Henrik Muhs

Direktdemokratie jetzt!


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führte. Diese Leistungsschwäche zeigt sich in der vorrangigen Wahrnehmung der Sonderinteressen internationaler Konzerne, durch Freihandelsverträge wie CETA, wogegen den Interessen der Mehrheit der Europäer nur eine untergeordnete Rolle eingeräumt wird. Das sich das englische Volk 2016 mehrheitlich entschied, die EU zu verlassen, lag nicht an zu viel vorhandenen direktdemokratischen Rechten in Europa, sondern an deren Abwesenheit.

      »Die Europäische Union ist heute so undemokratisch, dass sie sich selbst wohl nicht als Mitgliedsstaat akzeptieren würde, denn sie erfüllt nicht die Mindeststandards einer Demokratie. […] Der demokratische Grundsatz der Gewaltenteilung wird in der EU systematisch ausgehebelt. Die Union leidet an ausgeprägter Exekutivlastigkeit, die ausführende Gewalt nimmt also eine bedeutendere Stellung ein, als ihr eigentlich zusteht. In der Praxis heißt das, dass essenzielle Aufgaben der europäischen Legislative – der gesetzgebenden Gewalt – von Vertretern der nationalen Regierungen (Exekutive) wahrgenommen werden. Der Europäische Rat, gebildet aus Regierungsvertretern, übt sowohl Funktionen der Legislative (durch den Ministerrat) als auch der Exekutive aus (er gibt die politischen Leitlinien für die Union vor). Gewaltenteilung stellt eines der wichtigsten Prinzipien für ein demokratisches Regierungssystem dar, wird hier jedoch einfach übergangen. […] Ein weiteres Problem entsteht durch die Personalunion der EU-Regierung und den nationalen Regierungen. Die Folge dieser Personalunion: Über den Umweg der EU können die Ratsmitglieder (Vertreter der nationalen Regierungen) die nationalen demokratischen Kontrollen umgehen. […] Geradezu vordemokratisch ist der Zustand, dass auf EU-Ebene nicht das von Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählte Parlament, sondern nur die EU-Kommission ein Initiativrecht in der Gesetzgebung hat. Damit erleidet die EU ein fundamentales Demokratie-Defizit, da eine vom Volk nicht unmittelbar durch eine Wahl legitimierte Institution – die EU-Kommission – Gesetzesinitiativen einleitet.« [13]

      In einer föderal aufgestellten EU könnte mit der Abschaffung des Parlaments und der Kommission große Teile der Bürokratie abgebaut werden. Beide Einrichtungen sind nicht aus demokratischen Wahlen hervorgegangen. Die Mitglieder der Kommission werden von den Regierungen vorgeschlagen und vom Parlament lediglich bestätigt. Die Wahl der EU-Abgeordneten selbst erfolgt nach der völlig undemokratischen Praxis der ungleichen Gewichtung der Stimmen. Ein Abgeordneter aus Deutschland vertritt 854.167 Bürger und einer aus Luxemburg 83.333 Bürger. Danach hat ein Wähler in Luxemburg über seine Abgeordneten 10,25-mal so viel Einfluss wie ein Wähler in Deutschland. [14]

      Die deutliche Verbesserung der Leistungsfähigkeit der EU wäre erreicht, wenn es den Mitgliedsstaaten (mit Ausnahme des Eingangs erwähnten Solidaritätspaktes) freistehen würde, sich an einzelnen Aufgaben zu beteiligen. Die Einführung solcher themenspezifischer Allianzen hat der Präsident der EU Kommission Jean- Claude Junker Anfang 2017 angesprochen: »EU Länder, die in bestimmten Bereichen stärker kooperieren wollen, tun sich zusammen, während die, die das nicht möchten, außen vor bleiben.« [15] Allerdings sollte ein solches Verfahren »einer EU mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten« (Angela Merkel) nicht als vorübergehende Lösung, sondern dauerhaft eingeführt werden. Das würde eine Mitgliedschaft direktdemokratischer Staaten in der Union ermöglichen, die sich dann nicht an jedem Vorhaben und jeder Institution der EU beteiligen müssten, wenn das Volk dies so will. Natürlich wären Länder, die sich an bestimmten Aufgaben nicht beteiligen, von deren negativen als auch positiven Auswirkungen nicht betroffen, sodass eine freiwillige und wechselnde Zusammenarbeit bei der Lösung unterschiedlicher Aufgaben entstehen könnte. Diese Vorgehensweise, die heute als »Rosinenpickerei« abgetan wird, würde den Nutzen der EU für die Bürger deutlich stärken. Außerdem wären schnellere Entscheidungen möglich, wenn eine Einstimmigkeit für die einzelnen Beschlüsse nicht mehr erforderlich wäre.

      Die EU hätte genügend Gründe sich neu zu erfinden, um die aufgestauten Probleme und Defizite angehen zu können, etwa den Abbau der Jugendarbeitslosigkeit, die im EU-Schnitt im Juni 2016 bei 18, 5 Prozent lag, wobei Spanien mit 45, 8 Prozent und Griechenland mit 47, 4 die höchsten Zahlen aufwiesen. [16]

      Nichts könnte die EU mehr legitimieren, als deren erfolgreiche und auf die Interessen der Mitgliedsvölker ausgerichtete Arbeit, dann wären weitere Austritte von Mitgliedsstaaten nicht zu befürchten. Eine erfolgreiche und föderal aufgestellte Union wäre möglicherweise sogar in der Lage, Großbritannien, die Schweiz oder ein demokratisiertes Russland als Mitglieder neu zu gewinnen.

      Diese soll nachstehend an einigen Beispielen aus der Volkswirtschaft; der Sicherheitspolitik und dem Katastrophenschutz verdeutlicht werden.

      Die Volkswirtschaft hat dem Volk zu dienen, nicht umgekehrt, denn: »Der Markt ist ein hervorragender Diener, aber ein äußerst schlechter Herr.« (Rafael Correa, Präsident von Ecuador)

      Die Wirtschaft ist für jedes Volk von besonderer Bedeutung. Anders als Oligarchen, Fürsten, Diktatoren und manche Politiker, die auch in bettelarmen Ländern reich werden können, ist es der Mehrheit der Bürger nicht möglich, durch reine Umverteilungsmaßnahmen Wohlstand zu erlangen. Wenn das Land nicht auf große Naturschätze zurückgreifen kann, bleibt nur der Weg, den allgemeinen Wohlstand zu erarbeiten.

      Über die Bedeutung der Arbeit schrieb Adam Smith im 18. Jahrhundert in seinem Werk »Natur und Ursachen des Volkswohlstandes«: »Der reale Preis von allem – also das, was jedes Ding den Menschen, der es erwerben will, wirklich kostet – ist die Anstrengung und Mühe seiner Beschaffung. Was jedes Ding dem Menschen, der es erworben hat und darüber verfügen oder es gegen etwas anderes zu tauschen wünscht, wirklich wert ist, ist die Anstrengung und Mühe, die es ihm ersparen und anderen Leuten auferlegen kann. Das was für Geld oder Güter gekauft wird, ist ebenso mit Arbeit erkauft wie das, was wir durch die Anstrengung unserer eigenen Kräfte erwerben. Solches Geld oder solche Güter ersparen uns freilich diese Anstrengung. Sie enthalten den Wert einer bestimmten Menge Arbeit, die wir gegen etwas tauschen, das unserer Meinung nach zur gegebenen Zeit den Wert einer gleichen Menge enthält. Arbeit war der erste Preis, das ursprüngliche Kaufgeld, das für alles bezahlt wurde. Nicht mit Gold oder Silber, sondern mit Arbeit wurde aller Reichtum der Welt ursprünglich erkauft. […] Weil das Eigentum jedes Menschen an seiner eigenen Arbeitskraft ursprünglich Grundlage allen anderen Eigentums ist, ist es auch vor allem anderen heilig und unverletzlich.« [17]

      Es ist eine der wesentlichen Aufgaben einer demokratischen Gesellschaft, die Arbeit der Bürger als Quelle allen Wohlstandes und höchste Form des Eigentums vor Plünderung zu schützen, nicht zuletzt vor dem Staat. Hierfür sind die am Anfang dieser Schrift aufgeführten Machtinstrumente des Volkes die Voraussetzung. Das Fehlen ausreichender demokratischer Macht, in der Bundesrepublik, wird beispielsweise an einer vorrangigen Besteuerung von Arbeitseinkommen erkennbar. Während die Körperschaftssteuer, die vor allem große Firmen zahlen, vom Einkommen ca. 15 Prozent abzieht, werden die Löhne der arbeitenden Menschen mit bis zu 45 Prozent versteuert und durch immer höhere Abzüge belastet.

      »Arbeitnehmer, Freiberufler und Unternehmer müssen bei bestimmten Einkommen prozentual immer mehr an den Fiskus abführen. So hat sich die Zahl der Haushalte, die den Spitzensteuersatz von 42 Prozent zahlen, im Vergleich zu 2005 fast verdoppelt – von 1,24 Millionen auf 2,3 Millionen (bis 2015, Angabe vom Autor). Daran ändern auch die Pläne von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wenig, ab 2016 mit dem Abbau der kalten Progression zu beginnen.« [18] Bei dieser geplanten »Entlastung«, soll gerade einmal auf vier Prozent der Mehreinnahmen aus der kalten Progression, verzichtet werden.

      Statt die arbeitenden Menschen mit immer neuen staatlich organisierten Belastungen um den Lohn ihrer Arbeit zu bringen, sollte beispielsweise die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTAS) auf Börsengeschäfte mit großer Entschlossenheit verfolgt werden. Die Bundesrepublik könnte, nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), durch die Einführung der FTAS mit Einnahmen von bis zu 44 Milliarden Euro rechnen. [19]

      Neben der Durchsetzung von mehr Steuergerechtigkeit, ist die gemeinnützige Ausrichtung des Marktes eine wichtige Aufgabe des direktdemokratisch regierten Staates, die er am ehesten mit der Durchsetzung der sozialen Marktwirtschaft erreichen kann. Wie das zuletzt zu Zeiten des Kalten Krieges, in den Jahrzehnten nach dem