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re:publica Reader 2015 – Tag 1


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Beckedahl. „Die Netzgemeinde ist die Gesellschaft.“

      Dass somit auch die Re:publica zur Gesellschaftskonferenz geworden ist, macht bei der Eröffnung Blogger- und Re:publica-Mitgründer Johnny Häusler deutlich. Er vergleicht die deutsche Mauer mit der Abschottung der europäischen Grenzen und sagt: „Wir sind wieder von Mauern umgeben.“ Mauern, die sehr viel weitläufiger und sehr viel höher seien - und tödlicher: „An diese Mauern sind in den letzten wenigen Jahren mehr Menschen gestorben als in den 28 Jahren an der deutschen Mauer.“ Der Unterschied sei aber auch: „Bis heute warten wir vergeblich auf Politikerinnen und Politiker , die den Abriss dieser Mauer fordern.“

      Finding Europe

      Wir laufen Gefahr abzustumpfen

      Text: Melanie Reinsch @M_Reinsch

      Fast täglich erreichen uns Nachrichten von ertrunkenen Flüchtlingen, von gekenterten Booten im Mittelmeer. Eine der schlimmsten Flüchtlingskatastrophen vor der lybischen Küste liegt gerade mal zwei Wochen zurück: Rund 800 Flüchtlinge überlebten die Fahrt über das Mittelmeer nicht.

       In den ersten vier Monaten dieses Jahres kamen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge 1780 Flüchtlinge ums Leben. Das Thema ist aktueller denn je und daher auch für die re:publica Anlass, gleich nach der Eröffnungsveranstaltung über Migrationspolitik und Willkommenskultur zu diskutieren und der Frage nachzugehen, was der Staat tut - und was er eben nicht tut.

      „Wir gewöhnen uns an solche Nachrichten, das beunruhigt mich“, sagt Vassilis Tsianos von der Uni Hamburg. Tsianos engagiert sich im Bereich Grenzforschung. Obwohl er die Situation am Mittelmeer als eine der größten humanitären Katastrophen einschätzt, erkennt er doch eine Entwicklung in der Politik. „Das europäische Parlament verlangt jetzt Lösungen, man sieht ein Aufwachen eines europäischen Gewissens, da ist Potential vorhanden.“ Trotzdem müsse im Sommer mit weiteren Katastrophen gerechnet werden, glaubt er. Die Lage bleibt brisant.

      Ferda Atamann, Politikwissenschaftlerin und Journalistin erkennt ebenfalls die Gefahr eines „Abstumpfungsprozesses“. Sie glaubt, dass das Thema in vier Wochen wieder vom Tisch sein kann, wenn der öffentliche Druck nicht groß genug ist. Sie ärgert sich vor allem die Diskussion um die Schlepperbanden, die Vizekanzler Siegmar Gabriel (SPD) bekämpfen will. Ihr Prognose: „Das Thema wird wichtiger werden, es wird weiterhin Widerstand geben und es ist nicht unwahrscheinlich, dass es mehr Tote geben wird. Da kommt noch einiges auf uns zu.“

      Mohamad Al Ashrafani kam vor elf Monaten aus Syrien über den Libanon und die Türkei nach Deutschland. Auch er stößt hier in Deutschland an seine Grenzen, vor allem bei den Behörden. In Syrien hat er als Zahntechniker gearbeitet, nun absolviert er im Juni ein zweites Praktikum in einem Zahnlabor, lernt Deutsch und versucht in Berlin Arbeit zu bekommen. „Vor allem die Wohnungssuche gestaltet sich als schwierig“, sagt er. Und auch beim Asylantrag gibt es Probleme: Obwohl Asylanträge von Flüchtlingen aus Syrien und anderen extrem unsicheren Ländern schneller bearbeitet werden sollen, wartet Al Ashrafani schon seit acht Monaten auf eine Anhörung. Zu lang.

      Genau solchen Menschen hilft Katharina Mühlbeyer. Sie arbeitet bei „Moabit hilft! Willkommensinitiative für Geflüchtete in Berlin-Moabit“, eine ehrenamtliche Kontakt- und Lotsengruppe für Flüchtlinge aus Syrien. Sie hilft Migranten durch das Behördenwirrwarr zu finden, unterstützt bei Arztterminen und setzt sich für die Rechte der Flüchtlinge ein. „Viele wissen über ihre Rechte nicht Bescheid. Die Behörden versagen, Menschen werden obdachlos, sie erhalten keine Grundversorgung, obwohl es einen Anspruch auf medizinischen Versorgung und sogar auf Taschengeld gibt.“

      Finding Europe

      Geschichte der engen Grenzen

      Text: Johannes Kirchmeier @jokirchmeier

      Man ahnt es schon an der altertümlichen Sprache: Martin Fischer, Cornelis Kater und Sven Sedivy haben die re:publica gerade um gute 200 Jahre in die Vergangenheit katapultiert. “Wir haben uns einfach mal überlegt, wie es bei uns ohne Europa aussehen würde”, sagt der Grafiker Sedivy. Das bedeutet: Kleinstaaterei statt Zusammenschluss, Unterdrückung durch Lehnsherrn statt Freiheit, dauerhafte Einschränkung.

      Herausgekommen ist der Vortrag “Mein Lehnsherr liest meine E-Mails - zu Besuch in einem anderen Europa”: drei kleine Monologe der Speaker, die Kritik üben sollen - an der Mentalität der Menschen und der Politik in der Jetzt-Zeit. Immer wieder blicken die drei Redner, die aus mehreren fiktiven deutschen Kleinstaaten nach Berlin gereist sind, auf “Groß-Groningen”, ein Synonym für den perfekten Staat ohne Grenzen und Barrieren.

      Diese Retrospektive ist ein Trick, um aktuelle Missstände in Deutschland anzuprangern. Anders als die deutsche Regierung macht sich etwa die niederländische für ein offenes und freies Internet stark. “Vielleicht erleben wir ja mal ein kabelfreies Netz - so wie drüben in Groß-Groningen. Dann hätte ich sogar Internet in meiner Backstube”, schwärmt Sedivy und meint damit sein Lieblingscafe, in dem er von der digitalen Welt abgeschnitten ist.

      Er und seine Kollegen üben zudem Kritik am wenig innovativen deutschen Städtebaukonzept, den Handelsschranken und Reisebeschränkungen. Reisefreiheit und Handel funktionieren inzwischen zwar besser als zu Kleinstaatenzeiten. Eine Welt der unbegrenzten Möglichkeiten existiert jedoch auch heute noch nicht.

      Am Ende aber gaben sie sich versöhnlich: “Europa ist zwar noch nicht perfekt, aber immerhin schon einen Schritt weiter als vor 200 Jahren.”

      Finding Europe

      Ohne Worte

      Mohamad Al Ashrafani lebt in Berlin. Er ist ein Flüchtling aus Syrien und wartet gerade auf sein Asylanerkennungsverfahren. Ein Interview, bei dem drei Fotos mehr sagen als tausend Worte.

       Wie fühlst Du Dich, wenn Du an Deine Zukunft in Europa denkst?

      Foto: Ines Lutz

       Wie geht es Dir, wenn Du an Deine Heimat Syrien denkst?

      Foto: Ines Lutz

       Du kommuniziert über Whats App mit Deiner Familie, die Du zurücklassen musstest. Was bedeutet für Dich die digitale Kommunikation?

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      Foto: Ines Lutz

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