Stefan Zweig

Marie Antionette


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bleibt, nährt bei ihnen Schwatz und Kritik. Ein so mokanter Hof wie der französische begnügt sich natürlich nicht mit der bedauernden Feststellung des Mißgeschicks, sondern schnuppert unablässig um die Frage herum, in welcher Weise sich Marie Antoinette für das Versagen ihres Gatten schadlos halte. Sie sehen eine reizende junge Frau, selbstbewußt und kokett, ein temperamentvolles Geschöpf, in dem das junge Blut braust, und wissen, an welche jämmerliche Schlafhaube diese himmlische Liebhaberin geraten ist: nun beschäftigt das ganze müßige Türhüterpack nur eine Frage, mit wem sie den Gatten betrüge. Gerade weil es tatsächlich nichts zu berichten gibt, gerät die Ehre der Königin in frivoles Gerede. Ein Ausritt mit irgendeinem Kavalier, einem Lauzun oder Coigny, und schon haben ihn die müßigen Schwätzer zu ihrem Geliebten ernannt; eine morgendliche Promenade im Park mit den Hofdamen und Kavalieren, und sofort erzählt man von den unglaublichsten Orgien. Unablässig beschäftigt der Gedanke an das Liebesleben der enttäuschten Königin den ganzen Hof; aus dem Geschwätz werden Chansons und Libelle und Pamphlete und pornographische Gedichte. Erst stecken sich, hinter dem Fächer verborgen, die Hofdamen diese kantharidischen Verslein zu, dann summen sie frech aus dem Haus, werden gedruckt und geraten unter das Volk. Als dann die revolutionäre Propaganda beginnt, brauchen die jakobinischen Journalisten nicht lange nach Argumenten zu suchen, um Marie Antoinette als den Ausbund aller Ausschweifung, als schamlose Verbrecherin hinzustellen, und der öffentliche Ankläger braucht nur einen Griff in diese Pandorabüchse galanter Verleumdungen zu tun, um das schmale Haupt unter die Guillotine zu drücken.

      Über eigenes Geschick, Ungeschick, Mißgeschick reichen hier also die Folgen einer ehelichen Störung bis in das Weltgeschichtliche hinein: die Zerstörung der königlichen Autorität hat in Wahrheit nicht mit der Bastille, sondern in Versailles begonnen. Denn daß diese Nachricht von dem Versagen des Königs und die boshaften Lügen von der sexuellen Unersättlichkeit der Königin so rasch und so weit aus dem Schlosse von Versailles zur Kenntnis der ganzen Nation kamen, war kein Zufall, sondern hat geheime familien-politische Hintergründe. Es leben nämlich in diesem Palast vier oder fünf Personen, und zwar die nächsten Verwandten, die an der ehelichen Enttäuschung Marie Antoinettes persönliches Interesse haben. Vor allem sind es die beiden Brüder des Königs, denen es außerordentlich willkommen ist, daß durch diesen lächerlichen physiologischen Defekt und die Furcht Ludwigs XVI. vor dem Chirurgen nicht nur das normale Eheleben, sondern auch die normale Erbfolge zerstört wird, denn sie erblicken darin eine unerwartete Chance, selbst auf den Thron zu gelangen. Der nächstälteste Bruder Ludwigs XVI., der Graf von Provence und tatsächlich später Ludwig XVIII. – er hat sein Ziel erreicht, und Gott allein weiß, auf welchen krummen Wegen, – hat es nie verwinden können, als Zweiter zeitlebens hinter dem Thron stehen zu sollen, statt selber das Zepter zu halten; das Ausbleiben eines Thronerben würde ihn zum Regenten, wenn nicht zum Erben des Königs einsetzen, und seine Ungeduld ist kaum zu zügeln; da er aber gleichfalls ein zweifelhafter Gatte und kinderlos ist, hat auch der zweite Bruder, der Graf von Artois, Vorteil von der Zeugungsunfähigkeit seiner älteren Brüder, denn sie macht seine Söhne zu legitimen Thronerben. So genießen sie beide als Glücksfall, was das Unglück Marie Antoinettes ist, und je länger der grauenhafte Zustand dauert, um so sicherer fühlt sich ihre voreilige Anwartschaft. Darum dieser maßlose, dieser hemmungslose Haß, als im siebenten Jahre Marie Antoinette das Wunder plötzlicher Vermännlichung bei ihrem Gatten endlich zustande bringt und die eheliche Beziehung zwischen König und Königin völlig normal wird. Diesen furchtbaren Hieb, der alle seine Erwartungen niederschlägt, hat der Graf von Provence Marie Antoinette niemals verziehen; und was ihm nicht auf geraden Wegen zufallen wollte, hat er versucht, auf krummen zu erreichen: seit Ludwig XVI. Vater geworden war, wurden sein Bruder und seine Verwandten seine gefährlichsten Gegner. Die Revolution hat gute Helfer bei Hof gehabt, prinzliche und fürstliche Hände haben ihr die Türen aufgetan und die besten Waffen in die Hand gedrückt; diese eine Alkovenepisode hat stärker als alle äußern Ereignisse die Autorität von innen her zersetzt und zum Zerfall gebracht. Fast immer ist es ja ein geheimes Schicksal, welches das äußerlich sichtbare und öffentliche heranzieht, fast jedes Weltgeschehnis Spiegelung inneren persönlichen Konflikts. Ständig gehört es zu den großen Kunstgeheimnissen der Geschichte, aus mikrobischem Anlaß unabsehbare Folgerungen zu entwickeln, und es sollte nicht das letztemal sein, daß durch die vorübergehende sexuelle Störung eines einzelnen Mannes der ganze Kosmos in Unruhe geriet: die Impotenz Alexanders von Serbien, seine erotische Hörigkeit an seine Befreierin Draga Maschin, die Ermordung der beiden, die Berufung der Karageorgevitsch, die Verfeindung mit Österreich und der Weltkrieg sind eine ebenso unerbittlich logische Lawinenfolge. Denn aus Spinnweben flicht die Geschichte das unentrinnbare Netz des Schicksals; in ihrem wundervoll verkoppelten Triebwerk löst das kleinste Antriebsrad die ungeheuerlichsten Kräfte aus; so wird auch im Dasein Marie Antoinettes das Nichtige zum Gewaltigen, das scheinbar lächerliche Erlebnis der ersten Nächte und Ehejahre nicht nur formgebend für ihren Charakter, sondern für die Gestaltung der Welt.

      Aber wie weit noch in der Ferne ballt sich dieses drohende Gewölk! Wie ferne sind noch alle diese Folgerungen und Verstrickungen von dem kindischen Sinn dieser Fünfzehnjährigen, die mit ihrem ungeschickten Kameraden arglos spaßt, die mit einem kleinen, munter klopfenden Herzen und hell-neugierigen Augen lächelnd meint, die Stufen eines Thrones emporzusteigen, – und am Ende steht das Schafott. Aber wem sie das schwarze Los von Anbeginn zugeteilt, dem geben die Götter keine Zeichen und Winke. Ahnungslos unbefangen lassen sie ihn seinen Weg schreiten, und von innen wächst ihm das Schicksal entgegen.

      Debüt in Versailles

      Noch heute wirkt Versailles als die großartigste und herausforderndste Geste der Autokratie; ganz ohne sichtlichen Anlaß erhebt sich mitten im Lande abseits von der Hauptstadt auf einem künstlich errichteten Hügel ein riesiges Schloß und blickt mit Hunderten von Fenstern über künstlich geschaffene Kanäle und künstlich geschnittene Gärten ins Leere hinein. Kein Fluß, Handel und Wandel befördernd, strömt hier vorbei, keine Straßen, keine Bahnen treffen zusammen; völlig zufallshaft, die versteinerte Laune eines großen Herrn, hält dieser Palast seine sinnlos riesige Pracht dem verwunderten Blick entgegen.

      Dies gerade aber wollte der cäsarische Wille Ludwigs XIV.: seinem eigenen Selbstbewußtsein, seiner Neigung zur Selbstvergöttlichung einen schimmernden Altar errichten. Entschlossener Autokrat, machtherrischer Mensch, hatte er seinen Einheitswillen siegreich dem zerspaltenen Lande aufgezwungen, einem Reiche die Ordnung, einer Gesellschaft die Sitte, einem Hof die Etikette, einem Glauben die Einheit, der Sprache die Reinheit vorgeschrieben. Von seiner Person war dieser Vereinheitlichungswille ausgestrahlt, zu seiner Person sollte darum aller Glanz wieder zurückfluten. »Wo ich bin, da ist der Staat«, wo ich wohne, da ist der Mittelpunkt Frankreichs, der Nabel der Welt: um diese völlige Uneingeschränktheit seiner Stellung zu versinnlichen, verlegt der Roi-soleil seinen Palast mit Absicht weg von Paris. Eben indem er seine Residenz völlig ins Leere stellt, betont er, ein König von Frankreich brauche nicht die Stadt, die Bürger, die Masse als Stütze oder Folie seiner Macht. Genug, daß er den Arm ausstreckt und gebietet, und schon entstehen auch aus Sumpf und Sand Gärten und Wald, Kaskaden und Grotten, der schönste und mächtigste Palast; von diesem astronomischen Punkt, den seine Willkür eigenmächtig gewählt, geht von nun ab die Sonne seines Reiches auf und unter. Versailles ist erbaut, um Frankreich sinnfällig zu beweisen, daß das Volk nichts ist und der König alles.

      Aber schöpferische Kraft, sie bleibt immer nur an den Menschen gebunden, den sie erfüllt; nur der Kronreif vererbt sich, nicht die ihm eingeschlossene Macht und Majestät. Enge, gefühlsschwache und genießerische Seelen, nicht mehr gestaltende, erben mit Ludwig XV. und Ludwig XVI. den weiten Palast, das groß gegründete Reich. Äußerlich bleibt unter ihnen alles unverändert: die Grenzen, die Sprache, die Sitte, die Religion, die Armee; zu stark hat jene entschlossene Hand die Formen geprägt, als daß sie in hundert Jahren verlöschen könnten, aber bald fehlt den Formen der Inhalt, die glühende Materie des schöpferischen Triebes. Als Bild verändert sich Versailles unter Ludwig XV. nicht, nur an Bedeutung: noch immer wimmeln in prachtvollen Livreen dreitausend, viertausend Bediente in den Gängen und Höfen, noch immer stehen zweitausend Pferde in den Ställen, noch immer funktioniert in wohlgeölten Scharnieren der künstliche Apparat der Etikette bei allen Bällen, Empfängen, Redouten und Maskeraden, noch immer paradieren durch die Spiegelsäle und goldschimmernden Gemächer