Werner Augustin

Die Freizeitkicker: Rammler und Alte Herren


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Mutationen groß wie Maikäfer, welche der Wissenschaft noch gänzlich unbekannt sind, aber mit Vorliebe Freizeitkicker aussaugen.

      Ach ja, die Realität. Ich muss aufpassen, dass das Unwirkliche im Wirklichen nicht die Überhand gewinnt. Ich kann jedoch hoch und heilig versichern, alles hier Erzählte ist genauso vorgefallen und absolut authentisch. Nichts wurde hinzugefügt, alle Personen dieses Buches existieren wirklich. Lediglich die Namen sind eher fiktiv und stammen aus einer anderen Welt, der Welt des Freizeitfußballs im Acker Bolzpark.

      Ähnlich wie die Beduinenstämme in der Sahara, verfügt auch die Betriebssportgruppe über ein Mindestmaß an Organisation, ohne gleich die Bürokratie einzuführen. So werden notwendigerweise Aufgaben gebündelt und an Verantwortliche übertragen. Wir werfen einen ersten Blick in das soziale Innenleben dieser Gemeinschaft und widmen uns jenen, die im Jahr 2001 tatsächlich Verantwortung trugen. Sie sollen etwas ausführlicher vorgestellt werden, denn gerade diese Freizeitkicker werden im weiteren Verlauf noch öfters auftauchen.

      Amsel Knaus ist unser Präsident. Man kann sagen, dieses Amt wurde ihm bereits in die Wiege gelegt, er ist schon als Präsident geboren. Weil er gut Lesen und Schreiben kann, kümmert er sich um alle vertraglichen Dinge zwischen Sponsor und externen Dienstleistern. Im Spiel ist er auf allen Positionen einsetzbar, kickt stabil und setzt gelegentlich Akzente im körperbetonten Nahkampf. Ausdauer und Lauffreude sind noch ausreichend. Die Behandlung des Spielgerätes gibt manchmal zu Tadel Anlass und ist verbesserungswürdig. Aber, unterm Strich, meist eine anerkennenswerte Leistung. Das Benehmen kann noch als akzeptabel gelten. Muss abnehmen.

      Ralf Bruch ist unser Zeugwart. Er bringt die schlammigen Trikots zur Reinigung und sorgt dafür, dass sie zum nächsten Spiel gebügelt im Koffer zur Verfügung stehen. Im Spiel ist Ralf Bruch der Torwart. Linksaußen und Torwart, sagt man, sind mental nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Das kann zutreffen. Als Torwart blockt er jedoch die gegnerischen Sturmreihen gekonnt ab, wenn er denn seinen latenten Erregungszustand unter Kontrolle bringt. Deshalb braucht er vor jedem Spiel ein Rüscherl und während dem Spiel eine Plastiktüte. Seine Verletzungsanfälligkeit ist gefürchtet. Körperliche oder mentale Schäden können unmittelbar im Spiel ohne Fremdeinwirkung eintreten. Beschäftigt deshalb das medizinische Personal der Barmherzigen zu oft.

      Beppo Butcher arrangiert alle Ausflüge und sonstigen Geselligkeiten, ergo Vergnügungswart. Stammt aus dem kulturellen Zentrum des Oberpfälzer Stiftlandes, wäre aber lieber Österreicher. Im Spiel ist er Verteidiger, wäre aber lieber Stürmer. Sieht sich als berechtigter Nachfolger des legendären Matthias Sindelar, dem Papierenen, bringt aber ungefähr das Doppelte auf die Waage. Gräbt sich gerne auf der rechten Abwehrseite ein. Ein körperlich starker Einsatz wechselt mit gelegentlichen Standeisenproblemen. Sein Einsatz ist immer lobenswert. Ist als aktiver Dylanologe der Welt pessimistisch zugewandt. Muss abnehmen.

      Werner Ösimann leitet das Wettbüro. Er registriert alle Wetten und es sind deren viele. Da kann schon mal gewettet werden, dass eine Partei bei der Bundestagswahl mehr Stimmanteile bekommt, als der FC Bayern in der Vorrunde der Bundesliga. Im Spiel Mittelstürmer. Kommt aus der Steiermark und lebt heute im Exil in Bayern. Hoffnungslos verliebt in den TSV 1860 München. Lebt noch von seinen Erfolgszeiten als mehrfacher Torschützenkönig der Royal Bavarian Liga im letzten Jahrhundert. Bewegungsarmut und Lethargie nehmen aber langsam zu. Gute und schlechte Szenen stürzen die Zuschauer wechselseitig in Euphorie und Depression. Tunnelt seine Gegner mindestens einmal in einem Spiel.

      Konrad Waldschlegel-Glasbläser ist zuständig für alle Statistikverfahren. Er kann auf Grund von Verhaltensmustern der Vergangenheit berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Kamerad pünktlich zum Spiel kommen wird. Im Spiel Stürmer. Kickt zeitweise auf hohem Niveau. Weiter so. Seine Leistungen am Gegner und am Ball sind bemerkenswert. An schlechten Tagen attackiert er allerdings seine Gegenspieler in gebückter Ochsenhaltung, stoisch, oder läuft sinnentleert im Galopp die Außenlinie entlang.

      Gerd Häcksler ist unser Kommunikationswart. In diesem Sinne pflegt er die Horden-eigene Homepage, schreibt Protokoll und kommuniziert alle Spielergebnisse an die Royal Bavarian Liga. Im Spiel gleichermaßen wertvoll als Abwehrbock oder Mittelfeldgazelle. Stammt aus Selb, wo noch heute schwedischer Stockfisch als Delikatesse gilt. Er ist berüchtigt für die Häckslerschere, die aber eigentlich nur im Eishockey erlaubt ist. Sein Benehmen ist immer tadellos, wenn man mal davon absieht, dass sein Herz für den FC Bayern schlägt.

      Jupp Schläfer ist unser Mann für das Finanzielle. Er verwaltet die Kasse und gibt gelegentlich was aus. Jeder Freizeitkicker hat einen Jahresbeitrag und einen Beitrag pro Spiel zu zahlen. Im Spiel vorrangig im Anstoßkreis. Geringe Laufbereitschaft und eine hervorragende Ballbehandlung verpuffen manchmal wirkungslos. Ein hohes Mitteilungsbedürfnis auf dem Platz irritiert Mitspieler, Gegenspieler und den Schiedsrichter. Hat Fußball auf Schalke gelernt, was ihm bis heute anzumerken ist. Kickt zumindest zeitweise mit Übersicht, kann aber auch unvermittelt einschlafen. Braucht dann Bettwäsche von Schalke 04. Muss zunehmen. Erinnert in seiner Gestalt an Don Quijote.

      Bruno Schwabenspargel ist unser Trainer. Kommt aus dem Schwarzwald und wurde vom Präsidenten als Trainer bestimmt. Führte gleich mal die neue Regel ein: Wer zuletzt kommt, nimmt zuerst auf der Reservebank Platz. Im Spiel Stürmer und das Aufsehen erregend, weil auch torgefährlich. Gediegene Lauffreude, kombiniert mit einer sicheren Behandlung des Spielgerätes, rundet die Leistung meist auf das Vorteilhafteste ab. Veranstaltet die jährlich stattfindende Freiluft Tipp-Kick Weltmeisterschaft. Muss zunehmen. Erinnert in seiner Gestalt an den Ackergaul von Don Quijote. Darf sich emotional nicht so sehr an den VFB Stuttgart binden.

      Paul Knockemühle ist unser Manager. Er arrangiert die Spiele, was nicht immer leicht ist. Denn, zweiundzwanzig Spieler und ein Schiedsrichter müssen zum gleichen Zeitpunkt am gleichen Ort eintreffen, damit ein Spiel ausgetragen werden kann. Im Spiel multifunktional, in der Abwehr, dem Mittelfeld und zur Not auch als Torwart. Wirkt deshalb manchmal orientierungslos, geht aber immer an die Grenze seines Knorpels. Fehlpässe mit dem Außenrist verursachen Nervenzusammenbrüche bei den Kameraden. Zeigt insgesamt ein stabiles Kickverhalten. Der Ball läuft, er selber eher weniger. Ist der Meinung, dass Fußball eigentlich Kopfball heißen müsste. Dies ist aber dem Alter geschuldet. Wirkt manchmal abwesend, denkt wohl immer an sein Buch, das er seit zehn Jahren schreiben will.

      Sepp Schnur ist unser Ältester, also Alterspräsident. Er hat bereits den zweiten Weltkrieg als Kind erlebt und die Flucht aus dem heutigen Serbien nach Ober- und Niederbayern. Hatte eigentlich alle Anlagen für eine Karriere als Opernsänger, hat sich aber dann doch für eine Torwartkarriere in der Bayernliga entschieden. War zu seiner Zeit, in den 50-er Jahren des letzten Jahrhunderts, ein legendärer Torwart, unter anderem bei Jahn Regensburg. Das Interesse für das andere Geschlecht hat er bereits in jungen Jahren in Regensburg entwickelt, wo noch heute eine Plakette im Park der Fürstin Gloria von seiner Vergangenheit Zeugnis ablegt. Hält gerne Reden in Form von Gedichten und kann auch mal zu fortgeschrittener Stunde ein Lied anstimmen.

      Luise Dragoner ist unsere Wirtin. Ohne Wirtschaft kann eine Mannschaft von Freizeitkickern nicht lange existieren. Die Wirtschaft ist der Ort, an dem man sich vor dem Spiel zwecks Motivation trifft und nach dem Spiel das Geschehen verarbeitet. Gerade nach einer Niederlage ist psychologische Unterstützung durch die Wirtin wichtig, um bleibende Schäden im Gemüt zu vermeiden. Die Wirtschaft selbst befindet sich in einer alten Holzbaracke auf dem Gelände des ESV München. Die Speisekarte entspricht gehobenem Freizeitkicker-Niveau. Wurstsalat, Wiener Schnitzel, Leberkäs mit Ei und natürlich Currywurst mit Pommes. Im Keller des Nebengebäudes sind die Umkleideräume. Das Gebäude selbst scheint neueren Datums zu sein, der muffige Keller jedoch stammt mit Sicherheit aus einem der letzten Kriege und wird noch heute als Luftschutzbunker genutzt. In just diesem Keller wird vor jedem Spiel umgezogen und nach dem Spiel geduscht, sofern die verkalkten Düsen Wasser freigeben. Eingeborene bezeichnen dieses Idyll als die Katakomben am Acker Bolzpark.

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