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Annegret Achner
Kanarische Impressionen
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Inhaltsverzeichnis
Kanarische Impressionen
Annegret Achner
Text Copyright © 2014 Annegret Achner
Titelbild Copyright © 2014 Lutz J. Koch
Alle Rechte vorbehalten
Teno Alto
Amigas
Niemand versteht ein Wort. Die junge Frau mit dem zerrissenen T-Shirt und den von Dornen aufgerissenen Knien schluchzt und stammelt in einem Gemisch von Deutsch und Spanisch unverständliche Worte. Sie ist durch die Tür in der kleinen Bar am Dorfrand von Teno Alto gestolpert und hält sich am Tisch fest. Ihre Stimme überschlägt sich, Rotz läuft ihr aus Augen und Nase, die schwarzen kurzen Haare kleben am Kopf.
»Mi amiga«, versteht man. »Hilfe” und »help«. Sie stampft mit dem Fuß auf, fuchtelt mit den Armen. »Rapido, rapido.«
Die wenigen Männer am Tresen haben sich umgedreht und starren sie an wie eine Erscheinung. Nur die Wirtin reagiert, wischt ihre Hände an der Schürze ab, kommt hinter der Theke hervor, zieht einen Stuhl heran und drückt die junge Frau darauf nieder.
»Calma-te, chica, calma-te«, sagt sie und streicht der hysterisch schluchzenden Frau über die Schulter. »Que pasó?« Doch Spanisch kann die Fremde nicht.
Die Männer haben sich aus ihrer Erstarrung gelöst. »Deutsch? English?« Ein dicker, freundlicher Spanier hat sich vor sie hingekniet und hebt mit einer ungeschickten, aber freundlichen Bewegung ihr Kinn an.
»Deutsch«, stößt die junge Frau heraus. »Ich bin Deutsche.«
»Un momento«, sagt der Mann. Ein paar wie mit dem Maschinengewehr herausgefeuerte Worte, und ein junger Kerl nickt und spurtet davon, um nach einigen Minuten mit einem älteren Spanier im Schlepptau zurückzukommen.
»Ich bin Juan. Ich spreche Deutsch. Beruhigen Sie sich. Was ist passiert? «
»Meine Freundin. Sie ist abgestürzt. Oben auf dem Baracán. Sie ist die Schlucht hinuntergestürzt. Wir müssen sie suchen. «
Die junge Frau hat die Hände vors Gesicht geschlagen und weint fassungslos. »Ich habe sie noch gewarnt. Pass auf, habe ich gesagt. Geh nicht so nah an den Rand, habe ich gesagt. Und dann, und dann.. «
Der Mann hat schon sein Handy gezückt und drückt 112.
»Sie schicken einen Hubschrauber«, sagt er und winkt die Männer energisch heran. »Vamos«, sagt er, und der Trupp setzt sich in Bewegung Richtung Baracán. Die junge Deutsche will aufspringen, sich anschließen, doch die Wirtin schüttelt den Kopf und hält sie fest. » Muy peligroso«, sagt sie und zieht sie zu einem alten, verschlissenen Sofa. Bringt ihr ein Glas Rotwein. »Bebe«, sie hält ihr das Glas an die Lippen.
Doris nimmt ein paar Schlucke, legt den Kopf zurück, schließt die Augen.
Das Ende ihrer Träume? Mit wie viel Hoffnung und Lebensmut waren Marita und sie vor einem halben Jahr nach Teneriffa gekommen. Der Start in ein neues Leben. Marita hatte es endlich geschafft, sich aus einer lähmenden Ehe zu befreien. Ein Jahr lang hatten sie sich nur heimlich treffen können, aber nun wollten sie endlich ihr Glück leben. Wie schön Marita war mit ihren dicken blonden Haaren, den schräg stehenden braunen Augen und einem Lächeln, das ihr Gesicht leuchten ließ. Auswandern nach Teneriffa wollten sie, eine eigene Existenz gründen, fern von den bürokratischen Zwängen in Deutschland. Massagen würden sie anbieten in einem der vielen Wellness-Hotels auf der Insel, Ayurveda-Massagen und Yoga und Nordic Walking. Monatelang hatten sie sich vorbereitet, Fortbildungskurse besucht.
Doris hatte ihren Beamtenstatus gekündigt, die Sportstunden an einem Bremer Gymnasium ödeten sie schon lange an. Marita hatte Kunstgeschichte studiert und Tanz. Ihr gemeinsames Angebot im Tourismusgeschäft würde riesig sein, der Erfolg vorprogrammiert. Sie mussten sich nur trauen. Und sie trauten sich. Doris schluckte. Ja, trauen lassen wollten sie sich auch. Ein gemeinsames Leben im ewigen Frühling auf den Kanaren.
Drei Wochen war es her, dass sie zu dieser Party eingeladen waren, die ein spanischer Maler in Santa Cruz in seiner Villa gab. Eine Freundin hatte sie mitgeschleppt. Und dann passierte, was nicht passieren durfte. Der Maler umkreiste Marita von Anfang an. Lächelte, sprühte vor Charme, entzückte sie mit seinem Spenglisch, wickelte sie ein. Später trafen sie sich heimlich. Anfangs hatte Marita wohl nicht den Mut, Doris zu beichten, dass sie sich unsterblich verliebt hatte. In einen Mann. In einen spanischen Macho. Doris war wie vom Donner gerührt. Alles hätte sie sich vorstellen können, nur nicht diesen Verrat. Den Verrat an ihrer Liebe. Den Verrat an ihrer gemeinsamen Zukunft.
Sie weinte, schrie, tobte. Gab schließlich auf. Der Aufenthalt auf Teneriffa war ihr verleidet. Sie packte die Koffer. Nur eine Bitte habe sie, ehe sie abreise. Eine letzte gemeinsame Wanderung. Zur Versöhnung. Sie wolle sich in Freundschaft trennen. Marita stimmte zu. Hatte ein schlechtes Gewissen. Mochte der Freundin diesen Wunsch nicht abschlagen.
Und so fuhren sie noch im Grau des frühen Herbstmorgens von Puerto de la Cruz aus ins Teno-Gebirge. Parkten den Wagen in El Palmar, stiegen mit leichtem Gepäck auf. Der Barancán war ein schwieriger Berg. Elende Kraxelei, das wussten sie. Aber die Warnungen im Reiseführer schlugen sie in den Wind. Zwei sportliche, durchtrainierte Frauen. Was konnte ihnen schon passieren? Das Wetter war perfekt. Die Morgenkühle angenehm. Zügig kamen sie voran. Ließen die künstlich bewässerten Terrassenfelder hinter sich. Dann wurde der Weg karger. Es gab noch vereinzelte Feigenkakteen an den Rändern, deren Früchte rötlich und faulig vor sich hinmoderten. Überall schwarzes Lavageröll. Auch die Steilhänge der Schlucht waren nicht länger grün bewachsen, sondern dunkel und abweisend in ihren Braun- und Grautönen.
Auf dem Gipfel dann eine Sicht, die ihnen den Atem nahm. Endlos der Atlantik, rollende Schaumkronen, La Gomera zum Greifen nahe. Hinter ihnen der Teide, die Konturen des Kraters überdeutlich im Blau des Himmels. Unter ihnen die schroffen Felsen des Barrancos von Masca, durch die sie noch vor zwei Monaten hinabgestiegen waren zum steinigen schwarzen Strand.