Karl Zbigniew Grund

In den Häusern der Irren


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die Worte. Kann nur hoffen, dass der Alptraum nicht zu lange dauert.

      Endlich bekomme ich meine Sport-Klamotten gebracht. Auf die Gitarre muss ich noch warten. Dafür bekomme ich auch ein paar Bücher ausgehändigt.

      Die ersten Ausgänge erfolgen in einem kleinen Hinterhof. Ganz allein darf ich einige kurze Runden drehen. Es macht wenig Spaß, aber Hauptsache Bewegung. Natürlich werde ich beobachtet. Ich versuche unauffällig die Höhe der Mauern einzuschätzen. Nicht besonders hoch, spiele schon automatisch paar Gedanken durch, wie man hier notfalls abhauen könnte. Für den Notfall. So einfach scheint es nicht zu sein. Aber wahrscheinlich doch möglich.

      Danach geht es wieder ab in die Gummizelle. Immerhin habe ich inzwischen etwas zum Lesen. Trotzdem ist es nicht ganz so leicht, mit dieser beschissenen Situation klar zu kommen. Ist ja schlimmer wie im Knast. Wenn ich hier noch länger bleiben sollte, dann habe ich wohl einen ganz schlechten Tausch gemacht. Aber noch kann ich nicht glauben, dass mein Aufenthalt hier wesentlich länger dauern könnte. Die durften mich keine Minute länger im Knast behalten und so sieht jetzt die Notlösung aus. Mein Anwalt hatte es vorhergesehen, dass es auf eine Notlösung hinauslaufen würde. Persönlich habe ich ihn nicht kennengelernt. Meine Frau hatte ihn ausgesucht. Ein Fachmann für den Maßregelvollzug und ziemlich teuer. Er hatte paar Schreiben an bestimmte und richtige Stellen in der Justiz aufgesetzt, die aber direkt erfolgreich waren. Für mich ist es immer noch das kleinere Übel, wenn es nicht all zu lange dauert. Wenn meine Akten kommen, werden sie mich bestimmt anders behandeln, wage ich zu hoffen. Vorerst muss ich aber noch hier bleiben. Natürlich ist meine Unterbringung in diesem Haus unzulässig. Aber eine Beschwerde will ich nicht riskieren. Vielleicht kommen die dann notfalls auf die Idee, die Reihenfolge der Vollstreckung bei mir abzuändern. Dann müsste ich zuerst paar Jährchen im Knast verbringen und würde irgendwann in die Psychiatrie verlegt. Das soll tatsächlich möglich sein. Solche Ideen und Möglichkeiten möchte ich auf keinen Fall provozieren.

      Irgendwann wird dann ein Platz in einem Gemeinschaftsraum frei. Genauer gesagt sind es direkt zwei Plätze, die plötzlich freigeworden sind. Es waren zwei Insassen, die miteinander Schach spielten, bekomme ich später zu hören. Der eine konnte nicht gut verlieren, wurde richtig sauer und schnitt seinem Gegner nach dem verlorenen Spiel kurzerhand den Hals auf. Mit einer Art Säge, selber zusammengebastelt. Gut die Halsschlagader getroffen, soll reichlich Blut geflossen sein, aber wahrscheinlich ohne Todesfolge, wie man sich hier erzählt. Genauer weiß ich es nicht, weil sie hier auch keinem etwas sagen, die Pfleger. Danach werden sie den Übeltäter und schlechten Verlierer sicherlich gut fixiert und weg gespritzt haben. Und höchstwahrscheinlich wird er so bald kein Schach mehr spielen. Solche Vorfälle sind hier wahrscheinlich gar nicht mal so selten. Darüber wird man draußen bestimmt nie etwas zu lesen bekommen. Nur besondere Vorfälle müssen gemeldet werden. Wenn es einige Tote gibt, wie vor kurzen in einer anderen Klinik. Da sind bei einem Brand mehrere Patienten qualvoll verbrannt und erstickt. Das wird dann schon untersucht und darüber wird berichtet. Oder wenn besonders gefährlichen Psychopathen die Flucht gelingt. Die müssen schnell wieder eingesammelt werden. Einige besondere Patienten schaffen es auch, eine Beziehung zu einer Therapeutin oder Angestellten aufzubauen. Kommt öfter vor als man es sich vorstellt. Hierbei scheint auch die Tat des Untergebrachten keine große Rolle zu spielen. Sexualstraftäter und sogar Serienkiller üben anscheinend einen gewissen Reiz auf bestimmte Frauen aus. Nicht selten und je nach Bekanntheitsgrad bekommen die besonderen Verbrecher zahlreiche Briefe und Heiratsangebote. Eine gute Bekannte und Freundin von mir hat sich vor einigen Monaten in einen Sexualmörder verknallt. Verstehen und erklären kann sie es angeblich selber nicht. Den Mann habe ich kurz in der Haftanstalt kennen gelernt. Auf mich wirkte er ziemlich gewalttätig, rastet schnell aus. Ansonsten hat er 12 Jahre für Totschlag und anschließende Sicherheitsverwahrung als Strafe bekommen. Er muss also schon öfter aufgefallen sein. Im letzten Fall hat er die Freundin seines Vaters vergewaltigt und umgebracht. Meine sozial engagierte Freundin konnte mir nicht erklären, wieso und warum sich da tiefer gehende Gefühle bei ihr entwickelt haben. Sie versteht es auch nicht, fühlt sich innerlich zerrissen und wie ferngesteuert zu ihm hingezogen. So etwas soll es geben. Mir hat sie es im Vertrauen mitgeteilt, weil wir uns so ziemlich alles erzählen. Wir gehen sehr offen miteinander um. Anscheinend werden wir alle viel stärker als gedacht vom Unterbewusstsein gesteuert und gelenkt. Meine Freundin ist recht attraktiv, intelligent und vor allem sehr einfühlsam. Ich bin zwar verheiratet und mag meine Frau, aber mit ihr würde ich auch gerne mal etwas Sex machen, um die Beziehung noch weiter zu vertiefen. Da war sie vor geraumer Zeit auch nicht abgeneigt, hatte aber doch Bedenken, welche Auswirkungen es auf unsere Freundschaft haben könnte. Ja, und jetzt diese seltsame Geschichte, die ich einfach für verrückt halte. Wie lange will sie denn auf ihn warten. In den nächsten 15 Jahren wird er bestimmt nicht entlassen. Die beiden könnten höchstens die Liebeszelle in Anspruch nehmen, aber auch das wird sich noch hinziehen, weil er ja noch vorher den Segen des Psychologen und Anstaltsleiters bekommen muss. Einfach wird es nicht sein, da keiner ein Risiko eingehen will. Das ist schon eine verrückte Angelegenheit. Wie kann man sich in einen solchen Psycho verlieben. Ich glaube aber nicht, dass sie es noch sehr viel länger aushält. Liebe macht blind und ist oft rational nicht zu erklären, würde ich mal behaupten. Also, umgekehrt könnte ich mir auch vorstellen, mich in eine schöne und interessante Mörderin zu verlieben, kommt auf die Umstände an. Ich müsste den Mord und die Umstände nachvollziehen können.

      Der Gemeinschaftsraum ist noch halbwegs akzeptabel, geräumiger als eine Gemeinschaftszelle und mit einer Toilette, die aber einsehbar ist. Intimsphäre ist hier wohl überhaupt nicht angesagt. Es gibt hier einen Fernseher, Tisch und Stühle und durch eine Klappe in der Tür bekommt man tagsüber auch das Essen durch gereicht. Der Fernseher läuft natürlich durchgehend und die Programmauswahl ist schwer gewöhnungsbedürftig. Irgendein Schwachsinn für Kinder, Hauptsache bewegte Bilder und volle Lautstärke. Das muss ich noch ein wenig abändern, sonst bekomme ich die Krise. Zuerst halte ich mich noch zurück, muss die Situation richtig einschätzen.

      Wenig später werde ich dann auch noch in eines der Dreierzimmer verlegt. Bin aber darüber nicht wirklich erfreut. So übel meine Gummizelle auch war, dort hatte ich zumindest weitgehend meine Ruhe. Damit ist es vorerst vorbei. Einer der Mitbewohner ist Afrikaner, der ansonsten kaum redet, aber dafür fürchterlich schnarcht. Mein zweiter Zimmerkollege ist zwar ansprechbar, redet aber auch nur wirres Zeug. Ist aber nicht ganz daneben. Immerhin bindet er dem Afrikaner abends vor dem Schlaf ein Band um den dicken Zeh. Wenn das Schnarchen zu laut wird, dann braucht er nur an dem Band zu ziehen und der andere gibt dann eine Zeitlang Ruhe. Abends werden ganz penibel alle Feuerzeuge eingesammelt, damit keiner auf dumme Gedanken kommt. Bei all den vielen Feuerteufeln ist es sicherlich eine notwendige Maßnahme. Ich besorge mir trotzdem irgendwie ein zweites Feuerzeug, weil ich abends und nachts gerne rauche. Tagsüber muss ich mich in diesem Gemeinschaftsraum aufhalten. Meine drei Mitpatienten sind alle auf Haldol und andere Medikamente eingestellt. Das Zeug hat Auswirkungen auf die Motorik und verändert einiges im Gehirn. So bin ich schon froh, dass ich keine Psychopharmaka einnehmen muss, aber für manche scheint es die einzige mögliche Hilfe zu sein. Hier in diesem Haus sind die Insassen nicht selten dauerhaft eingesperrt. Die meisten werden wohl nie die Freiheit erleben. Will auch nicht wissen, wie viele unbequeme Zeitgenossen einfach für wahnsinnig erklärt und dann für immer weg gesperrt werden. Hier entscheiden auch nur die Ärzte, ob man überhaupt noch raus kommt oder nicht. Die Richter in weiß. Unruhige Patienten werden schnell wieder beruhigt. Wenn einer tobt, dann sind die Pfleger schnell da und bilden einen Kreis um die Person. Der Kreis wird immer enger und dann bekommt man die Spritze notfalls durch die Hose verabreicht. Weiß nicht genau, was für ein Zeug das ist, aber es wirkt schnell und überzeugend. Die sogenannte Betonspritze. Jeder Pfleger hat eine Trillerpfeife am Hosenbund baumeln. Wenn er trillert, dann ist Alarm angesagt und schnell kommen die Helfer angerannt.

      Ich finde schnell Kontakt zu meinen Mitinsassen. Man kann mit ihnen auch paar vernünftige Sätze sprechen. Nur sind die geistig schon gestört und nicht gerade kommunikativ. Aber das gilt nicht für alle Bewohner des Hauses. So gibt es schon auch einige echt Intelligente, die in der Regel auch wesentlich gefährlicher sind.

      Am Monatsanfang wird ein bescheidenes Taschengeld ausgezahlt. Ich spiele mit meinen Mitbewohnern Karten, am liebsten Poker. Das konnte ich ihnen jedenfalls relativ schnell beibringen. Es wird um Einsatz gespielt. Für mich ein