der einzelnen Kapitel gibt die Meinung der Autoren wieder.
Ziel dieses Buches ist es, Proktologen, Chirurgen, Gastroenterologen, Allgemeinärzten, Dermatologen, Urologen und Gynäkologen die wissenschaftlichen Erkenntnisse gebündelt zu vermitteln. Besonderer Wert wurde auf die Darstellung aller unterschiedlichen Methoden der konservativen und operativen Therapie gelegt. Jedes einzelne Verfahren wird ausführlich besprochen und, wenn möglich, auch evaluiert.
Aachen, Münster und Saarbrücken, 2012
Volker Wienert, Aachen Franz Raulf, Münster Horst Mlitz, Saarbrücken
1. Anatomie des Anorektums
Das Fissurleiden manifestiert sich im kaudalen, dem sogenannten anatomischen Analkanal; deshalb ist es wichtig, die Kompartimente darzulegen, die den Analkanal bilden. Zusätzlich sind aber auch die nervalen Strukturen zu erwähnen, da ein erhöhter Sphinktertonus – vielfach unterstellte Ursache der Fissur – dann als Folge gestörter Reflexabläufe erklärt werden könnte.
Entwicklungsgeschichtlich grenzen im Analkanal Ektoderm und Entoderm aneinander. Der sogenannte anatomische Analkanal wird vom Ektoderm ausgekleidet; er endet in Höhe der Linea dentata. Diese ist aufgrund der Einziehungen der Kryptenlinie makroskopisch zu erkennen und so topografisch festgelegt. Der chirurgische Analkanal umfasst darüber hinaus den proximal dieses Bereichs gelegenen entodermalen Anteil bis in die Höhe des anorektalen Rings. Dort erweitert sich der Canalis analis zur Ampulla recti. Das Anorektum gewährleistet die Kontinenzfunktion des Darms.
Muskuläre Anteile des Kontinenzorgans
Die muskulären Anteile des Kontinenzorgans umgreifen den Analkanal in einer Weise, die man sich am ehesten als zwei ineinandergesteckte Hohlzylinder vorstellen kann. Die innere Schicht besteht aus dem M. sphincter ani internus als Fortsetzung der Ringmuskulatur des Rektums. Dabei handelt es sich um glatte Muskulatur, die aufgrund einer Aganglionose zu einer Dauerkontraktion fähig ist und so den Analkanal geschlossen hält. Druckmessungen zeigen, dass er ca. 70 % des Ruhetonus leistet. Unter Spinalanästhesie mit entsprechender Ausschaltung der quer gestreiften Muskelanteile bleibt das Ruhedruckprofil des Analkanals im Wesentlichen unverändert. Dies unterstreicht die Bedeutung des M. sphincter ani internus als essenziellen Kontinenzfaktor. Andererseits ermöglicht er durch seine reflektorische Relaxation bei Dehnung der Ampulle die Defäkation.
Der M. sphincter ani internus wird im kaudalen Anteil des Analkanals vom quer gestreiften M. sphincter ani externus umschlossen. Ähnlich der quer gestreiften Skelettmuskulatur ist dieser zu einer – allerdings nur kurzzeitigen – Maximalkontraktion im Sinne einer willkürlichen Aktion fähig. Nach kranial schließt sich der ebenfalls quer gestreifte M. puborectalis an, der entwicklungsgeschichtlich dem untersten Teil des M. levator ani entspricht. Er umgreift das distale Rektum von dorsal wie eine Schlinge, wobei er dessen ventrale Anteile ausspart und mit breiten, sehnigen Ansätzen am Os pubis inseriert. Die Kontraktion dieses Muskels führt zu einem queren Verschluss des oberen Analkanals durch Ventralisation der Hinterwand des unteren Rektums im Sinne eines Quetschverschlusses (»Grobkontinenz«).
Epitheliale Anteile des Kontinenzorgans
Die epitheliale Auskleidung des Anorektums besteht aus drei Anteilen, wobei insbesondere das Epithel des distalen Teils, also des anatomischen Analkanals, für die Kontinenzfunktion bedeutsam ist. Hier liegt das trockene, nicht verhornende Plattenepithel des Anoderms, das aufgrund seiner intensiven Versorgung mit sensiblen Nervenendigungen in der Lage ist, die unterschiedlichen Aggregatzustände des Mastdarminhalts zu differenzieren. Oberhalb der Dentatalinie, im aus dem Entoderm stammenden Anteil des chirurgischen Analkanals, findet sich ein Zylinderepithel, das in seinem Aufbau der Rektumschleimhaut ähnlich ist. Zwischen diesen beiden Bereichen liegt die individuell unterschiedlich breit ausgebildete Zone des sogenannten Übergangsepithels (Transitional-zellbereich), das ebenfalls sensibel innerviert ist. Histologisch zeigt es einen zylindrischen Aufbau. Makroskopisch imponiert das Transitionalzellepithel weißlich gegenüber der rötlich schimmernden Mukosa oberhalb, die nicht sensibel versorgt ist.
Subepitheliale Anteile des Kontinenzorgans
Unmittelbar subepithelial gelegen findet sich im oberen Analkanal unter der Schleimhaut das Corpus cavernosum recti. Hierbei handelt es sich um venöse Gefäßpolster, die bei jedem Menschen vorhanden sind und die umgangssprachlich als »Hämorrhoiden« bezeichnet werden (Aigner et al. 2006, 2009, Engelhardt et al.). Der arterielle Zustrom zu diesem Gefäßgeflecht erfolgt im kranialen Anteil in der Tunica submucosa vor allem über Äste der A. rectalis superior. Die venösen Abflüsse verlaufen sowohl submukös zum Teil in die V. rectalis superior als auch in die Venenstämme der Vv. rectalis mediae, wobei sie ihren Weg durch den M. sphincter ani internus nehmen. Die quasi permanente Kontraktion dieses Muskels zur Aufrechterhaltung der Kontinenz führt so zu einer partiellen Behinderung des venösen Abflusses bei gleichzeitig ungestörtem arteriellem Zufluss. Hierdurch werden die Gefäßpolster aufgestaut und dichten so das Lumen des oberen Analkanals wirkungsvoll ab (»Feinkontinenz«). Die kaudalen Anteile der Äste der A. rectalis superior durchziehen die muskuläre Rektumwand in gerader Richtung und erreichen das Corpus cavernosum recti ohne submukösen Verlauf (Aigner et al.). Zusätzlich bestehen auch arterielle Zuflüsse zum Corpus cavernosum recti aus der A. rectalis media, sodass aufgrund dieser redundanten Gefäßversorgung die Schwellkörperfunktion unter allen Umständen gewährleistet ist.
Nervale Anteile des Kontinenzorgans
Die verschiedenen Funktionsbereiche des Kontinenzorgans sind durch nervale Strukturen untereinander sowie mit übergeordneten Nervenzentren vernetzt (Raulf). Während der M. sphincter ani internus autonom ist und über Dehnungsrezeptoren in der Rektumwand und im M. puborectalis gesteuert wird, erhalten die quer gestreiften Muskelanteile ihre somatische Innervation aus dem untersten Lumbalplexus und dem Sakralmark. Anatomisch bedeutsam ist der Verlauf der Äste des N. pudendus, die im Beckenbodenniveau von lateral an die quer gestreifte Muskulatur heranziehen. Die Nervenäste verlaufen dabei etwa bei 2, 4, 8 und 10 Uhr innerhalb der Fossa ischiorectalis. Bei dieser Orientierung ist der Anus in Analogie zur Uhr so zu sehen, dass 6 Uhr der dorsalen Zirkumferenz, also der Richtung auf die Steißbeinspitze, entspricht.
Abb. 1 Anatomie des Anorektums (schematisch, nach Wienert, Mlitz)
LITERATUR
Aigner F, Bodner G, Gruber H et al.: The vascular nature of hemorrhoids. J Gastrointest Surg 10, 1044–1050, 2006
Aigner F, Gruber H, Conrad F et al.: Revised morphology and hemodynamics of the anorectal vascular plexus: impact on the course of hemorrhoidal disease. Int J Colorectal Dis 24, 105–113, 2009
Engelhardt V, Lametschwandtner A, Böhler U et al.: Microangioarchitecture of haemorrhoids. A scanning electron microscopy study of vascular corrosion casts. Phlebologie 39, 12–17, 2010
Raulf F: Funktionelle Anatomie des Anorektums. Hautarzt 55, 233–239, 2004
Wienert V, Mlitz H: Einführung in die Proktologie. Schattauer Verlag, Stuttgart, 1995
2. Definition der Analfissur
Es wird unterschieden zwischen den primären – akut oder chronisch – und den sekundären Fissuren; dabei handelt es sich um Läsionen im unteren Analkanal. Sekundäre Fissuren entstehen im Rahmen einer Grunderkrankung, primäre als lokale Entität.
Die Fissur ist ein schmerzhafter, strich- bis spindelförmiger, längs verlaufender Defekt im hochsensiblen Anoderm. Häufig bedingt sie einen reaktiven Sphinkterhypertonus, der möglicherweise eine verminderte Durchblutung mit venöser Stase auslöst. Sie findet sich im Anoderm zwischen Linea dentata und Analrand.