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Venedig


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an einen efeuumrankten Riesenbungalow denken lässt. Es heißt, die oberen Stockwerke fehlten, weil den Bauherren im 18. Jahrhundert das Geld ausgegangen sei.

      Nach dem Zweiten Weltkrieg kaufte die Sammlerin Peggy Guggenheim das Anwesen und lebte hier in einem exzentrischen Durcheinander aus Meisterwerken und Nippes; ein Foto zeigt sie vor dem silbernen Bettschmuck, den sie bei Alexander Calder in Auftrag gegeben hatte. Heute sitzt in den ehemaligen Wohnräumen die Peggy Guggenheim Foundation . Rylands ist ihr Direktor.

      Peggy, wie der Brite die 1979 verstorbene Amerikanerin nennt, habe früh begriffen, wie effektvoll sich nicht realistische Kunst in Venedig in Szene setzen lässt. Vor dem Hintergrund der postkartenschön aneinandergereihten Palazzi wirkt ein Picasso in seiner kubistischen Zersplitterung bis heute provokant; wird René Magrittes Reich des Lichts – abendlich dunkle Häuserfassade unter taghellem Himmel – wieder zur Herausforderung für die Sinne.

      Rylands beobachtet in der Stadt eine paradoxe Wechselwirkung: Einerseits gebe Venedig der millionenfach reproduzierten Moderne ihre Aura zurück. Andererseits nehme die Moderne der Stadt ein wenig von ihrer Patina. »Ohne die neue Kunst wäre es unerträglich museal«, sagt er und schickt mich zu einer der besten Galeristinnen der Stadt, Michela Rizzo.

      Jahrelang hatte die Venezianerin in den Bäckerei- und Lebensmittelgeschäften ihrer Eltern gearbeitet, bis sie mit 36 beschloss, sich einem Philosophiestudium und der Kunst zu widmen. 2008 zog ihre Galerie in den Palazzo Palumbo Fossati am Campo San Maurizio. Reisende kennen den Platz, weil hier Händler einmal im Monat Kunst und Kitsch feilbieten.

      Rizzo mag’s größer. Zurzeit zeigt sie wandfüllende Fotos aus der Wüste Gobi und vom Aralsee. »Ich verkaufe an Sammler aus aller Welt«, sagt sie, »aber nie an Venezianer.« Die reichsten Bürger seien Gondolieri und Wassertaxifahrer, und die interessierten sich für Kunst nur, wenn sie an ihrem Transport verdienten. Rizzo zahlt Unsummen, um die Werke in die Lagune verschiffen zu lassen. Weil der Nimbus der sterbenden Stadt so viele Kunstfreunde anzieht, lohnt sich das trotzdem.

      Mein letztes Ziel ist der Palazzo Fortunyin der Nähe des Campo Sant’ Angelo. Der gotische Bau aus dem 15. Jahrhundert hat schon so manche Verwandlung durchgemacht: Zuerst Privathaus, dann Theater- und Konzertsaal, schließlich Wohnatelier und Wunderkammer des 1949 verstorbenen Tuchmachers und Universalkünstlers Mariano Fortuny.

      Nachdem Fortuny als junger Modemacher Schauspielerinnen wie Sarah Bernhardt und Eleonora Duse mit seinen golddurchwirkten Stoffen eingekleidet hatte, verlegte er sich auf den Entwurf von Theaterkulissen und Opernbühnen. Sein Palast ist heute ein Museum, in dem das Venedig-Prinzip, neue Kunst in alter Umgebung zu zeigen, auf die Spitze getrieben wird.

      Parallel zu den letzten Biennalen hat der Kunsthändler Axel Vervoordt eine wirkungsvolle Mischung aus Antikem und Zeitgenössischem in Fortunys genialisch vollgerümpelte Säle hineingebaut. Gemälde aus dem 17. Jahrhundert hingen neben japanischer Keramik aus der Edo-Zeit und Videokunst der serbischen Körperkünstlerin Marina Abramović. Einige der Arbeiten sind im Palazzo geblieben und konkurrieren nun mit Fortunys Tuchen, Bildern und Bühnenaufbauten.

      Ich sinke auf ein extralanges, altmodisches Sofa, um eine Skulptur von Günther Uecker zu betrachten. Dann heftet sich mein Blick auf eine Serie von Wasserflaschenfotos, denen ich nirgendwo sonst Beachtung schenken würde. Doch in diesem schwelgerischen Getümmel strahlen sie Ruhe und Alltäglichkeit ab.

      Gleich hinter dem langen Sofa führt ein Gang in eine Wunderkammer des amerikanischen Lichtkünstlers James Turrell. In dem Raum leuchtet nur ein rotes Rechteck. Das Rot ist aus purem Licht und wirkt so tief, als läge da noch eine zweite Welt hinter der Wand. Starrt man nur lange genug hin, so wandelt sich das Rot in Violett, wird blau, bis es wie eine farbige Masse aus der Wand herauszuquillen scheint. Und schon wieder komme ich ins Taumeln.

      Draußen ist die Wintersonne untergegangen. Wie Scherenschnitte ragen die Häuser in den Abendhimmel, der noch in einem satten Türkis leuchtet. Einem Türkis, das sich etwas dunkler im Wasser der Kanäle spiegelt. Ein Anblick von irrealer Schönheit. Er wirkt ganz ohne die geheimen Lampen des James Turrell.

      Heiter bis flauschig

      Im Hotel Giorgione ist die Belle Epoque immer noch lebendig.

       VON CHRISTIANE SCHOTT

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      Alle liebten Ilda, die anmutigste Venezianerin der Belle Epoque. Der Prinz von Neapel und spätere König Viktor Emanuel III. von Italien ließ sich von ihr betören. Auch Kaiser Wilhelm und der belgische König warfen in rauschhaften Ballnächten ein Auge auf die Kaufmannstochter. Und selbst den Göttern gefiel die venezianische Circe. Sie schenkten ihr 95 Jahre.

      Mehr als 30 Jahre nach ihrem Tod weht Ildas Geist weiter. Nur ein paar Hundert Meter hinter der Rialto-Brücke liegt ihr Hotel Giorgione, das sie der kurzen Ehe mit einem Casanova namens Gustavo Dolcetti verdankte. Heute führt Urenkelin Margherita Pasotto die Geschäfte. Doch die charismatische Ahnin zieht noch immer alle Blicke auf sich. Wer durch die gläserne Schwingtür die Lobby betritt, bleibt unwillkürlich vor dem Bild des Impressionisten Alessandro Milesi stehen, der Ilda im Profil malte.

      Über die Schulter hinweg lächelt sie uns zu – halb entrückt, halb lockend. Willkommen in Ildas Welt. Zur Begrüßung wird ein Espresso kredenzt, und man versinkt auf einem der bordeauxroten, mit Rubelli-Stoffen bezogenen Kanapees. Welch ein Fest fürs Auge ist dieses Foyer! Vergangene Jahrhunderte leben wieder auf, Solidität und Leichtigkeit bilden ein perfektes Paar. Unter dunklen Eichenbalken schweben Lüster aus Muranoglas. Ihr flirrendes Licht sprüht Funken auf vergoldeten Spiegeln und blitzblank gewachsten Terrazzoböden. In einer Vitrine leuchten mundgeblasene Vasen und Teller, gelb wie Capri-Sonnen. Bunte Majolika-Keramiken sind in den Schaufenstern zur Straßenfront hin ausgestellt – Bonbonnieren und Pralinenschalen in Blütenform, die an die Vorgeschichte des Hauses erinnern. Bevor die Dolcettis als Gastgeber Karriere machten, handelten sie mit Süßigkeiten. Hier, wo nun Urlauber mit ihren Rollköfferchen einlaufen, befanden sich die Lagerräume.

      Die verwinkelten Flure im ersten und zweiten Stock gleichen heute einem begehbaren Fotoalbum. An den Wänden hängen die verblichenen Bilder von der jungen Ilda und ihren Söhnen, vom Gatten Gustavo, dem Liebling der Signoras. Prominenz grüßt aus faltenfreier Zeit herüber: das kindlich anmutende Ehepaar Jagger auf Gondelfahrt, die Bardot als Barfuß-Mädchen mit beiden Beinen in der Lagune. »Bei uns braucht bald keiner mehr zum Baden an den Lido zu fahren«, sagt die Direktorin Margherita Pasotto. Das Hotel habe endlich eine Genehmigung für den Umbau des Springbrunnens im Innenhof bekommen. So werden die Hotelgäste demnächst den ersten Swimmingpool der Inselstadt genießen können.

      Margherita schließt die Türen zu den Zimmern auf, die mal groß wie Gemächer sind, mal kuschelig wie Boudoirs, eingerichtet im Schnörkelstil des 18. Jahrhunderts und trotzdem zeitgemäß. Moderne Marmorbäder, Flachbildschirm und Minibar gehören auch in den zweistöckigen Refugien unterm Dach zur Grundausstattung. Dort führt eine dunkle Holztreppe vom Salon in die Schlafetage und zu einer Terrassentür, hinter der sich ein Altan auftut. Auf solchen Logenplätzen ließen sich früher die Damen von der Sonne die Haare bleichen. Leuten von heute sei bei gutem Wetter empfohlen, ein Fläschchen Prosecco zu bestellen und sich entspannt zurückzulehnen. Leider wabert gerade der Nebel durch die Lagune. Außerdem haben wir keine Maisonette-Wohnung reserviert. Unser Zimmer fällt eher in die Kategorie Boudoir, bewährt sich aber als fürstliche Schlafmuschel mit Kingsize-Bett und üppig drapierten Seidenvorhängen.

      Heiter wie die Kunst ist das Leben im Giorgione. Wer eine geruhsame Nacht verbracht hat, zum Frühstück am weiß gedeckten Tisch einen frisch aufgebrühten Darjeeling serviert bekommt, startet beschwingt in den Tag. Im Speisesaal fällt mildes Licht auf ein flächendeckendes Wandbild in Pastellfarben. Einer, der das Leben für schwerelos und luftdurchlässig hielt, hat es geschaffen: Zwei Kinder sitzen in einem Boot, blicken über den glatten Wasserspiegel der Lagune in die Ferne, wo sich der Markusturm aus dem Dunst erhebt. Als wären sie Venedigs erste Touristen, so hocken sie da.

      Ähnlich einzigartig fühlt sich der Gast im Giorgione. Nach