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Prag


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man den Eindruck, als habe die Stadt eine lange, rauschhafte Party gefeiert; die Gäste kamen aus aller Welt, darunter viele Amerikaner. »Weil Prag so schön war, so alt – und so billig.«

      Als dann auch noch die Briten Prag für ihre Sauftouren entdeckten, wurde es Rudiš allerdings zu viel. »Ich habe mir oft vorgestellt, dass sich alle ein Stück Prag abschneiden, bis es verschwunden ist.« Er floh nach Berlin, und als er zurückkam, war Prag zu seiner Verwunderung immer noch da – und dabei, seinen Kater auszukurieren. Der Überschwang war verflogen und der Tourismus auch nur ein Wirtschaftszweig neben vielen.

      In der 22 ist es inzwischen so still, dass wir automatisch die Stimme senken. Die einzigen Passagiere starren so konzentriert auf ihre Laptops, dass sie gar nicht mitbekommen, wie grün Prag von hier an wird, wie großzügig. Die Villen von Střešovice rauschen vorbei, schließlich Dörfer. An der Endstation Bílá Hora hört man nur das Klappern einer Heckenschere.

      Wir schauen auf Felder, dahinter ein Tal, Plattenbauten, Firmenzentralen. Eine Gewitterwolke schiebt sich ins Bild, und auf dem Rückweg passiert das, wovor ich mich schon die ganze Zeit gefürchtet habe: Plötzlich wirkt die Stadt düster und, ich traue mich nicht, es laut zu sagen, ein wenig kafkaesk. So enge Gassen, so viele Türme, Schatten. Wenig später stehen wir vor einem grauen Eckhaus in der Innenstadt. Die Fenster sind mit bunten Folien verklebt. Dahinter, sagt Rudiš, habe einmal das berühmte Café Arco gelegen. Alle seien sie hier gewesen, Kisch, Werfel, Max Brod und natürlich Kafka, einer von Rudiš’ »absoluten Lieblingen«.

      Als die Tür sich öffnet, schlüpfen wir hinein und stehen, ja, wo eigentlich? »In einer Kantine der Prager Polizei.« Wie bitte? Dunkles Holz an den Wänden, weißes Tuch auf den Tischen. An der Essensausgabe laden sich trainierte junge Männer die Teller voll und tragen sie zur Kasse.

      Kafka, in dessen Augen jeder Gesetzeshüter ein Willkürherrscher war, würde sich vermutlich im Grabe noch gruseln. Und auch Rudiš, der oft mit Besuch hierher geht, aber es heute zum ersten Mal durch die Tür geschafft hat, sucht kurz nach Worten. »Krass«, sagt er dann. Prag schafft es, seine eigenen Schriftsteller sprachlos zu machen. Langsam finde ich das neue Arco richtig toll. Jedes zweite Prager Kaffeehaus versucht, einem weiszumachen, dass Kafka dort gesessen hat, doch hier, wo er am liebsten war, fragt die dicke Kassiererin: »Wollen Sie essen?«

      »Eigentlich wollten wir nur gucken. Wegen Kafka, Sie wissen schon.«

      »Weiß ich, aber Sie können ja trotzdem essen. Ich würde eine Ausnahme machen.«

      Leider haben wir keine Zeit. Rudiš muss gleich eine Literatursendung moderieren. Wir verabreden uns für den Abend in Žižkov, einem ehemaligen Arbeiterviertel. Dort, sagt er, lägen seine punkigen Anfänge. So richtig kann ich mir das nicht vorstellen, als ich hinter dem Náměstí Míru, Friedensplatz, so lange den Berg hinauflaufe, bis die Pracht nachlässt. Žižkov ist abgerockt, ein ruinöses Idyll wie Prenzlauer Berg vor 15 Jahren. Abblätternde Fassaden, viele Kneipen und Kinderboutiquen, als Vorboten der Gentrifizierung. Aber punkig?

      Wir treffen uns vor dem Fernsehturm, einer spätsozialistischen Alu-Rakete, die nach Sonnenuntergang angestrahlt wird, als wolle die Stadt zeigen, dass sie auch ein scheußliches Gebäude hat. Unser Ziel ist eine Kneipe mit dem beunruhigenden Namen Zum Ausgeschossenen Auge.

      Also noch weiter den Berg hinauf, bis wir in einer winzigen Stichstraße vor einem windschiefen Häuschen stehen. Drinnen stoßen wir gegen eine Rauchwand, hinter der hünenhafte Kellner immer neue Halbliterkrüge auf die Holztische hämmern. Joints machen die Runde, Männer, die heute wohl nicht im Büro waren, prosten einander zu. Viele Dreadlocks, Kapuzenpullis, rasierte Schädel. Obwohl wir hier wirken müssen wie Besuch von einem anderen Planetensystem, rücken sie zusammen, als hätten sie auf uns gewartet.

      In solchen Momenten erinnere ihn das Ausgeschossene Auge an die Kleinstadtkneipen in seiner nordböhmischen Heimat, sagt Rudiš. »Dort war auch für jeden Platz.« Auch mir gefällt die düstere Romantik dieser Trinkergemeinschaft. Doch nach dem zweiten Bier mache ich schlapp.

      Im Bus drehen die Leute sich nach mir um, vermutlich rieche ich wie ein Aschenbecher. Am Friedensplatz dann Umsteigen in die 22er Tram, die noch voller ist als am Tag. Wo die alle herkommen? Nicht aus dem Ausgeschossenen Auge, so viel ist klar. Ein Mann trägt Bügelwäsche über dem Arm.

      Auch drüben auf der Kleinseite brennt noch immer Licht, die Straßen aber sind wie leer gesaugt. Ein eisiger Wind fegt Mülltonnen die Gassen hinab, die ich nun hinaufmuss. Höre ich Stimmen? Kurz vor meinem Hotel begegnen mir drei Mütter, die ihre schlafenden Säuglinge durch die Nacht schieben, in der einen Hand den Kinderwagenbügel, in der anderen einen Rotweinpokal. So ist Prag, denke ich und höre zum Einschlafen die Platte, die mir Rudiš geschenkt hat. Ich verstehe nur ein einziges Wort: Halleluja!

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