blieb das Opfer verschwunden. Und dann das Unfassbare. Es gelang der Entführten sich zu befreien und aus ihrem Versteck im Wald zu flüchten. Völlig dehydriert endete die Flucht vor ihren Peinigern an einer Bahnstrecke mitten auf den Gleisen. In ihrem Zustand, betäubt vor Angst, Durst und Hunger, achtete die verwirrte Frau nicht auf einen heranbrausenden ICE.
Die Staatsanwaltschaft klärte den Fall schnell auf, aber dem Haupttäter, besagtem Kronenberg konnte eine direkte Mitschuld am Tod der Frau nicht nachgewiesen werden. So reichte es nicht ihn wegen Mordes zu verurteilen. Schwere räuberische Erpressung genügte aber auch um Kronenberg für mehrere Jahre hinter Gitter zu bringen. Von der Beute fehlte jede Spur.
Ein klar umrissener Auftrag. Die Staatsanwältin wies ihn mehrmals darauf hin, er solle Augen und Ohren offen halten. Mehr nicht! Geredet werde viel, besonders am Tresen in einer Dorfkneipe. Da der Verurteilte in Kesten an der Mosel, seinem letzten Wohnsitz, gemeldet war, saß er in der JVA Wittlich die letzten Jahre ein. Heimatnah hieß das im Amtsdeutsch. Die Staatsanwältin hatte sich zum Motiv für den Selbstmord äußerst vage geäußert. Um das nie aufgetauchte Geld aus der Erpressung, ging es aus ihrer Sicht nicht unbedingt. Sie vermutete eher als Motiv Rache für den sinnlosen Tod der Bankiersgattin.
Nun denn. Joseph Wolf reiste mit kleinem Gepäck. Spätestens am Sonntag nach dem Frühstück wollte er wieder zurück sein. Langsam fuhr er am Wittlicher Busbahnhof, die erste Abzweigung nach rechts nehmend, aus der Stadt hinaus. Mehrere Verkehrskreisel nahm er mit Schwung. Er achtete auf die Wegweiser und orientierte sich Richtung Mülheim und Bernkastel-Kues. Gleich nach dem Abzweig Richtung Klausen musste er scharf links abbiegen. Wieder rechts und dann durch die Ortschaft Monzel. An der Kirche den Berg hinunter und sein Ziel, lag in Sichtweite. Die Mosel schimmerte im leichten Nachmittagsdunst nur schwach.
Er passierte das Ortsschild Kesten. Die Geschwindigkeit seines Autos drosselte er stark ab. Das Straßenschild Am Herrenberg registrierte er zu spät und fuhr trotz mäßigem Tempo schnurstracks daran vorbei. Links vor der querenden Kreisstraße mit dem Stoppschild, zweigte eine kleine Gasse ab. Ein großer freier Platz, da konnte er seinen PKW wenden und in die gesuchte Straße einbiegen.
Sofort, ohne den Blinker zu setzen, zog er mit dem Auto auf den offenen Dorfplatz. Das energische Hupkonzert eines aufgebrachten Autofahrers, der hinter Joseph fuhr, störte ihn nicht. Den demonstrativ in die Luft gestreckten Stinkefinger ignorierte er großzügig und murmelte nur ein „selber Arschloch“ in seinen imaginären, also nicht vorhandenen Bart.
Die Ferienpension Moselblick hingegen fand er schnell. Ein verwittertes Hinweisschild gab Auskunft und offerierte „freundliche Fremdenzimmer mit allem Komfort.“
Freitagabend, kurz vor sechs Uhr, das wusste Joseph aus eigener Erfahrung, drängten die ersten Durstigen in die Kneipen. Er hatte noch genügend Zeit für einem ersten Rundgang. Bei knapp vierhundert Einwohnern konnte es an Infrastruktur nicht all zu viel geben. Ohne große Erwartungen trat er aus der Tür seiner Pension.
Nur die katholische Kirche mit ihrem markanten rechteckigen Turm konnte er in der abendlichen Dunkelheit ausmachen. Mit der Besichtigung des Bauwerks hatte es keine Eile. Also ging Joseph Wolf in die andere Richtung. Die Gastwirtschaft Zum Gutsausschank Kloster Himmerod befand sich offensichtlich in der Mitte des Dorfes. Dort kreuzten sich die aus Monzel vom Berg herab führende Hauptstraße mit der sinnigerweise nach der Mosel benannten Moselstraße und dem Herrenberg.
Nur wenige Schritte weiter überquerte er die Kreisstraße, die links nach Lieser und rechts nach Minheim führte. Ein Hochwasserdamm schottete das Dorf vor den Unbilden der Mosel ab. Der unberechenbare Fluss hatte in der Vergangenheit immer wieder das Bedürfnis verspürt den Bewohnern von Kesten einen Besuch abzustatten. Die an einigen Häusern angebrachten Markierungen mit historischen Wasserständen blieben für Joseph ohne Aussagekraft. Zwar las er die Jahreszahlen der auf den kleinen Schildchen vermerkten Höchststände, doch blieben diese nicht in seinem Kopf. Gesehen und gleich wieder vergessen.
Er passierte einen hohen Torbogen, sah rechts ein kleines Toilettenhäuschen und öffnete die Tür zur Gaststätte. Zwei Schritte ins Innere. Der sich über Jahre hinweg festgesetzte Tabakqualm schlug ihm bitter entgegen. Hinter der langen Theke die übliche Ausstattung einer von der Brauerei finanzierten Einrichtung. Bis auf eine Besonderheit, die Joseph sofort ins Auge stach.
Ungewöhnlich für einen solchen Ort, wo die Einheimischen ihren Feierabenddurst löschten. Jetzt im Winter kamen keine Touristen vorbei. Demzufolge kaum Betrieb. Direkt am Eingang auf den ersten beiden Barhockern hatten es sich zwei Männer gemütlich eingerichtet. Bierflaschen standen vor ihnen. In kurzen Abständen ein leichtes Klirren und Klicken, wenn die gedrungenen Stubbiflaschen aneinander schlugen. Ein Prost und dann das obligatorische Oah, tut das gut, das brauch ich nach so einem trüben Tag.
Sein Blick wanderte durch die noch leere Kneipe. Überrascht fixierten seine Augen die hinter der Theke postierte Kellnerin. Joseph schätzte die brünette schlanke Frau auf höchstens Fünfunddreißig.
„N`Abend“ mehr sagte die auf Kundschaft wartende Wirtin zunächst nicht. Abgelenkt durch einen ihrer Gäste, der nach einem neuen Bier verlangte, beachtete sie den Neuankömmling nicht weiter.
Neben der Eingangstür in gut ein Meter achtzig Höhe ein kleiner Flachbildschirm, der bei runter gedrehtem Ton unermüdlich flimmerte. Der obligatorische Geldspielautomat beschäftigte sich mit sich selbst. Unauffällig schaute Joseph Wolf auf seine Armbanduhr. Möglichst weit weg vom zugigen Windfang wuchtete er sich auf einen der hölzernen Barhocker. Die recht ungemütliche Sitzgelegenheit ermöglichte es immerhin beide Ellenbogen auf die Theke aufzustützen. Zu fortgeschrittener Stunde könnte das hilfreich sein.
„Was darf es sein?“
Die Wirtin stand abwartend vor ihm an seinem Platz in der Ecke und taxierte Joseph mit einem dieser Blicke, die alles und nichts bedeuten. Seinerseits schaute Joseph der jungen Frau nach einem kurzen Blick in die Augen ungeniert ins Dekolletee.
„Ein Bier und einen Schnaps. Brr ist das ungemütlich draußen.“
„Kommt sofort“
Nach gefühlten sieben Minuten stand das bestellte Getränk vor ihm. Die Bedienung markierte einen Bierdeckel und blieb einen Moment bei ihm stehen.
„Zum Wohl.“
Joseph kippte den Klaren in einem Zug hinunter und schob das Schnapsglas dann weit von sich. In seiner Kehle brannte das hochprozentige Gemisch wie Feuer.
„Noch einen Schnaps?“
„Uii, der hat Kraft. Einer langt, mir wird schon richtig warm“ entgegnete Joseph und schüttete einen kräftigen Schluck Bier in seinen Schlund um die Wirkung des Aufwärmers abzumildern.
Neue Gäste betraten den Schankraum. Männer in abgetragenen Schaffklamotten und einer verbeulten Ausführung fleckiger Filzhüte auf dem Kopf. Gleich steuerten sie ihre offenbar gewohnten Sitzplätze an. Nach einem kurzen Nicken in Richtung der Frau hinter dem Tresen brummte einer von ihnen
„Wie immer, aber nicht zu kalt, vertrage ich nicht so.“
Der Fernseher flimmerte. Es wurde Zeit für die Nachrichten. Jetzt begann die heiße Phase seiner Mission. Ein Regionalsender verbreitete die neuesten Meldungen aus dem Land. Joseph widmete sich seinem Bier und gab sich desinteressiert. Gespannt beobachtete er die Anwesenden.
„Lilli, mach`ma lauter. Horch zu, das ist doch der Dings, na du weißt schon.“ Die Nachrichtensprecherin war im ganzen Raum deutlich zu hören, als sie ihre Meldung über den Bildschirm schickte. Im Hintergrund eingeblendet das Konterfei von Karl Kronenberg. Eine Aufnahme aus früheren Jahren.
….hat sich der kurz vor seiner Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt Wittlich stehende Karl Kronenberg in der vergangen Nacht das Leben genommen. Nähere Hintergründe sind noch nicht bekannt.
In der Gastwirtschaft herrschte gespannte Aufmerksamkeit. Ungläubiges Staunen spiegelte sich in den Gesichtern der Anwesenden. Joseph Wolf wunderte sich über diese Reaktion. Offenbar handelte es sich bei