ging mit unsicheren Schritten vorwärts und schloß leise die Tür.
»Leg jetzt den Teppich darüber.«
Mark trat ans Fenster, riß einen Flügel auf und schaute hinaus. Die Nacht war dunkel; ein feiner Sprühregen fiel nieder, die Flut war auf ihrem Höhepunkt.
Tiser lehnte sich an einen Stuhl und atmete schwer wie ein Mann, der eine ungeheure Anstrengung hinter sich hat. Die Sprache versagte ihm, und er wagte nicht aufzusehen, bis er hörte, daß Mark McGill das Fenster schloß.
»Das ist in Ordnung. Komm jetzt! Vergiß nicht, was du gesehen hast!«
Tisers Zähne klapperten, als er seinem finsteren Herrn zur Treppe folgte. Sie standen auf dem Absatz, als unten laut an die Tür geklopft wurde. Tiser unterdrückte einen Schrei. Wieder ertönte das Klopfen.
»Offnen Sie die Tür!«
McGill taumelte in das Zimmer zurück, löschte schnell das Licht und schaute durch ein kleines Fenster auf die Straße.
Zwei Autos hielten unten. Das dritte fuhr gerade vor, aber noch bevor es zum Stehen kam, sprangen sechs Männer heraus und gingen eilig auf das Haus zu.
In dem hellen Licht eines der Scheinwerfer an den Wagen sah Mark ein wohlbekanntes, ihm so verhaßtes Gesicht. Nur für einen Augenblick tauchte es auf, dann verschwand es wieder in der Dunkelheit.
»Bradley!« zischte er. »Die Fliegende Kolonne – das Haus ist umzingelt!«
3
Mark schloß das Fenster, trat zurück und drehte das Licht wieder an. Mit einem scharfen Blick musterte er das Zimmer, verkorkte schnell das Tintenfass und stellte es beiseite. Dann zeigte er auf die Tür.
»Geh nach unten und laß sie herein!«
Das Klopfen ertönte lauter und dringlicher als zuvor.
»Warte noch einen Augenblick!« rief Mark, als Tiser schon in der Türöffnung stand. Mit größter Eile rollte er den Teppich zurück, riß die Falltür auf und leuchtete mit seiner Taschenlampe nach unten. Aber nur das schwarze Wasser gähnte ihm entgegen. Plötzlich fiel ihm seine Pistole ein; rasch warf er sie hinunter, wartete noch, bis er das Aufschlagen auf dem Wasser hörte, schloß dann die Tür und legte den Teppich wieder darüber.
»Laß sie jetzt herein!« sagte er kurz.
Bradley trat zuerst ein. Einer der vier Detektive, die ihm folgten, hatte eine Pistole in der Hand.
»Durchsuchen Sie die beiden«, befahl Bradley.
Mark hob sofort die Hände in die Höhe.
»Wo ist Ihr Schießeisen?« fragte der Detektiv, der schnell alle Taschen Marks abtastete.
»Wenn Sie damit eine Pistole meinen«, entgegnete McGill kühl, »dann verschwenden Sie nur unnötig Ihre Zeit. Darf ich mir aber die Frage erlauben, was dieses ganze Theater zu bedeuten hat?«
»Wo ist Li Yoseph?«
Mark zuckte die Schultern.
»Das möchte ich auch gerne wissen. Ich unterhielt mich noch vor kurzem mit ihm in der freundschaftlichsten Weise. Dann ging er fort, um noch einen Bekannten aufzusuchen. In zehn Minuten wollte er zurückkommen.«
Der Detektiv verzog verächtlich die Lippen.
»So, er wollte einen Bekannten aufsuchen? Wollte ihn wohl nach seinem Hund fragen, was?« Er zog die Luft prüfend durch die Nase ein und runzelte die Stirn. »Es riecht hier ganz verdächtig nach Kordit.«
Bradley ging zu dem kleinen Schlafraum, sah sich dort um, nahm die Violine und den Bogen und betrachtete sie nachdenklich.
»Sein Instrument hat er nicht mitgenommen, wie ich sehe.« Er nahm die Violine unters Kinn und spielte eine kurze Melodie. »Sie wußten wohl nicht, daß ich Geige spiele?« fragte er, als er sie wieder auf den Tisch legte.
»Ich weiß nur, daß Sie sich hier aufspielen wollen. Ihre künstlerische Veranlagung scheint sich irgendwie betätigen zu müssen«, erwiderte Mark bissig.
Bradley sah ihn scharf an.
»Sie müssen sich von dem Wahn freimachen, daß Sie hier als Volksredner vor einer großen Versammlung stehen, McGill. Sagen Sie mir lieber, wo ich Li Yoseph finden kann.«
Marks Gesicht wurde dunkelrot, offener Haß flammte aus seinen Blicken.
»Wenn Sie wissen wollen, warum ich hierher kam, dann werde ich es Ihnen sagen. Tiser und ich versuchen etwas Gutes in der Welt zu tun und den Leuten zu helfen, die Sie unterdrückt und zugrunde gerichtet haben, Bradley –«
Der Detektiv lächelte.
»Ach, ich kenne Ihre Herberge, wenn Sie dieses Heim für Obdachlose meinen«, entgegnete er trocken. »Das ist doch weiter nichts als ein Ihnen angenehmer Treffpunkt für Verbrecher, die Sie für Ihre Zwecke brauchen können. Eine geniale Idee. Ich habe gehört, daß Sie dort fromme Predigten halten, Tiser?«
Der Mann grinste nur furchtsam, er war noch nicht fähig zu sprechen.
»Sie wollen mir doch nicht etwa erzählen, daß Sie Li Yoseph aufsuchten, damit er Ihnen bei der Besserung der Sträflinge helfen sollte? Wenn Sie das –«
In diesem Augenblick wurde Bradley von einem Beamten dringend auf den Gang gerufen. Er ging sofort hin und sprach mit ihm. Mark McGill sah das Erstaunen in seinem Gesicht.
»Nun gut, sagen Sie Miss Perryman, daß sie hereinkommen kann.«
Ann Perryman trat langsam ein und schaute von einem zum andern.
»Wo ist Mr. Yoseph?«
»Dieselbe Frage habe ich eben auch gestellt«, erwiderte Bradley freundlich.
Sie beachtete ihn nicht und wiederholte ihre Frage.
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Mark. »Vor einigen Minuten war er noch hier. Er ist aus irgendeinem Grund fortgegangen und bisher noch nicht wieder zurückgekommen.«
Ann fühlte plötzlich, wie jemand ihren Arm faßte und sie herumzog. Sie zitterte vor Entrüstung, als sie Inspektor Bradleys Blick begegnete.
»Miss Perryman, wollen Sie so liebenswürdig sein und mir sagen, warum Sie jetzt hierherkamen? Ich frage Sie in meiner Eigenschaft als Polizeibeamter.«
»Ich kam, weil er mir schrieb, daß ich ihn besuchen solle«, erwiderte sie atemlos.
»Bitte, zeigen Sie mir seine Mitteilung.«
Tiser starrte sie mit offenem Mund an; auch Mark McGills Züge verrieten ungewöhnliche Bestürzung.
Ann Perryman zögerte, dann riß sie mit einer hastigen Bewegung ihre Handtasche auf und zog ein Blatt Papier hervor. Bradley las die beiden schnell hingeworfenen Zeilen:
»Ich muß Sie um zehn Uhr sehen. Es ist äußerst dringend.«
»Wo ist der Briefumschlag?«
»Den habe ich weggeworfen.« Sie atmete schnell, und ihre Stimme zitterte; aber Bradley wußte, daß nicht Furcht die Ursache ihrer Erregung war.
»Der Brief wurde Ihnen wohl durch einen Boten überbracht? Li hatte zuerst die Absicht, ihn durch die Polizei zu schicken. Er wollte Sie morgen Abend sehen – ich hatte auch eine Verabredung mit ihm für dieselbe Zeit«, warf Mark ein.
Bradley sah ihn durchbohrend an, aber McGill hielt den Blick aus.
»Wollen Sie mir bitte erklären, was dies alles zu bedeuten hat?« fragte Ann.
Mühsam hatte sie ihre Selbstbeherrschung wiedererlangt.
»Was das bedeutet?« erwiderte Bradley kühl. »Die Fliegende Kolonne ist hier – oder wenigstens eine Abteilung von ihr. Ich kam hierher, um Li Yoseph in Schutzhaft zu nehmen, bevor ihm etwas zustoßen konnte. Er wollte mir heute einen Brief schicken,