Erik Malchow

Deutsch-Polnische Stereotype in neuen Medien


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des Begriffs Web 2.0 zugunsten des Begriffs Social Media ab.

      Die Sozialen Medien entwickeln sich heute so stark, dass es der Forschung sehr schwer fällt, mit dem Vorsprung Schritt zu halten, wobei sich zeigt, dass mit dem Älterwerden des Internet die bekannten und vertrauten Probleme der alten Medien wieder auftauchen und damit eine Auseinandersetzung zu einem veränderten Verständnis der etablierten Medien (McLuhan) entsteht.4 Die wachsende Beteiligung von Nutzern in Sozialen Medien und deren steigende demokratische Nutzung weisen darauf hin, dass auch für interkulturelle Kommunikationsstudien bei den Interaktionen wachsende Forschungsmöglichkeiten entstehen. Insbesondere zur Popularisierung und Kommerzialisierung des Mediums gibt es einige bedeutende Arbeiten (z.B. Miller; Siapera; van Dijk; Bieber), die die soziokulturellen Differenzen und Konfliktpotenziale untersuchen. Welchen Effekt Soziale Medien bei der interkulturellen Kommunikation, speziell in der deutsch-polnischen, haben, wurde jedoch bisher wissenschaftlich nur beiläufig untersucht. Beispielhafte Arbeiten zur deutsch-polnischen Kommunikation im Internet (Ociepka; Dąbrowska; Best) beschreiben die gesellschaftliche Dimension von bilateralen Diskursen, die auf die Verbreitung und auf Vermittlungsinstanzen angewiesen sind, also auf Plattformen sozialen Austauschs wie dem Internet.5

      Einen wesentlichen Raum dieser Arbeit nimmt die Internet-Forschung, insbesondere die sozialpsychologische Online-Forschung in Bezug auf die Kommunikation zwischen Polen und Deutschen und die dabei verwendeten Stereotype ein, wobei eine erschöpfende Darstellung des Themas selbstverständlich nicht geleistet werden kann. Deshalb soll hier eine einzelne mengenmäßig überschaubare Quellengattung, nämlich drei Beispiele der bekanntesten sozialen Medien im Internet, die Plattformen YouTube, Wikipedia und Facebook, sowie eine kurze Analyse der Auswirkungen individuell angepasster Ergebnisse der Suchmaschine Google herausgegriffen werden. Das Forschungsfeld wurde der Übersichtlichkeit halber auf die vier Portale eingegrenzt, da die genannten Portale in Bezug auf ihre Nutzung in Polen und Deutschland die größte Homogenität aufweisen und, speziell im Fall von Facebook und Google, die meisten Nutzer verzeichnen. Außerdem weisen die Portale sehr unterschiedliche Formen der Nutzung auf, was dabei helfen soll, einen ganzheitlichen und differenzierten Überblick verschiedener Nutzertypologien des Internets zu erhalten.

      Die Untersuchung orientiert sich an folgenden Leitfragen:

       Wie trägt die Nutzung sozialer Medien zur Verfestigung bzw. zur Auflösung von Stereotypen zwischen Deutschen und Polen bei?

       Welche Unterschiede gibt es bei der Internetnutzung von Deutschen und Polen und können diese durch Kulturdimensionen (Hofstede) bzw. –Standards (Thomas) erklärt werden?

       Welche deutsch-polnischen Stereotype sind aktuell bzw. stark verbreitet?

       Wie reguliert sich die Online-Gesellschaft, wenn negative Vorurteile offen geäußert werden?

      1.2 Aufbau der Arbeit

      Nach der Einleitung, die das erste Kapitel dieser Arbeit bildet und neben Aufbau und Fragestellungen auch einen geschichtlichen Einstieg in das Thema der deutsch-polnischen Online-Stereotype bietet, beschäftigt sich das zweite Kapitel mit dem Forschungsstand. Hier geht es anfangs um Kommunikationsprozesse im Internet. Nach einer statistischen Übersicht, die die Demographie der deutsch-polnischen Internetnutzung erläutert und erklärt, welche Besonderheiten die computervermittelte Kommunikation im Unterschied zu anderen Kommunikationsformen aufweist, geht es insbesondere darum, wie sich die Sprache im Internet (Netspeak) im deutschen und im polnischen Raum formt und wie eine Regulierung der Nutzer untereinander stattfindet (Netiquette). Außerdem wird kurz auf Gefahrenpotentiale wie Cybermobbing und Internetsucht eingegangen. Darüber hinaus befasst sich dieser Teil der Arbeit mit der Bildung bzw. Verbreitung von Stereotypen im Internet. Es wird aufgezeigt, was Stereotype ausdrücken, und wie sie sprachlich und bildlich im Internet dargestellt werden. Dabei wird auf verschiedene etablierte Theorien der Stereotypenbildung eingegangen und diese immer wieder mit der Spezifik des Internets in Verbindung gebracht. Das dritte Kapitel dieser Arbeit bildet den Hauptteil. Hier wird insbesondere die Etablierung der deutsch-polnischen Stereotype erklärt und mit der aktuellen Debatte in einen Kontext gebracht. Die ausgewählten Online-Portale werden in Bezug auf Sympathien und Antisympathien zwischen Deutschen und Polen untersucht, wobei quantitative und qualitative Methoden angewendet werden. Während bei dem sozialen Netzwerk Facebook mehrheitlich quantitative Methoden, insbesondere Auswertungen der statistischen Tools von Socialbakers6 und WolframAlpha7, zum Einsatz kommen, werden bei YouTube und Wikipedia eher qualitative Methoden, wie zum Beispiel die hermeneutische Textanalyse von Posts bzw. Kommentaren unter Videos und Beiträgen zu diskursiven deutsch-polnischen Ereignissen (das deutsch-polnische EM-Fußballspiel in Klagenfurt 2008, etc.) angewendet. Nähere Erläuterungen zur Methodik finden sich im Kapitel 2.2.7.

      Das kollektive historische Gedächtnis von Polen und Deutschen ist sehr unterschiedlich. Die Wahrnehmung von Polen und Deutschen ist geprägt von teils jahrhundertealten Mythen, Stereotypen und Vorurteilen sowie einem damit verbunden erheblichen Anteil an Unwissenheit gegenüber den kulturellen Gegebenheiten der jeweils anderen Nation. Letzterer ist wesentlich höher auf der deutschen Seite.8 Die erste Begegnung zwischen Deutschen und Polen ist nicht genau bestimmbar, da schwer zu sagen ist, wann man von Deutschen und Polen sprechen kann. Was die Polanie, ihre Nachbarn und viele weitere Menschen auf der eurasischen Ebene verband, war Sprache bzw. słowo [das Wort]9. Wer verständlich miteinander sprach, waren Słowanie, Sclavinii, Slawen (später Polen, Russen, Tschechen, etc.). Jene, die die Sprache nicht sprachen, waren demzufolge Niemcy [Stumme]10. Diese waren vor allem in der germanischen Welt, dem heutigen Sachsen, Franken, Bayern und Lothringen, zu finden. Das Ziel des folgenden Kapitels ist nicht, die detaillierte binationale Geschichte wieder zu geben, sondern kurz zu erläutern, welche historischen Kontakte (ob feindlich oder friedlich) die deutsch-polnischen Beziehungen noch heute beeinflussen.

      Die erste kriegerische Begegnung von Polen und Deutschen, die auch heute, etwa tausend Jahre später, im kollektiven Gedächtnis verankert ist, fand in der Nähe der heutigen deutsch-polnischen Grenze, zwischen Frankfurt (Oder) und Szczecin statt. Bereits 972 n. Chr., kurz bevor die Polanen erstmals in den Geschichtsbüchern erwähnt werden, wurde die Schlacht von Cedynia (Zehden) geführt und von Mieszko I, dem ersten christlichen Führer der Polanen, gewonnen. Schon davor bestritt sein Vater Siemomysław bereits Auseinandersetzungen mit den Herrschern der Nordmark, die als erste Kontakte erwähnt werden könnten, jedoch ist die Schlacht bei Zehden, gemeinsam mit der ebenfalls von den Polen gewonnen Schlacht bei Tannenberg (pl. Grunwald), bis heute im nationalen Gedächtnis (der Polen) verankert.

      Während dieser Zeit war es gängige Praxis, Streitigkeiten im Grenzgebiet an der Oder durch arrangierte Ehen zu schlichten. Zudem profitierte Polen im frühen zwölften Jahrhundert von deutschen Siedlern, Migranten aus Sachsen, Franken und den Benelux-Ländern, und gewährte ihnen besondere Rechte, wie zum Beispiel die Erbauung von Siedlungen nach deutschem Recht. Bereits im 13. Jahrhundert wurden ehemals polnische Dörfer wie Wlen oder Städte wie Breslau aufgrund der zunehmenden Zahl ihrer deutschen Bewohner deutsch. Vor allem der Deutsche Orden, ein Zusammenschluss von Kreuzrittern, hatte einen großen Einfluss auf das nördliche Polen bis 1410, als die Kreuzritter in der Schlacht von Tannenberg geschlagen wurden. Diese Schlacht prägt bis heute die Wahrnehmung von Deutschen in Polen, was unter anderem an etlichen Denkmälern und Straßenbezeichnungen zu erkennen ist. In der Folge der Schlacht war der Deutsche Orden gezwungen, im Jahr 1466 den „Zweiten Thorner Frühling“ zu schließen. Damit wurde das Königreich Preußen in Polen eingegliedert. Fast zweihundert Jahre später, im Jahre 1660, wurde diese Souveränität über das Herzogtum Preußen im „Frieden von Oliva“ wieder aufgegeben. Im 18. Jahrhundert wurde Polen dreimal (1772, 1793, 1795) geteilt, bis es gänzlich, bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, von der Weltkarte verschwand. Die polnischen Gebiete wurden unter Preußen, Russland und Österreich aufgeteilt. Die polnische Exilregierung versuchte in dieser Zeit wiederholt, seine Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen, was am 3. Mai 1791 in der Verabschiedung einer neuen Verfassung, die als erste