana pudding verziehe ich mich – aus Ermangelung eines Sofas – ins Bett. Dann mal probieren. Es schmeckt sehr sehr fein. Wie ein sehr sahniges Bananen-Tiramisu. Aber eben recht mächtig, sodass ich nur rund die Hälfte schaffe. Egal. Der Rest kann ja