Thomas Riedel

Das Lächeln der Medusa


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in der Regent Street. Über einem Arm lag ein dunkler Mantel und in der Ellenbeuge des anderen hatte er einen Schirm mit silbernem Griff eingehängt.

      »Mein Name ist Peabody«, stellte sich der Mann vor. »Preston Peabody.«

      Der Chief Inspector sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen fragend an.

      »Ja?« Blake wusste mit dem Namen nichts anzufangen.

      »Ich bin Rechtsanwalt und Notar, Chief Inspector Blake«, ergänzte der Mann, der seinem Auftreten nach, nicht nur reiche Klienten hatte, sondern selbst auch nicht gerade unvermögend war.

      Blake hatte sich erhoben und trat auf den Mann zu.

      »Was führt Sie zu uns, Mister Peabody?«, erkundigte sich er sich, während er dem Anwalt die Hand reichte.

      Peabody erwiderte seine Geste mit einem kräftigen Händedruck.

      »Wie mir zu Ohren gekommen ist, hat man Sie damit beauftragt die geheimnisvolle Selbstmordserie aufzuklären, Chief Inspector«, schnitt Preston Peabody direkt den Grund seines Besuchs an.

      Blake runzelte die Stirn.

      »Mit anderen Worten, Sie haben Kontakte zur Chef-Etage des Yards«, bemerkte er. »Die Pressestelle hat davon nämlich nichts verlauten lassen.«

      Der Anwalt bestätigte Blakes Feststellung mit einem jovialen Lächeln.

      »Ihr Lächeln zeigt mir, dass ich Recht habe«, schmunzelte Blake, der inzwischen wieder hinter seinem Schreibtisch Platz genommen hatte. »Und ja, wir gehen dieser Serie nach.«

      McGinnis hatte sich erhoben und schob dem Anwalt einen Stuhl zu.

      »Nehmen Sie doch bitte Platz, Mister Peabody«, forderte er den Juristen höflich auf.

      Preston Peabody nahm dankend an, lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Blake sah ihn neugierig und abwartend an.

      »Wo fange ich am besten an, Chief Inspector«, sinnierte er kurz. »Ich war mit Colin Gardener, dem Zeitungsverleger, sehr eng befreundet. Natürlich habe ich auch alle rechtlichen Angelegenheiten für ihn geregelt. Es war eine, ich möchte sagen, besondere Freundschaft. Er war für mich fast wie der Bruder, den ich nie hatte. Wir sind unter anderem auch gemeinsam zur Jagd gegangen. Für morgen ist eine Fasanenjagd angesetzt, aber der arme Colin … nun ja …« Hilflos zuckte er mit den Achseln. »Wir haben oft auch Schach gespielt, waren Mitglieder im selben Club, und zwei Weltreisen haben wir auch schon gemeinsam gemacht.« Er sah Blake offen an. »Als ich nun erfuhr, dass mein Freund so plötzlich verrückt geworden sein soll, traf mich das, wie Sie sich vielleicht vorstellen können, wie ein Peitschenhieb.«

      Blake griff nach seinem heißen Kaffee und nahm vorsichtig einen Schluck.

      »Möchten Sie eine Tasse Kaffee, Mister Peabody?«, erkundigte er sich, der Etikette gehorchend.

      Der Anwalt schüttelte den Kopf. Blake schob seine Tasse beiseite und konzentrierte sich wieder auf den Besucher.

      »Colin war durchaus kein Nervenbündel, Chief Inspector«, fuhr der Anwalt fort. »Und er war schon gar nicht jemand, bei dem man mit einem so tragischen Ende hätte rechnen müssen. Deshalb verstehe ich auch nicht, wie es zu dieser entsetzlichen Kurzschlusshandlung kommen konnte.«

      »Wie oft haben Sie Ihren Freund in letzter Zeit denn gesehen, Mister Peabody?«, erkundigte sich Blake.

      Der Jurist musste nur kurz überlegen.

      »Bis auf letzte Woche Donnerstag, jeden Tag«, entgegnete er. »Ihre Frage zielt darauf ab, ob mir eine Veränderung an ihm aufgefallen ist.«

      Blake nickte.

      »Nein.« Der Anwalt hielt kurz inne und kniff seine ohnehin kleinen Augen noch ein wenig mehr zusammen. »Oder vielleicht doch. Da war etwas, zumindest hatte ich den Eindruck, worüber er nicht mit mir sprechen wollte oder konnte.«

      Blake wurde hellhörig und auch McGinnis, der in eine Fallakte vertieft war, hob den Kopf.

      »Haben Sie eine Vorstellung, was das gewesen sein könnte?«, hakte er sich in das Gespräch ein.

      Peabody machte eine entschuldigende Handbewegung.

      »Leider nein. Ich habe absolut keine Ahnung«, gestand er und zuckte ratlos mit den Schultern. »Vielleicht war er auch nur gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe.«

      »Ihre Vermutung impliziert die Frage, ob Mister Gardner diesbezüglich schon einmal Beschwerden geäußert hat«, gab Blake zu bedenken.

      Ohne darüber nachdenken zu müssen, schüttelte der Rechtsanwalt und Notar den Kopf.

      »Stimmt«, lächelte er. »Meine Antwort war eher auf allgemeines Nichtwohlfühlen bezogen und nicht auf eine Depression oder dergleichen. Nein, ich konnte diesbezüglich nichts feststellen.«

      Peabody hatte Blakes angebrochene Zigarettenpackung auf dem Schreibtisch bemerkt und holte ein eigenes Päckchen aus der Innentasche seiner Tweedjacke.

      »Darf ich?«, erkundigte er sich und hielt dabei lächelnd die Packung hoch.

      »Natürlich«, schmunzelte Blake und schob ihm im gleichen Atemzug Feuerzeug und Aschenbecher zu.

      Peabody bot ihm auch eine Zigarette an, doch Blake lehnte mit einem Fingerzeig auf seine eigene Packung ab.

      »Ich bin sehr auf meine Marke fixiert«, kommentierte er lächelnd. »Dennoch: Danke.«

      An der Art, wie Peabody rauchte, glaubte Blake, der über eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe und eine ausgesprochen gute Menschenkenntnis verfügte, erkennen zu können, dass den Juristen noch irgendetwas bedrückte, von dem er bislang nichts erwähnt hatte.

      Die Finger des Juristen zitterten leicht. Die Bewegungen wie er die Zigarette zum Mund führte, waren eckig und recht fahrig. Auch sog er den Rauch mit einer gewissen Gier in die Lunge und ließ sie schnaufend durch die Nasenlöcher entweichen. Angespannt betrachtete er seine sauber manikürten Fingernägel und wippte befangen mit dem rechten Fuß.

      »Sie werden sich bestimmt denken, dass das, was ich bis jetzt gesagt habe, kein Grund ist, zu Ihnen zu kommen«, sagte er schließlich, »und Ihre kostbare Zeit zu stehlen, meine Herren.«

      »Mister Gardener war immerhin Ihr Freund«, wiegelte Blake höflich ab.

      »Ja. Ja, das war er … Kommen Sie in dieser Sache denn voran, Chief Inspector?«

      Blake wiegte leicht den Kopf.

      »Bislang machen wir nur ganz kleine Schritte«, beschönigte er den Umstand, dass sie bisher nicht wirklich etwas herausgefunden, ja, nicht einmal einen halbwegs konkreten Ansatzpunkt hatten.

      Der Anwalt holte tief Luft. Dann stieß er seine nur zur Hälfte aufgerauchte Zigarette mit der Glut voran in den Aschenbecher, lehnte sich zurück und verschränkte dann die Arme.

      »Gut! Ich will Sie nicht länger hinhalten«, sagte er dann mit fester Stimme. »Es … Es gibt einen sehr triftigen Grund, weshalb ich zu Ihnen gekommen bin. Einen sehr persönlichen, wie ich gestehen muss.«

      »Ach, wissen Sie, Mister Peabody, der Weg zum Yard fällt vielen Menschen sehr schwer«, bemerkte McGinnis, der bislang nur schweigend zugehört hatte, mit einem aufmunternden Lächeln. »Aber, wie Sie sehen, … wir sind hier alle keine Unmenschen.«

      »Natürlich nicht«, erwiderte Peabody fahrig. Er nagte an seiner Unterlippe. Es war spürbar, wie sich seine Nervosität in den letzten Minuten verstärkt hatte. Irgendetwas musste ihn sehr quälen.

      Dann fasste sich der Anwalt ein Herz und zog ein Papier aus der Brusttasche seines Oberhemdes. Es war naturweiß und mehrfach gefaltet. Ohne jeden Kommentar reichte er es dem Chief Inspector.

      Blake nahm das Papier entgegen. Interessiert faltete er es auf.

      Auf den ersten Blick erkannte er, dass es sich um ein Erpresserschreiben handelte. Auf dem Papier klebten Buchstaben, Silben und Worte, die jemand gezielt aus diversen Zeitungen