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London


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ist Britin. »Und weil mein Vater natürlich nicht für uns kochte, bin ich mit englischer Küche aufgewachsen.« Der beste Hintergrund, sollte man meinen, für Chicken Tikka Masala. Aber Prasad ist kein Freund der Tomatensuppen-Theorie. Er kennt das Gericht aus Indien, bloß unter einem anderen Namen, weshalb es als Murgh Makhani (Butterhuhn) auf der Karte des Tamarind steht. Also doch alles authentisch, kein Zugeständnis an den englischen Gaumen? »Nur eine, das Fleisch. Ich halte es saftig. Was man in Indien als gar empfindet, nennen die Briten ›ermordet‹.«

      Prasad brät die Stücke aus dem Tandur nur leicht in Butter an. Dann kommen die Gewürze. Viele Gewürze. Spätestens das giftgrüne Bockshornkleepulver würden die meisten Europäer nicht mal erkennen. »Dabei ist gerade das ganz wichtig. Aber es stimmt schon: Für Chicken Tikka Masala gibt es so viele Rezepte, wie es Köche gibt. Und jeder ist überzeugt davon, seins sei das einzig Wahre.«

      Dass das von Prasad zu den wahrsten gehört, glaubt man, wenn man es probiert hat. Das Gericht sieht zwar wie braunes Gulasch aus, seit er Tomatenpüree (nicht aus der Dose) und einen Klecks Sahne eingerührt hat. Aber es schmeckt gar nicht eintopfig, sondern verblüffend komplex. Als wäre man über den Markt geschlendert und hätte an allen Ständen genascht. Tatsächlich hat CTM ja auch ein bisschen von allem. Es ist gebraten und gekocht, scharf und cremig, rauchig und fruchtig, knusprig und saftig, orientalisch und englisch. Prasad hat beobachtet: »Sogar die Kinder finden es yummy.«

      Nicht dass man im Tamarind so viele Kinder sähe. Das elegante Souterrain-Restaurant gehört in die Kategorie »Indian Fine Dining«, was bedeutet: Es hat mit dem gemeinen indischen Lokal um die Ecke so viel zu tun wie der »Edel-Italiener« bei uns mit einer Pizzeria.

      Der soziale Aufstieg des Chicken Tikka Masala erfolgte nicht gleich mit seiner Adoption. Auf britischen Speisekarten steht es seit etwa vierzig Jahren. Manches deutet darauf hin, dass London der Ursprung war. Vielleicht aber auch Birmingham oder Glasgow – eine Industriestadt jedenfalls. Dort bildeten sich damals Parallelgesellschaften aus Flüchtlingen vom indischen Subkontinent. Sie betrieben Lebensmittelläden und einfache Imbisslokale. CTM, das aßen Londoner über Jahrzehnte am liebsten in den eigenen vier Wänden. Heimgetragen vom Take-away und aus der Aluschale gelöffelt, während im Fernsehen Coronation Street lief.

      Viele derer, die es kochten, stammten gar nicht aus Indien, sondern aus den Bürgerkriegsgebieten von Pakistan und Bangladesch – und hatten vor ihrer Einwanderung mit Küchenarbeit nicht viel zu tun. »Ich bin ihnen dankbar«, sagt Alfred Prasad, der Sternekoch. »Sie waren die Pioniere.« Seine engsten Mitarbeiter stammen aus Nepal und Pakistan.

      Prasad freut sich über jede Portion CTM, die in Großbritannien über den Tresen geht. Auch über die krudesten Versionen mit Fertigcurrypulver und Farbstoff. Für ihn sind das keine Pfuschereien, sondern Stufen auf dem Weg zu einer indischen Küche, die immer besser, immer ursprünglicher wird. »Mein erster Chef in London sagte noch: ›Lass den Chili weg, den mögen sie hier nicht.‹ Heute habe ich hier Gäste, denen es gar nicht scharf genug sein kann.«

      Es war gewiss nicht Cooks Rede allein, die der indischen Küche zu solchem Respekt verhalf. Aber vielleicht das, was ihr zugrunde lag: eine Öffnung der Gesellschaft. Denn zur selben Zeit wandelte sich der Londoner Geschmack. »Anfang der 2000er«, erzählt Alfred Prasad, »begannen die Restaurantführer, uns wahrzunehmen.« Uns, das waren die Exoten: Inder, Chinesen, Japaner, Thai. Küchen, die schwer zu bewerten sind, weil sie anderen Regeln folgen. Ausgerechnet der konservative Michelin tat sich hier hervor. Den 29-jährigen Prasad machte er damals zum weltweit jüngsten indischen Sternekoch. In seiner aktuellen Ausgabe für London tragen schon fünf indische Restaurants einen Stern.

      Diese Häuser haben buchstäblich ihren Platz in der Mitte der englischen Gesellschaft gefunden, geradezu demonstrativ weit weg von den Migrantenvierteln im Osten: das Tamarind in Mayfair, das Rasoi in Chelsea, das Amaya in Knightsbridge... Die meisten der jüngeren Küchenchefs geben sich mit CTM schon gar nicht mehr ab. Sie kombinieren frech das Chicken Tikka mit Oliven oder englischem Senf. Machen Kebab aus Stilton-Käse und garen Hirsch im Tandur.

      International waren die besten Restaurants von London schon immer; nur gerade dadurch nicht so spannend für Besucher vom Festland. Frankophile und Italophile teilten die Stadt unter sich auf. Gordon Ramsay oder Jamie Oliver, wenn man nur die bekanntesten Namen nennen will. Das wirklich Unverwechselbare ist jetzt von weiter her gekommen. Vielfalt – ob als Schnupperportion CTM oder als indo-englisches Crossover für Menschen, die schon alles kennen. Nirgendwo in Europa kann man derzeit weiter über den Tellerrand blicken als in London. Die zwei Männer mit der Tomatensuppe, sie hätten einen Orden verdient.

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