Sieghart Döhring

Tagungsband über das Historische Symposium


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herauszubringen (die Aufführung fand am 7. Januar 1844 statt). Was Humboldt und dem König vorschwebte, nämlich die Rolle Berlins als neue Kulturhauptstadt Europas auch auf musikalischem Gebiet zu begründen – der Tradition verpflichtet und zugleich offen gegenüber dem Neuen – schien für einen Augenblick der Erfüllung nahe zu sein. Und doch sollte es anders kommen: Zwar stürzten sich Mendelssohn und Meyerbeer sogleich voller Energie in ihre neuen Aufgaben, resignierten aber bald angesichts kleinlicher Widerstände lokaler Konkurrenten und ließen sich von ihren Verpflichtungen ganz oder teilweise entbinden. Ihre weit gespannten europäischen Aktivitäten hatten sie ohnehin nie aufgegeben, war ihnen doch stets bewusst, dass selbst ein aufstrebendes Berlin mit Metropolen wie Paris oder London weder sozial noch kulturell mithalten konnte.

      Dieses Bedeutungsgefälle war auch dem Newcomer Wagner früh bewusst. Lebenslang zog es ihn aus der provinziellen Enge Deutschlands nach Paris, dem Mekka der Künste im 19. Jahrhundert. Einen ersten erfolglosen Versuch, dort als Komponist Fuß zu fassen, hatte er gerade erst unternommen und als er mit einem zweiten wenige Jahre später erneut scheiterte, änderte er von Grund auf seine Taktik im Kampf um die Führungsposition unter den Komponisten Europas, die nach seiner unerschütterlichen Überzeugung allein ihm zustand. Nicht wie bisher auf den Schultern seiner Vorgänger – so sein Entschluß – suchte Wagner sein Ziel zu erreichen, sondern – man kann es durchaus so ausdrücken – über deren Leichen, nämlich indem er Mendelssohn und Meyerbeer als Juden wahres Künstlertum absprach.

      Seinen Angriff startete Wagner erstmals öffentlich, wenngleich unter einem Pseudonym, in dem Essay Das Judentum in der Musik, erschienen 1850 in zwei Nummern der „Neuen Zeitschrift für Musik“. Wegen der geringen Verbreitung dieses Periodikums hielt sich die Resonanz darauf in engen Grenzen (Mendelssohn war drei Jahre zuvor verstorben; Meyerbeer hat den Text überhaupt nicht zur Kenntnis genommen). Umso größer war dann die Wirkung der – leicht überarbeiteten - Wiederveröffentlichung in Buchform 1869. Jacob Katz nannte den Text ein „antijüdisches Traktat, das mit Recht zu den antisemitischen Klassikern gezählt wird“[1]. Zwar war kein einziges der von Wagner vorgetragenen Argumente tatsächlich originell, dennoch entwickelte das Pamphlet enorme propagandistische Stoßkraft, hauptsächlich wegen des nun nicht mehr unter einem Pseudonym versteckten Namens seines Autors, dessen musikhistorische Bedeutung mittlerweile auch von seinen Gegnern nicht mehr in Abrede gestellt wurde. Auf den immer selbstbewusster auftretenden Antisemitismus im neu gegründeten deutschen Kaiserreich wirkte Wagners „Judentum“-Essay geradezu als Brandbeschleuniger mit fatalen historischen Folgen bis weit hinein ins 20. Jahrhundert.[2]

      Wie konnte, was so hoffnungsvoll begonnen hatte, so spektakulär scheitern? Als sich die Wege Mendelssohns, Meyerbeers und Wagners zu Beginn der 1840er Jahre in Berlin kreuzten, agierten sie innerhalb eines weit gespannten kulturellen „Netzwerkes“, in dessen Zentrum Alexander von Humboldt als „europäischer Kulturminister“ (Hanno Beck) die Fäden zog. Freilich gab es schon vor Wagners antisemitischem Angriff auf Mendelssohn und Meyerbeer zwischen den Beteiligten Spannungen und Verwerfungen, die das spätere Scheitern der Vision von Berlin als neuem musikalischen „Spree-Athen“ bereits erahnen ließen. Mendelssohn wie Meyerbeer entstammten reichen jüdischen Bankiers- und Kaufmannsfamilien, die zur Hautevolee des gebildeten Berliner Großbürgertums gehörten. Zwar wurde Mendelssohn in Hamburg geboren, aber die Stätte seiner geistigen und kulturellen Sozialisation war eindeutig Berlin. Dort wurde er – wie alle seine Geschwister – christlich erzogen; als Siebenjähriger erhielt er die protestantische Taufe, was ihn als Mensch wie als Künstler maßgeblich geprägt hat. Demgegenüber blieb Meyerbeer dem Judentum, das ihm von der Familie und von den Erziehern in einer liberalen, reformierten Ausrichtung nahe gebracht worden war, zeitlebens treu, wenngleich er es nie praktizierte. Beide genossen sie eine umfassende Ausbildung, die ihnen früh den Zugang zu höchsten gesellschaftlichen Kreisen und zur kulturellen Elite ihrer Epoche eröffnete. Demgegenüber blieb es Wagner aufgegeben, sich aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und unklaren familiären Beziehungen mühsam emporzuarbeiten, denn nach oben wollte er unbedingt; auch das prägt einen Menschen lebenslang. Mendelssohns wie Meyerbeers herausragende kompositorische Fähigkeiten, die sich bei beiden bereits in frühester Jugend offenbarten, entfalteten sich zunächst über das gesamte Spektrum der musikalischen Gattungen, erfuhren aber bald eine Spezialisierung: bei Mendelssohn auf Instrumental- und Kirchenmusik, bei Meyerbeer auf die Oper. Die unterschiedlichen Gattungspräferenzen waren die Folge höchst individueller Personalstile, die sich immer weiter auseinander entwickelten. Dies führte dazu, dass sich beide zwar öffentlich stets mit Respekt begegneten, aber auf künstlerischer Ebene kaum miteinander kommunizierten. Vor allem Mendelssohn fehlte jeglicher Zugang zur aktuellen dramatischen Musik und ihren Innovationen, für die nach dem Urteil der Zeitgenossen vor allem Meyerbeers französische Opern standen. Robert le diable (1831), den er wenige Wochen nach der Uraufführung in Paris hörte, ließ Mendelssohn kalt: „[…] die Musik ist ganz vernünftig […] – aber ein Herz ist nicht dabei […] Musik ist es nicht, ein Gedicht auch nicht, Alles andere unnachahmlich schön.“[3] Für den Enthusiasmus des Publikums und das Lob der Fachkritiker und Komponistenkollegen, die das Werk als Epochenwende in der Geschichte der dramatischen Musik feierten, ging Mendelssohn das ästhetische Sensorium gänzlich ab.

      Anders Richard Wagner: Seit er sich zum Opernkomponisten berufen fühlte, drängte es ihn mit aller Kraft aus der provinziellen Enge des deutschen Stadttheaterbetriebs, in dem er seine Anfänge als Komponist und Dirigent absolvieren musste, in die Internationalität der Metropolen. Nach einem kurzen Flirt mit der italienischen Oper, die ihm durch die inspirierende Erfahrung der Gesangs- und Darstellungskunst Wilhelmine Schröder-Devrients in der Rolle des Bellinischen Romeo nahe gebracht geworden war (in dieser Rolle, nicht – wie er später glauben machen wollte – als Beethovensche Leonore, erlebte Wagner die Sängerin erstmals auf der Bühne), wählte er sich Meyerbeer zum künstlerischen Vorbild, in dessen Opern er sein Ideal eines nationale Stile überwindenden musikalischen Ideentheaters verwirklicht sah. Als er sich am 4. Februar 1837 erstmals brieflich an Meyerbeer wandte, den „verehrte(n) Herr(n) und Meister“ (so seine Anrede), formulierte er in der Beschreibung von dessen Werk unverhohlen auch sein eigenes künftiges Programm als Opernkomponist. Seit er in der musikalischen Praxis stehe, so Wagner, „[…] haben sich meine Ansichten über den gegenwärtigen Standpunkt der Musik u. zumal der dramatischen, bedeutend geändert, u. soll ich es leugnen, daß gerade Ihre Werke es waren, die mir diese neue Richtung anzeigten? Es wäre hier jedenfalls sehr am unpassenden Orte, mich in ungeschickten Lobeserhebungen Ihres Genius aus zu lassen, nur soviel, daß ich in Ihnen die Aufgabe des Deutschen vollkommen gelöst sehe, der sich die Vorzüge der italienischen u. französischen Schule zum Muster machte, um die Schöpfungen seines Genie’s universell zu machen. Dieß hat mich denn ungefähr auf meine jetzige Bahn gebracht.“[4] Sodann bittet Wagner Meyerbeer um ein Urteil über seine Oper Das Liebesverbot (1836), deren Partitur er zuvor an Meyerbeers Pariser Librettisten Eugène Scribe gesandt hatte; er bietet an, im Falle einer günstigen Meinung, ein neues Werk für die Pariser Opéra zu komponieren, für das er auch bereits einen Textvorschlag unterbreitet. Vorrangige Absicht seines Briefes war es, überhaupt in Kontakt zu treten mit dem berühmtesten und einflussreichsten Opernkomponisten der Zeit, um dessen Protektion er schmeichelnd bettelt: „Künstlerruhm kann Ihnen fast nicht mehr zu Theil werden, denn Sie erreichten schon das Unerhörteste; überall, wo Menschen singen können, hört man Ihre Melodien. Sie sind ein kleiner Gott dieser Erde geworden; – wie herrlich ist es nun für den, der diesen Standpunkt erreicht hat, zurückzublicken, u. denen, die er soweit hinter sich ließ, die Hand zu reichen, um auch sie wenigstens in Ihre Nähe zu ziehen.“[5] Wie Meyerbeer auf Wagners Brief reagierte, ist nicht bekannt (ein Gegenbrief ist nicht überliefert und Meyerbeers Tagebuch schweigt dazu), jedoch scheint er nicht unbeeindruckt geblieben zu sein, denn als Wagner zweieinhalb Jahre später tatsächlich nach Paris reist, um dort seine Zelte aufzuschlagen, empfängt ihn Meyerbeer im Kurort Boulogne-sur-Mer und lässt sich Teile der Rienzi-Partitur zeigen, an der Wagner damals arbeitete. Der Eindruck scheint ein positiver gewesen zu sein, denn Meyerbeer behielt das Werk im Auge und empfahl es nach seiner Fertigstellung für eine Aufführung in Dresden, die Wagners erster Opernerfolg werden sollte.

      Wagner hat seinen ersten Paris-Aufenthalt von 1839-1842 später als eine Zeit menschlicher und