Andreas Bulgaropulos

PENNYFLAX


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entlangführte, bot sich Pennyflax ein guter Überblick, wer um diese Uhrzeit bereits auf den Beinen war.

      Da trat zum Beispiel die alte Booja aus ihrer Wurzelhöhle. Sie war mindestens doppelt so dick wie jeder andere hier und besaß für eine Koboldfrau enorme Muskeln. Es ging das Gerücht, dass sie in ihrer Jugend einen Goblin umgehauen hatte, der ihr ein Glas Brombeermarmelade hatte stehlen wollen, und Goblins waren zweimal so groß wie Kobolde. Booja reckte und streckte sich, blickte griesgrämig auf eine Schnecke, die in ihrem Vorgarten den Tau von den Pflanzen schlürfte, und brummte: »Habe gestern wohl zu viel Blödwurztee getrunken … sehe schon Weinbergschnecken, die gar keinen Wein trinken.« Dann schnäuzte sie ihre Nase in die Hand, wischte sich den Schleim an die Schürze und beschwerte sich über das schrecklich gute Wetter.

      Pennyflax grüßte höflich, auch wenn Booja ihm nie so ganz geheuer gewesen war, und erreichte das nächste Grundstück, auf dem Schlonzo der Tüftler lebte. Schlonzo war wie immer früh aufgestanden und arbeitete schon, denn man hörte sein wüstes Schimpfen bereits von Weitem: Er saß neben seinem selbstgezimmerten Holzhaus und brüllte einige Balken an, die sich unter den Flüchen zu biegen begannen. Pennyflax klopfte an den Zaun und rief: »Miesepetrigen Morgen, Schlonzo. Was wird’s denn diesmal? Ein Dings, äh … ein Boot vielleicht, mit dem man über den Rauschebach bis zum Blauwassersee schippern kann?«

      Schlonzo hielt mit verschwitztem Gesicht inne, wischte sich einige Sägespäne von seiner braunen Koboldhaut und schnaufte: »Nö, verflucht noch eins! Wird nix so Abenteuerliches. Wird bloß ’n Badezuber für meine Frau, damit sie heute Abend ihr Schlammbad in der Wohnung nehmen kann … obwohl das auch vertüftelt abenteuerlich werden dürfte. Und du? Wohin des Wegs?«

      »Flausen für Murksipfusch besorgen«, erklärte Pennyflax. »Hab mir ’nen Pustekuchen gewünscht!«

      »Bäcker müsste man sein«, seufzte Schlonzo. »Da darf man bis mittags schnarchen, schwuppidiwuppi was backen und sich wieder hinhauen. Ich aber kann mir so einen Faulpelz nicht überziehen und muss holzen was das Zeug hält. Mürrischen Tag, wünsche ich.« Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr Schlonzo mit dem Fluchen fort und tat dies mit einer solchen Inbrunst, dass sich die Balken bis auf den Boden bogen.

      Pennyflax winkte ihm zu und schlenderte weiter den Hauptweg am Bachufer entlang. Er grüßte noch einige Bewohner vor ihren Behausungen und erreichte den Waldrand, der gleichzeitig das Ende des Kobolddorfes markierte.

      Da ihn die zwei letzten Häuser am meisten interessierten, ging er hier besonders langsam. Er warf neugierige Blicke durch das Dreieckfenster des vorletzten Hauses, doch drinnen rührte sich nichts. Shirah wohnte hier, ein Koboldmädchen, das zwar erst 122 Jahre alt war, sich aber bestens mit Heilkräutern und dem Herstellen von Salben auskannte. Pennyflax hatte sie vergangenen Monat aufgesucht, als sein Drachling Fauch einen Splitter in der Pfote hatte und die Wunde zu eitern begann. Dank Shirahs Behandlung war die Verletzung in null Komma nichts geheilt, und seitdem hielt Pennyflax große Stücke auf das Koboldmädchen – obwohl er das vor niemandem zugegeben hätte, schon gar nicht vor ihr. Sie begegnete ihm zwar mehrmals am Tag, aber er schaute immer in eine andere Richtung, damit sie ja nicht auf den Gedanken kam, er würde sie mögen. Denn das kannte man ja bei Mädchen: Glaubten sie, dass man sie mochte, wollten sie gleich einen Kuss haben, und Küssen war eklig.

      Und im letzten Haus des Dorfes wohnte Meister Snagglemint. Er war mit seinen 589 Jahren der älteste Kobold in Garstingen, genoss ein hohes Ansehen und bezeichnete sich selbst als Magiker, als jemand, der die Zauberei praktizierte. Daher prangte ein Schild über seiner Eingangstür, auf dem in Schönschrift stand: »Magiker für alle Gelegenheiten und Verwegenheiten«.

      Weil also Meister Snagglemint so weise und gebildet war und haufenweise Bücher in fremden Sprachen las, fragte Pennyflax ihn gerne um Rat, wenn ihm beim Umherwandern in der Welt etwas Unerklärliches begegnete. Oder er bat den Alten, einen Haarbändigungszauber zu wirken, wenn ihm die Büschel mal wieder in alle Richtungen abstanden und sein Hut nicht sitzen wollte. Zudem verstand sich Meister Snagglemint auf die Produktion von Knallfröschen, von denen Pennyflax immer ein paar in der Hosentasche hatte. Das Beachtlichste aber war Snagglemints grauer Bart, der fast bis zum Boden reichte, sowie sein Zauberstab, auf dessen Spitze ein Smaragd glühte. Anscheinend jedoch hatte der Alte letzte Nacht wieder lange studiert, da nichts von ihm zu sehen war.

      Schließlich spazierte Pennyflax aus seinem Dorf hinaus und überquerte die Steinbrücke, die sich über den Rauschebach schwang. Und obwohl die Sonne am Horizont aufging, die Insekten auf der Wiese summten und dies ein garstig schöner Sommertag zu werden versprach, beschlich ihn das seltsame Gefühl, dass heute irgendetwas passieren würde.

      Gefahr im Druntertal

      Nachdem Pennyflax die Brücke überquert hatte, erreichte er auf der anderen Seite des Rauschebachs eine Trauerweide, deren Äste das Wasser berührten. Er kletterte neben dem Weg zum Bachbett hinunter, kniete sich am Fuß des Baumes hin und tastete unter den Wurzeln herum. Nur Augenblicke später wurde er fündig und zog einen dicken Engerling aus der Erde, dann noch einen und noch einen. Ohne zu zögern, steckte er sich die zappelnden Käferlarven in den Mund und zerkaute sie mit Genuss, so dass es knackte – ein köstliches Frühstück. Anschließend stieg er wieder hoch zum Weg, holte seine Flasche aus der Hutkrempe und befüllte sie am Himbeerbusch mit Himbeersaft. Dann schlenderte er weiter.

      Während Pennyflax an einem Zaun entlang spazierte und sein Lieblingslied vor sich hin pfiff, beobachtete er die zwei Kobolde Triefauge und Schniefnase, wie sie hinter dem Zaun eine Herde Wollmäuse über die Wiese trieben. Die Wollmäuse tollten fröhlich umher und sahen aus wie wuschelige Kugeln, die übereinander hüpften. Sie gaben Wolle und Milch, aus der die Garstinger warme Kleidung und einen vorzüglichen Käse herzustellen vermochten. Leider waren Triefauge und Schniefnase ziemlich faule Schäfer, weshalb die Tiere manchmal ausbüxten und sich an Stellen herumtrieben, wo man sie gar nicht gerne sah. Doch abends kehrten sie brav zu ihrer Weide zurück. Wollmäuse besaßen sogar einen ausgeprägten Sinn für Schabernack, denn wenn sie genügend Blaukraut gefressen hatten, pupsten sie mit Triefauge und Schniefnase um die Wette.

      Schon bald lagen Pennyflax’ Dorf und die Wollmäuse hinter ihm. Er wanderte kilometerweit über die Landstraße, durchquerte ein Wäldchen mit einem Tümpel, an dem mehrere Firlefanzfeen tanzten, und kam an der Ruine einer alten Gnomenburg vorbei, in der es nachts spukte. Am Gelbeitersumpf nahm er die Beine in die Hand, da man sich in dieser Gegend besser nicht zu lange aufhielt: Dort hauste Swampdotti, ein vieläugiges Sumpfmonster, das der Legende nach eine schöne Elfenprinzessin gewesen war, bis Sulferion, der Hexenmeister des Feuerberges, sie verflucht hatte. Seitdem lauerte Swampdotti in den Sümpfen unvorsichtigen Reisenden auf, um sie in den Morast hinab zu ziehen.

      Über die anderen Landesteile von Eraluvia, der Welt, in der Pennyflax lebte, wusste der Kobold nicht allzu viel. Am besten waren ihm die »Weidenwiesen« bekannt, ein Feuchtgebiet im Westen, mit Teichen, Schilfbüschen und dem Blauwassersee in der Mitte. Dann gab es die Kargfelsen-Ebene im Nordwesten, hinter der sich die Brennenden Lande erstreckten und die Sulferion der Hexenmeister beherrschte. Im Norden lagen der Finsterwald und noch höher hinauf das Frostspitzen-Gebirge, wo Eisgeister und Schneetrolle hausten. Und schließlich im Osten, weit weg von hier, lag Viancáru, das Elfenreich. Doch diese fernen Gebiete hatte kaum ein Kobold zu Gesicht bekommen. Genauso wenig wie die Küste des stürmischen und gefährlichen Ozeans an den Südklippen.

      Inzwischen stand die Sonne hoch am Himmel, an dem kein Wölkchen zu sehen war, und Pennyflax dachte bei sich, wie abscheulich er schönes Wetter eigentlich fand. Denn wie es sich für einen ordentlichen Kobold gehörte, liebte er Regenwetter. Wenn es wie aus Eimern schüttete, wenn Blitze über den Himmel zuckten und der Donner so laut knallte, dass es einem die Fußnägel aufkrempelte – dann fühlte er sich am wohlsten. Aber seit er ein Haustier besaß, hatte er sich an die Sonnentage gewöhnt, da Fauch ungerne bei schlechtem Wetter auf Entdeckungstour ging.

      Überhaupt hatte der Drachling für eine Menge Wirbel gesorgt, als Pennyflax ihn vor zwei Jahren mit in sein Dorf gebracht hatte. Einige der Koboldkinder waren vor Angst bis auf die Baumspitzen geklettert, und die Älteren hatten vor Wut ihre Messer oder Stöcke gezogen